Buchbesprechung

Das Buch „Deutsche Kriegsmoral auf dem Vormarsch. Lektionen in patriotischem Denken über ‚westliche Werte‘“ von Norbert Wohlfahrt und Johannes Schillo ist 2023 im VSA-Verlag erschienen. Das 136 Seiten umfassende Buch versteht sich als „Flugschrift“. Die Autoren wollen aufzeigen, wie der Ukraine-Krieg von Medien und Politik dazu genutzt wird, in der Mehrheit der deutschen Bevölkerung eine „patriotische Kriegsmoral“ zu erzeugen, die u.a. die bedingungslose Unterstützung für Waffenlieferungen an die Ukraine und die Ausblendung der Vorgeschichte des Krieges zur Folge hat. Statt die Geschichte des Konfliktes sachlich zu analysieren, werde dieser auf die Ebene eines moralischen Antagonismus‘ zwischen „Gut“ und „Böse“ gehoben.

Die Autoren zitieren Baerbocks Aussage von Januar 2023 vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarats „Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland“. Auch wenn der Satz später relativiert wurde, werde westlicherseits doch entsprechend dieser These gedacht und gehandelt. Und in diese Richtung soll ein weitgehender gesellschaftlicher Konsens hergestellt werden: „‚Wir‘ befinden uns in patriotischer Moral im Kampf gegen das Böse und für das Gute. Hier ist kein Abseits-Stehen und keine pazifistische oder defätistische Dissidenz möglich. Im öffentlichen Diskurs ist seit der ‚Zeitenwende‘ das Bekenntnis zu dieser Linie Zulassungsbedingung. Ablehnung, Distanz oder ‚Kriegsmüdigkeit‘ (noch einmal Baerbock) können nicht toleriert werden.“ (Klappentext)

Dieser Kriegsmoral wollen die Autoren mit ihrer Flugschrift entgegentreten. „Es macht schier fassungslos, in welcher Geschwindigkeit sich ein Denken breit macht, das den Feind besiegen, das Militär als Mittel der Feindvernichtung aufrüsten und das nationale Interesse an der Feindbekämpfung stärken will.” (S.7)

Das Buch ist in zwei Hauptteile mit jeweils 10 Unterkapiteln gegliedert, Teil I trägt die Überschrift „Der freiheitliche Westen und sein ‚völkerrechtswidriger Angriffskrieg`: eine Lektion in patriotischem Denken“, Teil II: „Die wissenschaftliche und publizistische Verurteilung des Krieges: eine Lektion in vaterländischer Kriegsmoral“.

In Teil I wird u.a. dargelegt, wie die Akzeptanz für die Rede vom „grundlosen Angriffskrieg“ geschaffen wird, indem alle russischen Einwände und geäußerten politischen Proteste, z.B. gegen die NATO-Osterweiterung, als völlig abstrus bzw. haltlos zurückgewiesen werden, ohne den Sachgehalt zu prüfen. In der Öffentlichkeit melde sich „zunehmend eine Sorte kriegswilliger Wissenschaft zu Wort“, die „ihre Moral als Ausdruck objektiver Geistigkeit feiert“ (S. 34). In einem weiteren Kapitel wird die „konsequente Vorwärtsverteidigung gen Osten“ seitens der „Neuen NATO“ dargelegt, die beim NATO-Gipfel von Madrid im Juni 2022 mit der Aufnahme Schwedens und Finnlands in das Bündnis und weiteren Verstärkungen der Truppenpräsenzen und -mobilisierungsfähigkeiten in Osteuropa ihren vorläufigen Höhepunkt findet.

Die Autoren zitieren in Kapitel 8 „Die postsowjetische Geburt der ukrainischen Nation – der freie Westen verhilft einem Staat zu nationaler antirussischer Identität“ Selenskyj: „Ukrainer wissen um eine einfache Wahrheit: dass ein Leben ohne Freiheit gar kein Leben ist. (…) Darum kämpfen wir für unsere Freiheit, auch wenn uns dies das Leben kostet.“ (53) In diesem Kapitel werden die Einflussnahme des Westens auf die Ukraine hinsichtlich einer eindeutigen Westorientierung Richtung EU und NATO sowie die 2014 erfolgte Absetzung des gewählten Präsidenten Janukowitsch und die darauffolgende Wahl von Poroschenko geschildert. Die neue Regierung habe es als Hauptaufgabe angesehen, sich „gegen Russland und alles Russische zu positionieren“. Ein „energisches Aufräumen“ in Politik und Medien und die schrittweise Umsetzung des Sprachengesetzes, das die russische Sprache verbot, habe begonnen.

