Weil Aufregung um die AfD Klicks und Aufmerksamkeit bringt, ist die Aufregung gross um eine Oberbürgermeisterwahl in Schwerin. Sie ist ähnlich ausgegangen wie in Barcelona. Ein Sozialdemokrat ist es geworden. Die Wahlbeteiligung bleibt unbeachtet: 49,4%.

Wir Bonner*innen müssen unsere Nase darüber gar nicht erst erheben. Bei unserer Stichwahl war sie sogar noch geringfügig niedriger: 48,7%. Aber gut, hier musste ja “nur” die CDU geschlagen werden. Die fatale Lage Schwerins lässt sich mit recht bescheidenen Kopfrechenübungen erfassen. Den OB wählte gerade mal ein Drittel der Bürger*innen, seinen AfD-Gegner gut 16%. Ja, so viele Sympathisant*inn*en rechtsextremistischer Ressentinments sind unter uns, waren es schon immer. Das Üble der aktuellen politischen Lage ist, dass sie Erfolge wittern und wählengehen.

Die eigentliche Katastrophe am Fall Schwerin, der keine Besonderheit dieser Stadt ist: zwei Drittel der Stadtgesellschaft sehen keinen Grund, gegen faschistische Gefahr auch nur ein mickriges Kreuz auf einem Stück Papier zu machen. Sie fürchten ihn nicht – es ist ihnen egal und/oder sie erkennen die Alternative nicht. Gibt es ein schlimmeres Zeugnis für demokratische Politik?

Es war nicht immer so. 1972 beteiligten sich 91,1% der West-BRD-Bürger*innen an der Bundestagswahl. Sie wollten den Bundeskanzler Brandt mitsamt seiner Entspannungspolitik behalten und gegen rechten Widerstand retten. Das gelang in einer beispiellosen Mobilisierung, inkl. “illegaler politischer” Massenstreiks für die Regierung. Danach gings bergab, danke SPD!

Ich fasse zusammen: wer Rechts bekämpfen will, benötigt einen mobilisierungsfähigen Grund, eine Politik, die sich als Gegengewicht zur rechten Menschenfeindlichkeit bekennt und erkannt wird.

Es gäbe eine Methode, die eingeschlafenen bis selbstzerstörerischen demokratischen Parteien dazu zu nötigen. Ihre Finanzierung, ihre Zuteilung von Ressourcen, inkl. Zahl von Parlamentsmandaten und Mitarbeiter*inne*n wird an die Wahlbeteiligung gebunden, und nicht nur an die Prozentanteile. Ausschlaggebend müssen die absoluten Zahlen der Wähler*innen sein. Problem: wer soll das beschliessen? Es wäre das erste Mal, dass die Betroffenen sich selbst die Ressourcen kürzen. Wird also nicht passieren.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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