Längergediente Extradienst-Leser*innen wissen, dass ich von meinem einstigen Arbeitskollegen im NRW-Landtag, dem Kölner Rolf Mützenich, eine gute Meinung habe. Sein Berufsweg von Düsseldorf nach Berlin war und ist mir kein Vorbild, nötigt mir aber Respekt ab. Mehr als der Medienintellektuelle Herfried Münkler, dessen Werk Mützenich im IPG-Journal freundlich rezensiert: Neues Machtgleichgewicht – Die westlich dominierte Weltordnung wird von einem Konzert der fünf Großmächte abgelöst, glaubt Herfried Münkler. Wo bleibt Europa?” Ich möchte gerne abweichende Einschätzungen zu Protokoll geben.

Mützenichs und Münklers Sicht hat zwei entscheidende Schwachpunkte

Die greifbarste ist die von ihnen projizierte Schlüsselrolle Indiens im “Direktorium der multipolaren Ordnung”. In Indien ist die Faschisierung des politischen Systems unter denkbar brutalen ökonomischen materialistischen Bedingungen bereits weit fortgeschritten. Das Modi-Regime bildet einen Verbund mit Oligarchen und verengt die Räume für oppositionelle Kräfte so weit, das sie nur noch unter Lebensgefahr möglich sind. Für die angeblich “wertegeleitete Aussenpolitik” Deutschlands hat es sich damit – vergleichbar den Todesstraflern und Knöchenzersägern in Saudi-Arabien – zu einem umworbenen Partner qualifiziert. Realpolitisch betrachtet – das ist die andere Seite – wächst sein weltpolitisches Gewicht und die Frage stellt sich: soll europäische/deutsche Aussenpolitik das begünstigen oder erschweren?

Aktuell erscheinen mir die Regierungen Brasiliens und Südafrikas geeigneter, eine ausgleichende Rolle in den Konkurrenzen um Weltherrschaft zu spielen. Aber hier muss – wie bei allen Mächten dieses ernsten “Spiels” – immer mitbeachtet werden, dass alle Regimes innenpolitisch auf tönernen Füssen agieren, und jederzeit ein Sturz und Kurswechsel (s. Argentinien, USA, EU inkl. BRD) droht.

Den Kern der chinesischen Instabilität benennt die 32-jährige Katrin Büchenbacher/NZZ: Familien schrumpfen besonders schnell in China – mit tiefgreifenden Folgen für die Grossmacht – Wir tendieren dazu, das Bedrohungsbild Chinas zu überzeichnen und seine innenpolitischen Probleme herunterzuspielen.”

Über lange Linien betrachtet empfehle ich mehr Beachtung für Afrika. Immerhin eine in der Bundesregierung weiss davon.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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