Verfehlt der Staatsfonds KENFO seine Ziele? – Ein Staatsfonds soll die Entsorgung der Kerntechnik in Deutschland finanzieren. Unser Autor sieht das kritisch und fragt: Wie transparent arbeitet der KENFO?

Das Zeitalter der Atomkraft in Deutschland ist längst noch nicht vorbei. Zwar wurde unter die jahrzehntelange Stromerzeugung in Atomkraftwerken (AKW) Ende April 2023 ein Schlussstrich gezogen. Aber so, wie die Atomkraft selbst stets von Problemen und gesellschaftlichen Konflikten begleitet wurde, werden auch die Aufräumarbeiten nicht problemlos über die Bühne gehen.

Sie werden von erheblichen Ungewissheiten begleitet. Das betrifft auch die Finanzierung der Zwischen- und Endlagerung der hochradioaktiven Abfälle; obwohl doch alles durchdacht schien. Die Verantwortung für die Entsorgung in einem Endlager ging 2017 per Gesetz von den Betreibern der AKW an den Staat über.

KENFO-Jahresbericht: Drei Milliarden Euro Wertverlust

Die Betreiber transferierten dafür 24,1 Milliarden Euro in den ersten deutschen Staatsfonds, den Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung, kurz KENFO. Dieser wird von einer öffentlich-rechtlichen Stiftung verwaltet, die nach den Vorstellungen von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) auch für die Verwaltung und Geldanlage der sogenannten Aktienrente ins Spiel gebracht wurde.

Das ARD-Magazin „Report Mainz“ publizierte nun die ersten Zahlen aus dem bislang unveröffentlichten KENFO-Jahresbericht 2022. In den Jahren 2020 und 2021 wurden noch ein kräftiger Anstieg oder ein deutliches Plus verkündet. Diesmal musste die Stiftung allerdings einen Wertverlust in Höhe von 3,1 Milliarden Euro verbuchen, ein Minus von 12,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Aber nicht nur die Finanzgrundlage der Zwischen- und Endlagerung kommt dadurch in eine erste Schieflage, auch die Transparenz- und Nachhaltigkeitsziele des Fonds werden möglicherweise nicht eingehalten.

Die Standortsuche für ein Endlager für die hochradioaktiven Abfälle, die derzeit in 1900 Castoren zwischengelagert werden, verzögert sich erheblich. Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) teilte Ende 2022 mit, dass das ursprünglich angepeilte Jahr 2031 nicht haltbar sei.

Nach der neuen Planung könnte es bis 2068 dauern, bis ein Standort gefunden ist. Die Einlagerung der Atomabfälle wird demzufolge bis weit ins nächste Jahrhundert dauern. Die Laufzeit des KENFO, die auf 80 Jahre terminiert wurde, muss dementsprechend korrigiert werden.

Zudem hat die zeitliche Verschiebung unmittelbare Auswirkungen auf die Finanzierung. Denn die Zwischenlagerung der hochradioaktiven Abfälle kann, so die Entsorgungskommission, theoretisch auch 120 Jahre dauern. Sie wird dadurch teurer – inflationsbedingt auch der Bau des Endlagers und die Behälter zur Einlagerung.

Aber auch ohne diese zeitliche Streckung sind die Ungewissheiten groß. Die Stiftung investiert seit 2017 an den Finanzmärkten in Aktien, in illiquide Anlagen sowie in Unternehmens- und Staatsanleihen. Derzeit sollen es 9000 Einzelwerte sein, die in mehr als 90 Ländern investiert werden.

Ziel ist es, das ursprüngliche Kapital zu vermehren, und zwar auf 169,8 Milliarden Euro bis 2099. So hat es die Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs 2016 verkündet. Allerdings gründet die Anlagestrategie auf ungewissen Einschätzungen hinsichtlich der Zukunft der Finanzmärkte. Sie ist an ein stetiges Wachstum und eine erfolgreiche Verzinsung gekoppelt.