In Teil II wird genauer beschrieben, wie Politik und Medien – bis hin zu bislang als kritisch geltenden – der neuen Kriegsmoral das Wort reden. Konkret gehe es neben einer bedingungslosen Unterstützung der Ukraine um Aufrüstung des Westens, eine neue Führungsrolle Deutschlands, eine EU mit „strategischer Souveränität“ bis hin zur Forderung nach europäischen Atomwaffen bzw. der gemeinsamen Nutzung der französischen Atomwaffen.

Noch verbleibende kritische Journalist*innen würden ausgegrenzt und diffamiert, wie es die Autoren u.a. am Beispiel von Gabriele Krone-Schmalz verdeutlichen. Stattdessen würden „wissenschaftliche ‚Militärexperten‘ das Wort ergreifen und in den Nachrichtensendungen des öffentlichen Rundfunks zu Dauergästen“ (109). Genannt und zitiert werden u.a. Claudia Major von der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. (Wäre es vor Abfassung dieser Flugschrift erschienen, hätten die Autoren an dieser Stelle auch aus dem Ukraine-Teil des aktuellen Friedensgutachtens der „Friedensforschungs“-Institute zitieren können.)

Vor einem kurzen Fazit wird in den vorletzten beiden Kapiteln noch beschrieben, wie der Ukraine-Krieg jeweils bei den Rechten (u.a. AFD) und in der Linken verhandelt wird. Im Fazit werden die Hauptthesen der Flugschrift noch einmal zusammengefasst und mögliche Lernergebnisse vorgetragen, die sich u.a. auf die Themen Kriegsgründe/Kriegsbewertung, Öffentlichkeit und Wissenschaftsbetrieb, Kampf um Führungsrollen sowie Moral und Gewalt beziehen. Dem Schlusssatz kann man unbedingt zustimmen: „Deshalb kann man aus diesem Krieg auch lernen, dass es mit dem Wunsch nach Frieden nicht getan ist.“ (130)

Das Buch ist eine Streitschrift, die oft zugespitzt formuliert. Es bietet einen deutlichen Kontrast zu vielen anderen Publikationen, die zu diesem Krieg erschienen sind, und zu den alltäglichen Kommentaren zum Siegenmüssen, Ablehnen von Verhandlungen und weiteren Waffenlieferungen. Die Autoren des Buches beweisen zugleich eine hohe Kenntnis der politischen Konfliktentwicklung zwischen NATO/EU und Russland/Ukraine seit der Jahre der Auflösung der Sowjetunion. Solche geschichtlichen Informationen werden in den einzelnen Kapiteln – die jeweiligen Thesen sachlich untermauernd – eingefügt.

Etwas bedenklich finde ich die Thesen zum Völkerrecht, das laut Autoren nicht unbedingt hilfreiche Kategorien zu einer Kriegsbewertung liefere (S. 27ff). Dass das Völkerrecht immer wieder verdreht und für Kriegsrechtfertigungen missbraucht wird, ist zwar richtig. Aber deswegen sollte man nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Man vergleiche den Kampf von IALANA (Jurist*innen gegen den Atomkrieg), der herrschenden Macht immer wieder die Herrschaft des Rechts entgegenzusetzen. Eine Erweiterung des Buches um ein Kapitel, was denn eine politisch-pazifistische Verantwortungs-Ethik dem Gesinnungs-Bellizismus entgegenzusetzen hätte, wäre kein Schaden gewesen. – Jedenfalls: Die Lektüre des Buches kann sehr empfohlen werden.

Norbert Wohlfahrt / Johannes Schillo: Deutsche Kriegsmoral auf dem Vormarsch. Lektionen in patriotischem Denken über „westliche Werte“. Hamburg 2023, 136 Seiten, VSA-Verlag, 10 Euro. Diese Buchbesprechung wird im FriedensForum 5/2023 veröffentlicht und kann vorab genutzt werden. Martin Singe ist Mitglied im Redaktionsteam des FriedensForum.

Über Martin Singe / FriedensForum:

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