Dass es in den USA manchmal mit dem Rechtsbewusstsein nicht weit her ist, wissen wir seit einiger Zeit. Der republikanische Abgeordnete Kevin McCarthy hat jetzt einen neuen Höhepunkt geliefert. Er verwechselt Anschuldigungen mit Tatsachen. Auf dieser Grundlage fordert er ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Biden. Als Begründung führt er Anschuldigungen an, die gegen Biden erhoben werden. Wörtlich hat er gesagt “Republikaner im Repräsentantenhaus haben schwerwiegende und glaubhafte Anschuldigungen in Bezug auf Präsident Bidens Verhalten aufgedeckt. Zusammen zeichnen diese Anschuldigungen ein Bild der Korruption ab.”

Es sind also nicht Verfehlungen oder gar Straftaten, die aufgedeckt wurden, sondern Anschuldigungen. Das ist ein ziemlich seltsames Rechtsverständnis. Anschuldigungen kann man überall und immer wieder erheben, bei Bedarf kann man sie wohl auch bestellen. Belegen und beweisen muss man sie nicht.

McCarthy behauptet, die Anschuldigungen seien schwerwiegend und glaubhaft. Da müsste es doch eigentlich konkrete Anhaltspunkte, Indizien oder Zeugen geben. Tatsächlich sind seine Anschuldigungen unklar und unbestimmt. Nur dass es um Korruption geht, wird verraten. Da wird Präsident Biden gewiss ganz schön verunsichert sein.

Im politischen Geschäft sind Anschuldigungen ein beliebtes Instrument, auch in Deutschland. Allerdings muss man bei uns mit Tatsachenbehauptungen vorsichtig sein. Sonst kann leicht eine Strafanzeige wegen Beleidigung, Verleumdung oder falscher Verdächtigung auf den Tisch flattern. In den USA ist die Justiz offensichtlich großzügiger.

Nun kann man sagen, McCarthy betreibt doch nur Stimmungsmache und politisches Theater. Wenn er allerdings aufgrund von unbewiesenen Anschuldigungen eine Amtsenthebung fordert, so ist eine Grenze überschritten. Und ein Beleg dafür, wie weit es in den USA mit dem politischen Anstand gekommen ist.

Letztlich entscheiden aber auch in den USA die Gerichte – und nicht durchgedrehte Republikaner. Bislang haben Leute wie McCarthy und andere Anhänger von Trump keine Chancen gehabt. Deshalb sollte man McCarthys Umtriebe vielleicht nur als Belebung des politischen Alltags betrachten. Möglicherweise geht sein Schuss sogar nach hinten los. Auch die „Gegenseite“ könnte Anschuldigungen vortragen – naheliegende oder erfundene.

Zum Beispiel, dass sich McCarthy wegen seiner politischen Ausraster in psychiatrischer Behandlung befindet. Oder dass er auf der Gehaltsliste von Donald Trump steht. Und dass er deswegen Wahlbetrug begangen hat. Vielleicht entdeckt jemand sexuelle Abenteuer in McCarthys Jugend. Seine finanziellen Verhältnisse laden zur Spekulation ein. Und alkoholische Exzesse machen sich immer gut.

Über Heiner Jüttner:

Der Autor war von 1972 bis 1982 FDP-Mitglied, 1980 Bundestagskandidat, 1981-1982 Vorsitzender in Aachen, 1982-1983 Landesvorsitzender der Liberalen Demokraten NRW, 1984 bis 1991 Ratsmitglied der Grünen in Aachen, 1991-98 Beigeordneter der Stadt Aachen. 1999–2007 kaufmännischer Geschäftsführer der Wassergewinnungs- und -aufbereitungsgesellschaft Nordeifel, die die Stadt Aachen und den Kreis Aachen mit Trinkwasser beliefert.