Das allgemeine Preisniveau – etwa für zentrale Rohstoffe, die zum Bau des Endlagers oder der Endlagerbehälter benötigt werden – darf nicht über das zugrunde gelegte niedrige Inflationsniveau von jährlich 1,6 Prozent hinausgehen. Außerdem soll der KENFO eine notwendige Rendite von über drei Prozent pro Jahr nach Abzug der Inflation erwirtschaften. Mit der weltweiten Corona-Pandemie oder der kriegsbedingten hohen Inflation von annähernd acht Prozent in 2022 wurde nicht gerechnet.

Das von der Stiftung in den Jahren zuvor verkündete Übersteigen von Renditezielen wurde auch von der Inflation „aufgefressen“. Die globale wirtschaftliche Konjunkturentwicklung in einer nur kurzen Zeitspanne macht bereits deutlich, wie schnell allzu optimistische Annahmen obsolet werden können.

Mangelnde Transparenz

Laut dem Standortauswahlgesetz (2017) sind die demokratische Mitgestaltung durch Bürgerinnen und Bürger sowie Transparenz Grundprinzipien der Endlagersuche. Allerdings hat sich Deutschland mit dem ersten Staatsfonds nicht den gezielten Beteiligungen an einzelnen Konzernen verschrieben, wie beim Staatseinstieg bei der Lufthansa während der Corona-Pandemie, sondern der Risikoverteilung und Renditeerwirtschaftung.

Der Effekt staatlichen Investments ist somit nicht mehr der einer lenkenden Wirkung oder einer notwendigen Investition in eine Schlüsselbranche. Stattdessen machen sich der Staat und seine Politik von Dynamiken an den Finanzmärkten abhängig. Erfolg und Misserfolg der globalen Finanzmärkte werden zu Erfolg und Misserfolg des nationalen Projektes der Zwischen- und Endlagerung.

Zudem ist der KENFO in seinen Strukturen einem privaten Investmentfonds nicht unähnlich. Die Vermögensverwaltung wird unternehmerisch durch eine Geschäftsführung geleitet und zum Teil an verschiedene private, selbstständig tätige Vermögensverwalter ausgelagert. Dadurch wird die staatliche Kontrolle zumindest schwierig.

Hinzu kommt ein Mangel an Transparenz, der von der Stiftung ausgeht. So wurde auch auf Nachfrage zunächst nicht veröffentlicht, in welche Unternehmen oder Staaten konkret investiert wird. Im Februar 2022 forderte ein Nutzer des Onlineportals Frag den Staat die Stiftung auf, die Investments öffentlich zu machen.

Die daraus resultierende Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz zwang die Stiftung dazu, eine Liste der Investments zu veröffentlichen. Nun soll jährlich veröffentlicht werden, welche Staatsanleihen, Unternehmensanteile oder sonstige Anlagen der Fonds hält.

Eine vollumfängliche Transparenz ist dadurch allerdings noch nicht gewährleistet. So investiert der Fonds etwa einen Teil seiner Mittel in Produkte von BlackRock, die erst aufgeschlüsselt werden müssten, um über die Qualität der Investments urteilen zu können.

Die Wichtigkeit von Transparenz und demokratischer Kontrolle bei Investitionsentscheidungen zeigt sich schließlich vor allem im Umgang mit Nachhaltigkeitskriterien.

Verfehlte Nachhaltigkeit

Die Nachhaltigkeitskriterien des Fonds klingen ambitioniert. Anvisiert wird die Einhaltung von Menschenrechten und internationalen Arbeitsnormen, die Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards oder die Bekämpfung von Korruption.

