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BVerfG macht Arbeit der Ampel

Die Ampel ist mal wieder abgehängt worden. Anstatt sich über Wärmepumpen und angebliche Technikoffenheit zu streiten, hätte die Ampelkoalition ein weites Feld der Liberalisierung der Gesellschaft zu gestalten. Vieles davon liegt im Bereich der Rechtspolitik. Neben der längst überfälligen Entkriminalisierung von Haschischkonsum gibt es eine ganze Reihe von Vorhaben, rechtspolitisch das Mittelalter zu Überwinden. Die Abschaffung der Ersatzfreiheitsstafe etwa, die heute noch Schuldner behandelt, wie einst ihre Majestät Elisabeth I., die säumige Schuldner in den Tower werfen ließ. Die gerechte Entlohnung von Strafgefangenen ist ein weiterer Baustein, den Strafvollzug zu modernisieren.

Das Verfassungsgericht musste ‘reingrätschen

Heute hat das Bundesverfassungsgericht zumindest teilweise der üblichen Ausbeutung von Strafgefangenen einen Riegel vorgeschoben, indem es feststellte, dass die bisherigen Löhne von Strafgefangenen von einsachtzig bis rund drei Euro pro Stunde  verfassungswidrig sind. Eigentlich hätte man es schon immer wissen können. Arbeit, die im Strafvollzug weitgehend Pflicht ist, weil sie der Wiedereingliederung in die Gesellschaft dienen soll,  darf nicht weiter als Sklavenarbeit mancher örtlichen Unternehmen oder willkommene, wenn auch marginale Einnahmequelle für die Finanzierung des Strafvollzugs sein. Denn bei Kosten von etwa 330 € pro Hafttag und Häftling ist es ein Witz, wenn die Justiz von etwa 10 € pro Stunde, die örtliche Arbeitgeber zahlen,  etwa 7 € – rund 50 € pro Tag – in der Staatskasse landen.

Minientlohnung widerspricht diametral Resozialisierungszielen

Das Strafvollzugsgesetz fordert, dass Täter wieder in die Gesellschaft zurückkehren, zukünftig ein Leben ohne Straffälligkeit führen und hierfür den Grundstein zu legen, indem sie z.B. Schulden abbauen. Der Mehrwert ihrer Arbeit steht den Gefangenen zu, schließlich soll Arbeit ihnen die Möglichkeit geben, nicht nur Schulden zu bezahlen, beim “Täter-Opfer-Ausgleich” sogar den angerichteten Schaden wieder gut zu machen. Wer im Knast nichts verdient, kann z.B. für Frau und Kind oder pflegebedürftige Eltern außerhalb keinen Unterhalt zahlen – oft zulasten der Sozialsysteme. Das bestehende System ist ungerecht und asozial.

Mindestlohn schafft Win-Win-Situation

Warum zahlt ein Mörder, der 25 Jahre im Gefängnis absitzt und arbeitet, eigentlich keine Beiträge zur Rentenversicherung und muss nach der Entlassung für den Rest seines Lebens von Sozialhilfe oder Hartz IV leben? Das ist nicht nur sozial unangemessen, es setzt auch die soziale Bestrafung über die Haftzeit hinaus fort. Haftstrafe bedeutet Freiheitsentzug. Sie bedeutet nicht selbstverständlich Entzug der Möglichkeit, zu Arbeiten und des Rechts dafür gerecht entlohnt zu werden. Warum also keinen Mindestlohn im Knast mit allen vorgeschriebenen Abgaben? Der Vorteil für “Knackis” und die Gesellschaft: die Rückkehr in soziale Netz wäre oft weniger belastend für die Allgemeinheit und damit für alle gerechter. Eine klassische Win-Win Situation.

Skandale und Bereicherungen der Vergangenheit

Zahlreiche Vorfälle und Skandale in der Vergangenheit haben deutlich gemacht, dass es Ausbeutung im Knast gibt.  So der “Bastelskandal” von Oldtimer-Modellen in bayrischen forensischen Kliniken. Hubert Haderthauer, Landgerichtsarzt in Ingolstadt und Ehemann der bayerischen Sozialministerin Christine Haderthauer, kam 2017 aufgrund von privaten Geschäftsverbindungen mit bayerischen Bezirkskrankenhäusern ins Zwielicht. Modellfahrzeuge, die ein wegen Mordes inhaftierter Bauschlosser gefertigt hatte, brachten später zum Teil für mehr als 30.000 Dollar bei internationalen Auktionen. Genau die verkaufte der Arzt über seine Firma “Sapor Modelltechnik” an Sammler. Bei Versteigerungen wurde Haderthauer auch als Modellbauer der detailgetreuen und teuren Autos genannt. Der Bauschlosser Roland S. wurde später in die forensische Abteilung des Bezirkskrankenhauses Straubing verlegt und fertigte auch dort die Sammlerstücke für einen Monatslohn von rund 200 Euro. Der Bezirk Niederbayern bestätigte, dass Sapor die Autos der Klinik für jeweils 3000 bis 4000 Euro abkaufte, und dass eine “sehr lange” Zusammenarbeit mit “Sapor Modelltechnik” und Haderthauer bestand. 

