Der Beueler Extradienst ist voll mit diesem Thema: Pressevielfalt? Meinungsvielfalt? Informationsfreiheit? Die gibt es. Aber wie? Und keineswegs ist alles erlaubt. Die Grenzen des Grundgesetzes gelten für Verletzungen der Menschenwürde, Diskriminierungen vielfältiger Art. Dabei ist Sagen und Reden nicht das Gleiche wie Tun. Aber es hängt damit zusammen: auf Hetze folgen Verletzte und mitunter Tote. In einer Demokratie muss das ausgehandelt werden, und zwar ständig – ein nicht beendbarer Prozess. Dazu einige Beispiele von nur einem Tag, dem 8.12.2023.
Presseschauen des DLF höre ich schon seit Jahren nicht mehr. Ich halte sie für eine Simulation von Vielfalt, mit ständig sinkendem Niveau. Ich mag es nicht mehr ertragen. Das Bloggen ist eine Autotherapie gegen dieses Missbehagen. Aber selbstverständlich ist da jede*r im persönlichen Urteil und Gefühl frei.
Wissen Sie von den Massenvertreibungen afghanischer Flüchtlinge aus Pakistan? Ich hatte schon nebulös davon gehört. Emran Feroz/overton weiss mehr: “Selektive Solidarität – Aufgrund des Krieges in Nahost wurden in den letzten Wochen demonstriert, wie schon lange nicht mehr. Eine der größten Massenvertreibungen der Gegenwart findet allerdings woanders statt – und erlebt fast keinerlei Aufmerksamkeit.” Weitere knapp 3 Mio. Afghan*inn*en haben im Iran Zuflucht gefunden. Dort leben sie am unteren Ende der sozialen Hierarchie, in der sich die “arischen” Perser*innen als ganz oben dünkeln. Was, wenn sich die dortigen Mullahs zu ähnlicher Brutalität entschliessen? Zuzutrauen wärs ihnen …
Zu Afghanistan auch ein Interview von Alena Bieling/ipg-journal: “‘Wer protestiert, wird brutal unterdrückt’ – Die afghanische Menschenrechtsaktivistin Shaharzad Akbar über Geschlechterapartheid, Lehren der Militärintervention und Kooperation mit den Taliban.”
Zum Begreifen der strategischen Interessen des iranischen Mullahreginmes gibt es im ipg-journal einen erhellenden Beitrag der ehemaligen taz-Redakteurin Hanna Voss aus Beirut: “Verschleierte Unterstützung? – Iran wird vorgeworfen, in die Attacke der Hamas involviert zu sein. Doch hat Teheran an einer Eskalation des Konflikts wirklich Interesse?”
Als Extradienst-Leser*innen wissen sie von Anis Amri und Thomas Mosers journalistischer Besessenheit von diesem Attentat und seiner unterbleibenden Aufklärung. Hier seine ebenfalls bei overton erschienene Bestandsaufnahme: “Breitscheidplatz – Ein deutscher Anschlag? – Sieben Jahre nach der LKW-Attacke auf den Berliner Weihnachtsmarkt: Entgegen der Theorie vom Alleintäter existieren weiterhin Hinweise auf eine Tätergruppierung, darunter in Berlin geborene Personen.”
Und jetzt zum Vergleich: was macht die deutsche Medienvielfalt?
Zunächst ein haha: die oben Zitierten sind deutsche Medien. Aber wüssten Sie von ihnen, wenn sie hier nicht regelmässig empfohlen würden? Wie viele kennen Sie, die sie kennen? Hilft die Unterscheidung zwischen “alt” und “neu”? Nunja, das ipg-journal gehört der Parteistiftung der ältesten Partei Deutschlands.
Wie unterscheiden die sich von den Medien, die Boris Rosenkranz/uebermedien freundlicherweise für uns gelesen hat? “Endlich fragt’s mal einer! – ‘WAS DARF ICH HEUTE NOCH SAGEN?’, fragt die große Illustrierte ‘Stern’ diese Woche in Großbuchstaben auf ihrer Titelseite. Es geht um ‘Gendern, Flüchtlinge, Israel: warum wir nicht mehr vernünftig miteinander reden’. – Topaktuelles Thema also: Meinungsfreiheit. Endlich fragt’s mal einer!” Beachten Sie bei diesem Text auch die beachtlich reflektierten Leser*innen-Kommentare.
Alles Altpapier? Machen es die Jungen besser? Schön wärs. Was Johanna Bernklau/MDR-Altpapier da berichtet, ist mir zwar thematisch ziemlich egal. Was dort aber als journalistische (Nachwuchs-)Praxis sichtbar wird, lässt nur noch erschrecken. Alles geschieht unter dem Dach und redaktioneller Obhut des öffentlich-rechtlichen NDR, dessen Unternehmenskultur offenbar schon weitgehend ruiniert ist. “Rezo vs. STRG_F – Der YouTuber Rezo hat das ‘funk’-Format STRG_F der Lüge und des Framings bezichtigt und dabei in mindestens einem Punkt nachweislich recht. Was genau passiert ist, warum manche STRG_F-Filme der Marke ‘funk’ einen Bärendienst erweisen und was sich unbedingt ändern muss. Heute kommentiert Johanna Bernklau die Medienberichterstattung.” Ich weiss nicht, wie es Ihnen geht. Ich lese das mit zunehmend fassungslosem offenem Mund. Das ist also das, was die dort unter “Recherche” verstehen? Was soll nur werden, unter solchen Umständen?
„Overton“, Westend Verlag, Nachdenkseiten?
Fundamentalopposition, Verschwörungstheorien, Querfront – zusammengerührt unter anderem von Ex-RT Deutsch- Mitarbeitern. Das soll der unterdrückte Teil der Meinungsvielfalt sein? Der wesentliche Sinn dieser Veröffentlichungen ist schlicht Destabilisierung. Nicht vergessen: Es geht derzeit nicht nur um Panzer, Bomben und zerstörerische Drohnen, wir befinden und auch in einem medialen Krieg. Da habe ich nicht die geringste Lust, mich instrumentalisieren zu lassen.
Dem Schluss stimme ich zu. Und die drei Genannten lese ich so kritisch wie alle andern, und empfehle das auch Extradienst-Leser*inne*n. Ex-RT-Mitarbeiter gehören nicht zu meinen bevorzugten Autor*inne*n oder Informationsquellen, was z.B. der von mir empfohlene Emran Feroz auch definitiv nicht ist. Ich rate da immer zu kritischer Betrachtung und Differenzierung. Hier genannte Veröffentlichungen sind auch nicht “unterdrückt”, sondern schlicht weniger beachtet. Das halte ich nicht immer für gut. “Destabilisieren” können die nicht wirklich, jedenfalls nichts, was nicht schon instabil ist.
Danke für die kritische Anmerkung.