Das Wort des Jahres 2023 heißt ‘Krisenmodus’. Da lag ich mit meinen Überlegungen ganz schön daneben. Ich hatte an Wärmepumpe, Kriegsführung oder Rechtsruck gedacht. Krisenmodus ist dagegen ein ziemlich unscheinbares Wort. Der Duden beschränkt sich auf einen einzigen Satz: „auf eine besonders schwierige Lage zurückgehende charakteristische Grundstimmung; auf Krisenbewältigung ausgerichtete Vorgehensweise“. Wikipedia ist hingegen schon auf dem aktuellen Stand: „Krisenmodus ist Wort des Jahres. Der Begriff bezieht sich auf die Anzahl an Krisen, die in diesem Jahr zeitgleich nebeneinander existierten, und auf deren Bewältigung.“
In der Tagesschau vom 8.12.2023 hieß es: „Krisenmodus ist zum Wort des Jahres 2023 gekürt worden. Das teilte die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) in Wiesbaden mit. Auf dem zweiten Platz landete „Antisemitismus“, dahinter „leseunfähig. Eine Jury wählte eine Rangfolge mit insgesamt zehn Wörtern des Jahres aus, die in den vergangenen Monaten in der öffentlichen Diskussion dominant waren und so das Jahr wesentlich geprägt haben.“ Mich hätten die Begriffe auf den Plätzen 4 und 5 eher überzeugt: KI-Boom und Ampelzoff.
So richtig klar wird die Begründung der Entscheidung nicht. War es nun „eine charakteristische Grundstimmung“ oder „die Anzahl der Krisen dieses Jahres“ oder “die Dominanz in der öffentlichen Diskussion“? Und sogleich tauchen neue Fragen auf: Welche Krisen sind gemeint? Welche waren dominant? Welche haben die Stimmung geprägt?
Da der Begriff ‘Krisenmodus’ offenkundig keine große Aussagekraft hat, ist er wohl nur durch seine häufige und vielfältige Verwendung in die engere Wahl gekommen. Krisen gibt es seit Menschengedenken. Alles Mögliche kann in eine Krise geraten, die Bandbreite geht von Ölkrise bis Ehekrise, von Klimakrise bis Absatzkrise. Nun soll all diesen Krisen noch ein (individueller ?) Modus zugeordnet werden. Vielleicht ‘Ampelkrise’ und ‘Neuwahlen’, ‘Schuldenkrise’ und ‘Schuldenbremse’ oder ‘Rechtsruck’ und ‘Brandmauer’? Meiner Meinung nach hat die GfdS kein sehr ausdrucksstarkes Wort des Jahres gewählt.
Schauen wir doch mal in den Text der Begründung durch die GfdS: „Krisen gab es schon immer. Aber in diesem Jahr scheinen die Krisen und ihre Bewältigung zu kulminieren. Um einen Satz des Vizekanzlers zu modifizieren: Wir sind umzingelt von Krisen. Noch nicht bewältigte Krisen wie der Klimawandel, der Russland-Ukraine-Krieg oder die Energiekrise werden von neuen Krisen eingeholt. Nahostkrieg, Inflation und Schuldenkrise kamen hinzu.“
Die GfdS weiß auch, wie das in der Bevölkerung ankommt: „Der Ausnahmezustand ist längst zum Dauerzustand geworden. Gefühle wie Unsicherheit, Ängste, Wut, Hilflosigkeit und Ohnmacht prägen den Alltag vieler Menschen. Zwischen Apathie und Alarmismus zu einem angemessenen Umgang mit den andauernden Ausnahmesituationen zu finden, fällt schwer.“
Von ‘Modus’, also von Krisenbewältigung oder -bekämpfung, ist da nichts zu lesen. Also hätte ‘Krise’ oder „Krisenangst“ und nicht ‘Krisenmodus’ zum Wort des Jahres gewählt werden müssen. Obwohl: ‘Krise’ ist viel zu schlicht und unspektakulär und angesichts der Häufung von Krisen allzu beliebig. Außerdem ist ‘Krise’ schon so oft verwendet worden, dass das Wort nur noch abgenutzt und gestrig erscheint. Kaum einer nimmt es noch ernst. Heute muss man mehr bieten. Es gibt doch viel überzeugendere Begriffe, unter denen man je nach Lage die Wahl hat: Katastrophe, Debakel, Desaster, Fiasko oder – wenn alles danieder liegt – Apokalypse.
Nun wissen wir, was wir im vergangenen Jahr alles zu erdulden und zu erleiden hatten. Ich kann die Liste der Krisen gerne noch ergänzen: Politbarometer, Trump-Revival, Kirchenaustritte, AfD-Bürgermeister oder Fußballnationalmannschaft. Auf jeden Fall sind Krisen unerwünschte Ereignisse. Sie bringen Ärger, sorgen für Zwietracht und stören die Alltagsroutine.
Und was sollen wir unter ‘Modus’ verstehen? Modus ist ein vielfältig genutzter Begriff, er wird z.B. in der Statistik, der Stochastik, der Musik, der Grammatik und der Kriminalistik verwendet. Doch das interessiert uns hier nicht. Modus bedeutet schlicht auch Art, Form und Verfahrensweise, also den Umgang mit Krisen oder die Anpassung an Krisen. Den Anspruch, Krisen zu bewältigen und zu bekämpfen, kann man aus diesem Begriff allerdings nicht ableiten.
Manche machen es sich einfach im Umgang mit Krisen, vor allem in der Politik. Da finden wir dann Worte wie vergessen, verdrängen, übersehen, kleinreden, aussitzen, ignorieren, bestreiten oder relativieren. Politiker/innen sind erfinderisch. Man kann die Verantwortung auf andere Politiker oder Parteien schieben, Reaktionen ankündigen ohne etwas zu tun, die Ursachen in der Weltwirtschaft, dem Klimawandel oder der außenpolitischen Lage suchen oder darauf verweisen, dass es anderswo noch viel schlimmer ist. Manche legen sich ein dickes Fell zu und schieben das Wissen um die Krise solange vor sich her, bis die Krise zur Gewohnheit wird und nichts mehr zu ändern ist. Es gibt das Gerücht, dass beim Bundestagspräsidium eine Liste mit Ausreden läge.
Natürlich gibt es auch kleinere Krisen wie den Fachkräftemangel, den Wohnungsmarkt oder den PISA-Test. Nicht zu vergessen die ganz persönlichen Krisen des einzelnen beim Karriereknick, in der Führerscheinprüfung, beim Körpergewicht, im Glauben, beim Seitensprung und anderswo. Gewiss hat jeder Mensch schon eine Krise gehabt, Und jeder musste persönlich seinen Modus finden, damit klar zu kommen.
Für diese Betroffenen gibt es eine Vielzahl von klugen Ratschlägen, Broschüren, persönlicher Beratung und Gruppentreffen. In Berlin bietet sogar ein gemeinnütziger Krisendienst seine Hilfe an. All das richtet sich aber nur an den Einzelnen und seine „kleinen“ Krisen, nicht an den Politiker und dessen „große“ Krisen. Der muss selbst seinen Modus suchen.
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