Aufträge und Aufmerksamkeit verspricht die Kulturpolitik Saudi-Arabiens. Dabei fehlt oft der Blick auf die Menschenrechte im autoritären Regime.
“Shame on the Sacklers – Schande über die Sacklers“: Der Slogan, unter dem es der Kampagne der Fotografin Nan Goldin gelang, die Pharmadynastie Sackler als Sponsoren aus US-Museen zu vertreiben, gilt als epochaler Erfolg bei dem Ringen um einen ethisch verantwortlichen Kunstbetrieb. Es schmälert den Erfolg, wenn diese erkämpften Standards nur selektiv gelten. Nehmen wir den Fall von Ute Meta Bauer.
Die deutsche Kunstwissenschaftlerin ist ein big shot des internationalen Kunstbetriebs. Bauer arbeitete 2002 für Okwui Enwezors documenta 11, 2004 kuratierte sie die 3. Berlin Biennale. Bauer war Professorin in Wien und am renommierten Massachusetts Institute for Technology (MIT) nahe Boston. Seit 2013 leitet sie das Center for Contemporary Art in Singapur. Sie gehörte auch zur Findungskommission der documenta fifteen, die das umstrittene indonesische Kurator:innen-Kollektiv ruangrupa für Kassel vorschlug.
Wie kann es sein, dass sich diese Frau nun in Saudi-Arabien verdingt? Weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit war sie im März zur Kuratorin der zweiten Diriyah Biennale berufen worden, die kommenden Februar in Riad eröffnen soll.
Die vor drei Jahren gegründete Kunstbiennale, benannt nach dem historischen Vorort Riads, in dem sie stattfindet, war auf Geheiß von Kronprinz Mohammed bin Salman gegründet worden, dem De-facto-Herrscher seines Königreichs. Neben Autorennen und Popkonzerten von Alicia Keys über David Guetta bis Mariah Carey spielt bildende Kunst eine zentrale Rolle in der „Vision 2030“, mit der der 39-jährige Monarch bin Salman sein Land reformieren will.
Die erste Ausgabe der Diriyah Biennale hatte im Januar 2022 mit Philip Tinari, der diktaturerprobte US-Direktor des UCCA Center in Peking, unter dem Titel „Feeling the Stones“ kuratiert. Der Titel spielte auf die „Reform und Öffnung“ genannte Transformationsperiode in Deng Xiaopings China nach dem Tod Mao Zedongs 1976 an. Die Diriyah Foundation organisiert zudem eine Biennale für Islamische Kunst, die in diesem Frühjahr Premiere hatte. In Riad wurde mit „Noor Riyad“ das größte Lichtkunstfestival der Welt ins Leben gerufen und das Kunstzentrum Fenaa Alawwal eröffnet.
Im Sold des Kronprinz Mohammed bin Salman
Im vergangenen Jahr gelang Ute Meta Bauer das Kunststück, in Istanbul eine Biennale zu kuratieren, die internationale und türkische (Kunst-)Initiativen gegen autoritäre Herrschaft vernetzen sollte. Und nur bald darauf stand sie im Solde von Kronprinz Mohammed bin Salman. Des Mannes, der kurzen Prozess mit seinen zivilgesellschaftlichen Gegner:innen macht, in dessen Reich auf Homosexualität die Todesstrafe steht und dem der Auftrag zu dem Mord an dem Blogger Jamal Khashoggi 2018 im saudischen Generalkonsulat in Istanbul zur Last gelegt wird.
Das „blood money“, wie es US-Aktivist:innen bei den Sacklers beschrien, es klebt auch an der Diriyah Biennale. Man reibt sich die Augen, wer alles davon etwas abbekommen will
Das Pariser Centre Pompidou will den Saudis in der Wüste beim Bau eines Museums behilflich sein. Das Haus für zeitgenössische Kunst soll in der Oase Al-’Ula, 400 Kilometer nordwestlich von Medina entstehen, dem Kreuzungspunkt der legendären Weihrauchstraße – ein atemberaubender Standort archäologischer Funde aus der vorislamischen Zeit.
Die Federführung bei dem Aufbau der Pompidou-Sammlung übernimmt mit Iwona Blazwick die ehemalige Direktorin der Londoner Whitechapel Gallery. 2002 war die Britin an die Spitze der 2017 gegründeten „Königlichen Kommission für Al-’Ula“ gewechselt.
Die Institution unter dem Schirm der „Vision 2030“ und der Obhut des Kulturministeriums zeigt dort alljährlich eine gigantische Open-Air-Skulpturenschau. 2022 stellte hier die mit ihren raumgreifenden Installationen vom Kunstbetrieb gefeierte deutsche Bildhauerin Alicja Kwade aus, nicht weit entfernt arbeitet der auch in vielen europäischen Museen zu sehende US-Lichtkünstler James Turrell an einem Werk für das neue „Tal der Kunst“.
Schon im Februar 2022 hatte ausgerechnet die britische Politikerin Nadine Dorries, damals Tory-Kulturministerin, am Rand der ersten Diriyah Biennale ein „Memorandum of Understanding“ mit ihrem saudischen Amtskollegen, Prinz Farhan al-Saud, unterzeichnet. „Kultur hat die Macht, Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund zu vereinen, und dieses neue Abkommen wird unsere Verbindungen in den Bereichen Film, Museen und Kulturerbe stärken“, twitterte damals beseelt die britische Politikerin. Die Menschenrechte erwähnte sie nicht.