Gerechte Entlohnung erster Schritt zur Entrümpelung des Strafrechts

Es ist ein Anachronismus, den das Bundesverfassungsgericht beseitigt hat, und der nun von den Bundesländern in die Moderne des Strafvollzugs des 21. Jahrhunderts überführt werden muss. Dass das BVerfG keine Vorgaben wie etwa weinen Mindestlohn gemacht hat, wird sich hoffentlich nicht als Schlupfloch für ein “Weiter so” im Stil der bayrischen Geschäftemacherei erweisen. Eine weitere archaische Erbschaft des Strafrechts ist die “Ersatzfreiheitsstrafe”. Hunderte, ja tausende Häftlinge in Strafanstalten sitzen dort nur, weil sie ihre Geldstrafen oder Bußgelder nicht bezahlen konnten. Dabei handelt es sich – für Menschen, die den Strafvollzug nicht kennen – durchaus um eine moderne Form des archaischen “Schuldenturms” des Mittelalters.

Haftvermeidungsprojekte ersparen tausende von Hafttagen

In Köln-Ossendorf hat in den 90er und 2000er Jahren der Verein “Maßstab e.V.”, gefördert mit Mitteln des Landesjustizministeriums ein Projekt zur Haftprüfung durchgeführt. Jede*r Gefangene, der oder die nach Ossendorf kam, wurde einer anwaltlichen Haftprüfungsberatung zugeführt. Wo immer möglich, wurden mit Hilfe dieser Beratung unter Beiziehung von Gerichtsvollziehern, Schuldnerberatung und ggf. noch vorhandenen ehemaligen Arbeitgebern und Gläubigern Vergleiche und Lösungen gefunden, um Ersatzfreiheitsstrafen zu vermeiden und zu helfen, der Schuldenfalle zu entkommen. Der “Maßstab e.V.” erspARTE dem Land NRW über zwei Jahrzehnte hunderttausende Hafttage – ein Bruchteil der Kosten, die die Förderung durch das Land verursachte. Und die Anstaltsleitungen lobten, dass in der Folge in Ossendorf Überbelegung beendet und Resozialisierung wieder stattfinden konnte.  Auch hier gab es eine Win-Win-Situation.

Ersatzfreiheitsstrafe ersatzlos abschaffen

Dieses Beispiel zeigt, dass es notwendig und sinnvoll ist, die Ersatzfreiheitsstrafe ersatzlos und endgültig abzuschaffen. In Schweden hat sich diese Linie schon seit Jahren durchgesetzt. Bundesjustizminister Buschmann plant nun ein “Reförmchen light” – er möchte die Ersatzfreiheitsstrafe lediglich halbieren. Wer seine Geldstrafe fürs Schwarzfahren also nicht bezahlen kann, soll zukünftig nicht mehr 30 Tage, sondern nur noch 15 Tage brummen. Was der resozialisierende Effekt dieser Maßnahme sein soll, ist wohl nur schwer zu erklären, außer mit der Neigung der FDP, gerne mal halbe Sachen zu machen. Ein bisschen Liberalisierung und ein bisschen Status quo sind nach beiden Seiten offen, bringen auch die CDU-Klientel nicht zu sehr gegen die FDP auf. Echte liberale Strafrechtsreformer wie Joachim Baumann oder Ulrich Klug würden sich vermutlich im Grab herumdrehen, würden sie Zeuge dieses Herumgeeiere der FDP. Leider sind die Grünen wohl zu naiv, zu gleichgültig, zu loyal oder zu doof, deshalb mal der FDP so richtig Druck zu machen.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. Martin Singe

    Das Komitee für Grundrechte und Demokratie hat sich viele Jahre für diese Forderungen incl. einer Einbeziehung der arbeitenden Gefangenen in die Sozialversicherungen eingesetzt. Das BVerfG-Urteil ist ein Fortschritt. Allerdings mit vielen Einschränkungen. Dem Gesetzgeber wird ein weiter Gestaltungsspielraum zugestanden, alle möglichen (Haft-)Kostenbeteiligungen können auferlegt werden, die Einbeziehung in die Rentenversicherung sei möglich, aber es wird nicht dazu verpflichtet …

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