Best of 91. Geburtstag (Walter Böttger)

mit Update vormittags zu “hart aber fair”

Es ist so einfach. Warum gelingt es in Deutschland nicht wirklich? Ein wichtiger Grund ist die mangelhafte Fähigkeit und Bereitschaft, aus der Geschichte zu lernen. Der eigenen. Als ich Ende der 80er beruflich den “Friedensrat der DDR” besuchte, und, wie ich später in den Stasi-Akten nachlesen konnte, kritisch geprüft wurde, residierte der in Berlin/Hauptstadt der DDR in der Clara-Zetkin-Strasse. In Helmut Kohls einig Vaterland gingen Strassenumbenennungen leichter von der Hand, als heute bei Kolonialisten und Rassisten. Clara Zetkin gibt es dort nicht mehr.

Die Kolleg*inn*en von Jacobin haben sie wieder ausgegraben, und sie hat heute 100 Jahre später noch was zu sagen: Clara Zetkins Kampf gegen den Faschismus – Heute vor 100 Jahren warnte die weltberühmte Kommunistin in einer hellsichtigen Rede, die Faschisten könnten auch in Deutschland die Massen mobilisieren und an die Macht gelangen. Die Linke müsse den Menschen eine überzeugende gesellschaftliche Alternative anbieten.” Guter Rohstoff für eigene Meinungsbildung in der Gegenwart.

Wenn wir nun Wolfgang Storz’ und Wolfgang Müllers/bruchstuecke Bestandsaufnahme daneben legen: “Ampelpolitik: Zustand der Regierung: Vollbeschäftigt mit situativen Dringlichkeiten” wird klar, dass die real existierende Bundesregierung ihrer historischen Aufgabe nicht gerecht wird.

Dabei wäre es so einfach. Leon Gerleit/telepolis beschreibt – die augenfälligen Parallelen zu Deutschland benennt er selbst – wie sich die Rechte in den USA selbst zerbröselt: Religiöse US-Rechte: Warum sie die Erfolgschancen der Republikaner schmälert – Pechstein und Spahn: In Deutschland stecken die Konservativen durch die AfD in einer Krise. In den USA spitzt sich der Kulturkampf zu. Was das für den Wahlkampf dort bedeutet.” Gerleits zentraler Satz: “Die Demokraten ihrerseits müssen nur eine politische Alternative repräsentieren, um mehrheitsfähig zu bleiben.” An dieser Stelle werden viele meiner US-Freund*inn*e*n einen sarkastischen Lachanfall bekommen …

Aber in den USA gibt es bereits alternative Praxis. Lukas Hermsmeier/Blätter: Chicago: Prävention statt Polizei – Mit mehr sozialer Gerechtigkeit gegen das US-Strafsystem”. Möglich wird das nur, wenn emanzipatorische Kräfte sich verbinden, statt sich typisch deutsch zu bekämpfen, wie es den Herrschenden weltweit wohlgefällig ist.

Männer-Hysterie

Feministinnen wissen es. Männer halten die Beine niemals freiwillig zusammen. Sie müssen gemahnt und genötigt werden. Wie die stehenden Pinkler. Das ist – angeblich – ihre Natur. So auch in Politik, Kultur, Medien – überall.

So hat es vorgestern Abend auch im Programm der ARD – mal wieder – einen schweren Verkehrsunfall gegeben. Sie wissen ja: ich guck’ mir sowas gar nicht erst an. Dieses Mal war es aber so schlimm, dass ich noch nicht einmal die Pressenachberichte ohne gesundheitliche Schäden zuende lesen konnte.

Wenn ich den Kollegen Klamroth beraten würde, der nach meiner Kenntnis von Leuten, die ihn kennen, guten Willens ist, würde ich ihm dringend empfehlen, Produktionsfirma und Redaktion zu wechseln (vielleicht auch den Sender/WDR?). Gut, das klingt schon fast wie: hinschmeissen. Jedenfalls stimmt an dem, was er da “leiten” soll, fast gar nichts. Update am Vormittag: die SZ berichtet hinter Paywall, dass der Produktionsvertrag mit dem WDR in diesem Jahr ausläuft, und Klamroth es so sieht wie ich: er will dem WDR anbieten, mit einer anderen Firma weiterzuarbeiten.

Die Unfallaufnahme von Thomas Pany/telepolis fasst es zusammen: Rammstein-Debatte: Frauenverachtung als ‘Beglückung’? – Eine Verteidigung, die zur Herrenreitershow wird, das Omertà-Problem der Branche mit dem Thema Groupies und wie die Lust im Rock ’n’ Roll und Pop ohne Verbote weitergehen kann.”

Ich fasse zusammen: wenn bislang Herrschende unüberhörbar lamentieren und randalieren – dann findet gerade Fortschritt statt.

Die gute Nachricht: Springer kapituliert

Wenn Volksverdummung nicht mehr profitabel ist – gibt es eine bessere Nachricht? Der Springerkonzern wird sein “Lügenblatt” (zit. Dietrich Kittner) abschaffen. Ich kenne viele Verstorbene, die das gerne noch erlebt hätten. Jetzt ist es so weit.

Springer will seine restlichen Zeitungen – den meisten Müll hatten sie schon an die Funke-Mediengruppe losgeschlagen, zu einem völlig überhöhten Preis – loswerden. Das Publikum ist nicht (mehr) doof genug, und vermögend auch nicht. Profit der Zukunft wird mit Medien für die Reichen gemacht, die sind genauso doof, aber viel zahlungskräftiger. Springers Drecksblätter werden also zum Sterben geschickt. Das ist die gute Nachricht.

Das Schlechte daran ist, dass insbesondere die deutschen Medienkonzerne so doof sind, dass sie glauben, alles so ähnlich machen zu müssen wie Springer (die doofen Politiker*innen vergessen wir hier besser ganz). D.h., es handelt sich hier noch um das Anfangsstadium des Zeitungssterbens. Aber die Mitte dieses Prozesses kündigt sich an. Es geht los.

Öffentlichkeiten, die sich bislang auf Medien”märkte” verlassen haben, also z.B. die Mehrheit der Städte und Gemeinden, sind nun ebenso bedroht. Die wenigen Familien der Zeitungsverlage lassen sie juristisch daran hindern, eigene Medienarbeit zu machen. Die gleiche Lobby kämpft weiter gegen die öffentlichen elektronischen Medien. Wenn sie schon selber sterben, sollen alle Anderen mitsterben. Am Ende auch die Demokratie. “Vierte Gewalt” – haben wir gelacht …

Ernstzunehmende Politiker*innen und Parteien würden diesen Prozess erkennen, begreifen, und gesetzgeberisch tätig werden: für gemeinnützigen Journalismus, für gemeinnützige und auf Profit verzichtende Medien. Das Publikum, nachweislich nicht doof genug für publizistischen Schund, könnte selbst handeln, ermuntert und gefördert werden. Das wäre Medienpolitik.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net