Keine sexuellen Anspielungen
Das Andy Warhol Museum in Pittsburgh zeigte in diesem Februar eine auf jede sexuelle Anspielung verzichtende Schau des schwulen Pop-Künstlers in der Kunsthalle Maraya mitten in der Wüste bei Al-’Ula. „How not to artwash Saudi Arabia’s gruesome Human Rights Record“, kritisierte Sarah Lea-Wilson, die Chefin der von Jamal Khashoggi gegründeten NGO Democracy for the Arab World Now (Dawn) die von Museumsdirektor Philip Moore kuratierte Warhol-Schau scharf.
In den Schatten stellt aber alle diese Projekte die Kunststadt „Neom“. Das Siedlungsprojekt auf 26.500 Quadratkilometern im Nordwesten Saudi-Arabiens an der Küste des Roten Meeres umfasst unter anderem die 170 Kilometer lange, 200 Meter breite und 500 Meter hohe Bandstadt „The Line“. „Hier entsteht ein Platz für die Träumer einer neuen Welt“, beschied Kronprinz bin Salman die Kritiker:innen dieser „vertikalen Stadt“. Sie soll 500 Milliarden US-Dollar kosten, fast so groß wie Belgien werden, 9 Millionen Menschen beherbergen, im Jahr 2030 öffnen und bis 2045 angeblich klimaneutral sein.
Einheimische Kritiker dieser von Kronprinz bin Salman euphorisch „Revolution der Zivilisation“ genannten Einheit wurden allerdings rabiat vom Feld geräumt. Einer von rund 20.000 Beduin:innen, deren Unterkünfte zwangsgeräumt wurden, wurde von Regierungskräften getötet. 2022 wurden drei protestierende Bewohner zum Tode und weitere zu langjährigen Haftstrafen von bis zu 50 Jahren verurteilt.
Trotz des rigiden Vorgehens der saudischen Behörden beteiligt sich die internationale Architekten-Community bereitwillig an dem Bauvorhaben.
Dazu gehören Büros wie das des tansanischen Stararchitekten David Adjaye, der kürzlich auch wegen Missbrauchsvorwürfen in die Kritik geraten war. Aber auch die östereichischen Dekonstruktivismus-Avantgardisten um Coop Himmelb(l)au und das US-Büro Morphosis sind dabei. Schon 2018 hatte sich dagegen Sir Norman Foster, Architekt der Berliner Reichstagkuppel, unter Hinweis auf den Khashoggi-Mord aus dem Beratungsgremium des gigantischen Projekts zurückgezogen.
Gemessen an dem „Sackler-Standard“ der moralisch einwandfreien Kollaboration hätte Ute Meta Bauer überhaupt nie in Riad anheuern dürfen. Alle, die schon mal in Saudi-Arabien waren, können zwar die Argumente von der „Gesellschaft im Umbruch“ und dem „Saudi im Wandel“ nachvollziehen, zu denen Bauer beitragen will, wie sie nach langem Schweigen nun in Interviews erklärt. Junge Künstler:innen haben in Saudi-Arabien einen größeren Spielraum als noch vor wenigen Jahren.
Enge Grenzen der Diskurse
Doch wenn Bauer Reportern gegenüber zugibt: „Man darf keine anderen Religionen promoten oder keine sexuellen Inhalte zeigen“, wird offensichtlich, welch enge Grenzen ihrem Versuch gesetzt sind, „kritische Diskurse zu entwickeln“. Und der gewandelte soziokulturelle Kontext ändert nichts an der Tatsache, dass die Biennale unter der direkten Kontrolle des kompromittierten Kronprinzen steht und von ihm bezahlt wird. Gemessen an dem Blutzoll, den die Reformen bin Salmans bei allen neuen Freiheiten das Land auch gekostet haben, wäre der Monarch der saudische Sackler.
Lässt sich in einem solchen Kontext die Freiheit von Kunst wahren? Oder unterstützt diese ästhetische Kollaboration das Artwashing von Diktaturen? Und jetzt, wo in Nahost ein Krieg ausgebrochen ist, kann Bauer in Saudi-Arabien dann noch eine Biennale kuratieren, während der Kronprinz als Zeichen der Solidarität mit den Palästinensern offenbar die Normalisierung der Beziehungen mit Israel auf Eis legt?
Danach zu fragen, hat nichts mit Gesinnungsschnüffelei zu tun. Es geht auch nicht darum, die zarten Pflänzchen für Demokratisierung und Kulturaustausch auszutreten, als die Museen und Biennalen gerade in autoritären Staaten wirken können. Doch wenn die Frage nach der Ethik der Kollaboration ernst gemeint ist, sollten sie nicht nur bei den Sacklers gestellt werden. Oder wenn die italienische Regierung einen Rechtspopulisten als neuen Präsidenten der Venedig-Biennale durchdrückt.
Schon jetzt verpflichten diverse UN-Prinzipien Unternehmen wie Museen bei ihren Aktivitäten in sensiblen Regionen, die Lage der Menschenrechte zu bedenken. Auch in Riad muss die Frage nach der moralischen Verantwortung von Kunst und Kurator:innen gestellt und beantwortet werden. Wenn der Kunstbetrieb als moralische Avantgarde ernst genommen werden will, darf er nicht mit zweierlei Maß messen.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag. Die taz-Redaktion hat dieses Mal zahlreiche Links gesetzt – alle zu sich selbst. Die Veröffentlichung an dieser Stelle enthält dagegen zahlreiche externe – nachträglich gesetzte – Links.
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