‚Integrated Business Reporting‘ als neuer Ansatz der Unternehmensberichterstattung – Kurzfassung der Studie
Allgemeiner Kontext zur Studie

Laut Umweltbundesamt lag der Anteil der Wirtschaft (inklusive Landwirtschaft) 2022 am Gesamtausstoß von Treibhausgasen in Deutschland bei rund 60 Prozent. Dieser hohe Wert steht im Missverhältnis zu der geringen Bedeutung, die Umwelt und Klima bislang im deutschen Wirtschaftsjournalismus spielen. Zwar greift der Wirtschaftsjournalismus inzwischen grundsätzlich Nachhaltigkeitsthemen auf. In erster Linie handelt es sich jedoch um Einzelaspekte (zum Beispiel klimafreundliche Technologien) oder einzelne Ereignisse (beispielsweise Greenwashing-Skandale). Was dagegen fehlt, insbesondere in der Unternehmensberichterstattung, ist eine stärker systematische Herangehensweise auf Basis messbarer Parameter. Dies würde die Voraussetzung dafür schaffen, dass Wirtschaftsjournalist:innen – analog zur Bilanz-Berichterstattung – auf fundierter Zahlenbasis und mit vergleichender Perspektive regelmäßig über Nachhaltigkeit und Klimaschutz berichten können.

Methode

Für den empirischen Teil der Studie wurden im Frühjahr 2023 die Bilanz-Pressekonferenzen von Deutsche Telekom, EnBW Energie Baden-Württemberg AG, Deutsche Bahn und Würth-Gruppe sowie zwei Hauptversammlungen (Deutsche Telekom, EnBW) ausgewertet. Der jeweilige Veranstaltungsverlauf wurde protokolliert und analysiert, ob die Reden des Managements sowie die Fragen der Journalist:innen einen Bezug zu ökologischen bzw. sozialen Themen aufwiesen. In einem zweiten Schritt wurde eine Medienresonanzanalyse durchgeführt. Es wurde untersucht, welche Themenaspekte überregionale Tageszeitungen (Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Welt, Handelsblatt, Börsenzeitung) sowie ausgewählte regionale Tageszeitungen in ihrer Berichterstattung über die Unternehmen aufgegriffen haben. Die Recherchen für die Medienresonanzanalyse greifen auf Daten der „WISO – Datenbank für Hochschulen“ zurück.

Ergebnisse
Kontinuierliche Ausweitung der Berichtspflicht: Genügend Daten sind da

Die Untersuchung zeichnet nach, dass es durch gesellschaftliche Megatrends (Globalisierung, Digitalisierung, Klimakrise) notwendig geworden ist, den bisherigen engen Blick auf Unternehmen über Finanzkennzahlen und ‚klassisch‘ betriebswirtschaftliche Aspekte hinaus zu weiten, da sich ökonomische zunehmend mit ökologischen und sozialen Fragen verbinden. Auch in der wirtschaftswissenschaftlichen Debatte verändert sich das Verständnis von Unternehmen als allein auf Gewinnmaximierung ausgerichteter Organisationen hin zu einem umfassenderen Bild: Konzepte wie das sogenannte ESG-Konzept („Ecological/Social/Governance“) versuchen, auch soziale und ökologische Kriterien als inhärenten Bestandteil wirtschaftlicher Organisationen zu modellieren – und gewinnen für die Bewertung von Unternehmen in der Finanzwirtschaft sowie für regulative Vorschriften (unter anderem EU-Richtlinien) stetig an Bedeutung. Allein in Deutschland wird der Kreis der Unternehmen, die soziale und ökologische Kennzahlen in Form von Nachhaltigkeitsberichten publizieren müssen, von derzeit 500 auf rund 15.000 im Jahr 2026 ausgeweitet. Die Datenbasis und -zugänglichkeit einer ganzheitlichen Betrachtung von Unternehmen wird dadurch enorm gestärkt. Insofern ist es von großer Bedeutung, dass der Wirtschaftsjournalismus mit dieser Entwicklung Schritt hält.

Nachhaltigkeit ist bisher ein wirtschafts- journalistisches Randphänomen

Eine Medienresonanzanalyse der Bilanz-Pressekonferenzen von Deutsche Bahn, Deutsche Telekom, Energie Baden-Württemberg und der Würth-Gruppe sowie zweier Hauptversammlungen macht deutlich, dass Wirtschaftsjournalist:innen fast ausschließlich über ‚klassische‘ Finanzkennzahlen und Fragen der Unternehmensstrategie berichten. Sogar dort, wo Management oder Investor:innen Nachhaltigkeitsaspekte zur Sprache bringen, fragen die anwesenden Journalist:innen nur selten nach und greifen diese Themen bestenfalls marginal in ihrer anschließenden Bericht- erstattung auf.