Die Investitionen sollen sich außerdem am Übereinkommen von Paris orientieren, nach dem die globale Erwärmung auf 1,5 Grad begrenzt werden soll. Bis spätestens 2050 will das Portfolio des KENFO klimaneutral sein.
Konkret werden drei Vorgaben gemacht. Zunächst soll nur in die nachhaltigsten 75 Prozent der Unternehmen einer Branche investiert werden. In das am wenigsten nachhaltige Viertel der Unternehmen einer Branche darf der Fonds allerdings auch investieren; unter der Voraussetzung, dass diese „Fortschritte im Bereich der Nachhaltigkeit zeigen“. Eine Differenzierung zwischen umweltfreundlichen und umweltschädlichen Branchen erfolgt aber nicht.

Ein Problem ist darüber hinaus, dass sich die Finanzmanager, an die die Vermögensverwaltung ausgelagert wird, eigenständig Ratingagenturen aussuchen können. In der Folge sind die Nachhaltigkeitsprinzipien uneinheitlich, was eine Bewertung der Nachhaltigkeitsstrategien schwer macht. An anderer Stelle spielen sie gar keine Rolle.

Nach einer Berechnung des WDR hat der Fonds 2020 757,9 Millionen Euro in Öl- und Gasunternehmen investiert. Ende 2021 besaß KENFO auch Anteile an Ölkonzernen wie BP und Shell. Mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine wurde er wegen der Beteiligung an russischen Finanz- und Energieunternehmen kritisiert, etwa wegen der Investitionen in den russischen Ölkonzern Lukoil oder die Sberbank.

Die Vorstandsvorsitzende des KENFO, Anja Mikus, hält Investitionen in Unternehmen mit einem signifikanten CO₂-Ausstoß für transformationsfördernder als Investitionen etwa nur in Solarparks, die schon klimaneutral sind, sagte sie in einem Interview 2019.

Hier zeigt sich, dass eine finanzmarktbasierte Strategie, die die Mittel für die Zwischen- und Endlagerung zu vermehren versucht und gleichzeitig Nachhaltigkeit wie Klimaschutz zu Leitprinzipien erhebt, Zielkonflikte hervorruft. Mit anderen Worten: Der Renditedruck auf die Investitionen wirkt sich negativ auf Nachhaltigkeitsziele aus.

Einerseits soll die größtmögliche Rendite kommerzieller Investments die finanzielle Absicherung der Zwischen- und Endlagerung der Atomabfälle gewährleisten. Andererseits leisten sie entgegen anders lautender Versprechungen keinen umfassenden Beitrag zu einer sozialökologischen Transformation zur Nachhaltigkeit, wie es der Auftrag der Stiftung ist und in der Anlagerichtlinie auch entsprechend formuliert wird. Wer zahlt bei Mehrausgaben?

Aber noch ein zukünftiges Dilemma wird auf den KENFO zukommen: Der Staatsfonds ist mit seinen Mitteln getrennt vom Bundeshaushalt. So soll sichergestellt werden, dass die Mittel auch tatsächlich zweckdienlich für die Zwischen- und Endlagerung verwendet werden.

Die zentrale Idee des Staatsfonds ist schließlich, dass keine zusätzlichen Kosten auf die Gesellschaft und die uns nachfolgenden Generationen zukommen. Folglich wird es schwierig, die Finanzmittel aufzustocken, sollte der eingeschlagene Entsorgungspfad dies erforderlich machen.

Alle Erfahrungen zeigen, dass Nuklearbauten stets teurer werden als geplant. Dann dürften Debatten bevorstehen, woher die Finanzmittel kommen sollen. Wie so oft werden wohl die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler für die Aufräumarbeiten im Atomzeitalter aufkommen müssen; die AKW-Betreiber wurden gesetzlich davon befreit.

Achim Brunnengräber ist Politikwissenschaftler am Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften und am Forschungszentrum für Nachhaltigkeit (FFN) der Freien Universität Berlin. Dieser Beitrag unterliegt der Creative Commons Lizenz (CC BY-NC-ND 4.0). Er darf für nicht kommerzielle Zwecke unter Nennung des Autors und der Berliner Zeitung und unter Ausschluss jeglicher Bearbeitung von der Allgemeinheit frei weiterverwendet werden.

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