Erdoğan und die säkulare Kultur – Recep Tayyip Erdoğan eröffnet den Neubau des Kunstmuseums Istanbul Modern. Kurz vor der Stichwahl ist der Noch-Präsident auf Stimmenfang.
Bleibt Türkiye, so heißt die Türkei seit Neuem auf Geheiß ihres Dauerpotentaten, doch modern? Schwer zu sagen, ob Recep Tayyip Erdoğan diese Message senden wollte, als er kürzlich im Kunstmuseum Istanbul Modern aus den Händen von Oya Eczacıbaşı ein Bild des Hauses entgegennahm. Seit Monaten hatte die türkische Kunstszene gerätselt, wann der Neubau des 2004 in einer Lagerhalle an der Uferpromenade des Stadtteils Karaköy eröffneten Kunstmuseums endlich öffnen würde.
Der langgestreckte, an ein Schiff erinnernder Bau, den der Industriellenclan Eczacıbaşı bei dem Architekten Renzo Piano in Auftrag gegeben hatte, war fertig, Nachfragen wurden aber ausweichend beantwortet. Offenbar scheute die Unternehmerfamilie, die auch die IKSV-Stiftung betreibt, die die Istanbul Biennale ausrichtet, die Zeit vor den Wahlen. Schließlich öffnete das Haus am 4. Mai still und leise seine Pforten.
Doch so wie schon der Architekt Erol Tabanca sein privates Kunstmuseum Odunpazarı in Eskişehir 2019 nur in Erdoğans Anwesenheit eröffnen durfte, kamen auch die Eczacıbaşıs in Istanbul nicht um den Staatschef herum. Offizieller Anlass für den Auftritt auf dem Terrain der säkularen Kultur, die Erdoğan sonst gern mit Hassreden überzieht, war der „Tag der Jugend und des Sports“. Dafür hätte es auch das nahe Sportstadion getan.
Doch Erdoğan wollte die Kulisse des kulturellen Leuchtturms für die zweite Wahlrunde instrumentalisieren. Eine Kampfansage an die Moderne wurde die Präsidentenrede zwar nicht. Doch die gequälten Gesichter von Bülent Eczacıbaşı und seiner Frau Oya, der Direktorin des Museums, bei Erdoğans Ansprache wirkten wie ein Sinnbild für die Lage der Kunst in der Türkei am Vorabend seines mutmaßlichen Siegs: Gute Miene zum autoritären Spiel machen.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag.
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