‚Integrated Business Reporting‘ als zeitgemäße Form der Unternehmensberichterstattung

Mit dem ‚Integrated Business Reporting‘ skizziert die Studie einen neuen, praxisnahen Ansatz der Unternehmensberichterstattung, der neben rein ökonomisch-finanziellen auch ökologische (und künftig auch soziale) Aspekte aufgreift.

Zunächst arbeitet die Untersuchung heraus, dass – Stand heute – der Treibhausgas-Ausstoß (THG) eines Unternehmens innerhalb eines Jahres die am besten geeignete Messgröße für die Klimabilanz eines Unternehmens ist und somit die erste Wahl für eine entsprechende Berichterstattung bildet. In den THG-Ausstoß muss dabei neben der eigenen Güterproduktion auch die vor- und nachgelagerte Wertschöpfung einbezogen werden, um ein umfassendes Bild der Klimabilanz des Unternehmens zu zeichnen. Denn oft entsteht erst bei der Nutzung von Endprodukten (z. B. benzinbetriebener Autos) der Großteil der Emissionen. Mit Hilfe dieses Indikators ist nicht nur ein aktueller Status abrufbar, der THG-Ausstoß lässt sich auch über einen längeren Zeitraum verfolgen und bei Bedarf mit den offiziellen Klimazielen des Un- ternehmens abgleichen.

Mit Hilfe der Messgröße ‚Emissionsintensität‘, die den THG-Ausstoß pro ‚Umsatzmilliarde‘ angibt, sind darüber hinaus Vergleiche der Klimafreundlichkeit zwischen Unternehmen einer Branche sowie branchenübergreifende Perspektiven möglich. Für einen umfassenden Klima-Check gilt es, weitere Öko-Indikatoren wie die Energieeffizienz, die Recyclingquote sowie den Anteil der erneuerbaren Energien am gesamten Energieverbrauch eines Unternehmens zu beachten.

Die Untersuchung liefert konkrete Hinweise, wo Journalist:innen die notwendigen Informationen erhalten und verweist auf Fallstricke, die es zu umschiffen gilt. So gibt es Versuche von Unternehmen, die eigene Klimabilanz zu schönen – beispielsweise durch den Kauf von ‚freiwilligen‘ Zertifikaten, die mit dem THG-Ausstoß verrechnet werden. Wirtschaftsjournalist:innen müssen die Entstehung der Zahlen in ihren Recherchen somit auf entsprechende Hinweise prüfen. Der Check der Unternehmensangaben wird erleichtert, wenn eine hohe Konformität mit der sogenannten EU-Taxonomie, dem europäischen System zur Klassifizierung ökologisch nachhaltiger Wirtschaftsaktivitäten, besteht. Die Zertifizierung des unternehmerischen Klimaengagements durch unabhängige Organisationen wie die Science Based Targets Initiative stellt einen weiteren Indikator dar.

Anhand von zwei eigens erstellten Beispielartikeln – einem Bericht über die Bilanz-Pressekonferenz der Würth-Gruppe sowie einem Feature über die Hauptversammlung der Deutschen Telekom – wird demonstriert, dass ,Integrated Business Re- porting‘ bereits heute im wirtschaftsjournalistischen Alltag ohne großen Aufwand umsetzbar ist.

Fazit

Ein Wirtschaftsjournalismus, der sich dem Themenkomplex Nachhaltigkeit in systematischer Weise nähert und mit messbaren Größen areitet, kann in Redaktionen ohne größeren Aufwand etabliert und auch in der Unternehmensberichterstattung umgesetzt werden. Dazu müssen sich die Mitarbeitenden zunächst Klima-Expertise aneignen und die Klima-Komponente standardmäßig in ihre Berichterstattung aufnehmen. Der Treibhausgas-Ausstoß sollte zügig als feste Größe bei wirtschaftsjournalistischen Standards, wie Berichten über Bilanz-Pressekonferenzen, verankert werden – langfristig aber auch bei weiteren wirtschaftsjournalistischen Formaten (beispielsweise Unternehmensporträts) zum Einsatz kommen. In einem nächsten Schritt können weitere Öko-Indikatoren adaptiert werden.

Lutz Frühbrodt ist seit 2008 Professor für Fachjournalismus und Unternehmenskommunikation an der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt (THWS). Der promovierte Volkswirt ist Autor zahlreicher mediensoziologischer und medienökonomischer Publikationen und beschäftigt sich seit einigen Jahren mit Nachhaltigkeitsthemen. Die Lanfassung seiner Studie (ca. 90 Seiten) finden Sie hier.

Über Lutz Frühbrodt / Otto Brenner Stiftung:

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