Den Fortschritt – frei von Sektierertum – erkämpfen: zwei Beispiele

Gestern diskutierte ich mit Freund*inn*en den GDL-Streik. Es war kontrovers. Mein Argument war zum einen, dass der Streik für die Deutsche Bahn jetzt bereits teurer ist, als es die Erfüllung der Forderungen wäre (ein entsprechender Text von Maurice Höfgen in der Berliner Zeitung ist digital eingemauert). Zum anderen geht es um die Arbeitsbedingungen – wenn die so schlecht sind, wie heute, finden sich nie die dringend benötigten Fachkräfte. Diesen Gedanken verstärkte mir eine Fussballerin: Merle Frohms (im WAZ-Interview).

Ihr Schlüsselsatz als eine der Besservedienerinnen im Frauenfussball (mit nicht wenigen Werbeverträgen): “Wir bringen ganz viele Dinge mit, die im Männerfußball oft als fehlend bemängelt werden: was Fannähe angeht, was Vorbilder angeht. Ich glaube nicht, dass der Frauenfußball gut beraten ist, allem nachzustreben, was der Männerfußball erreicht hat.” Gebraucht werde stattdessen: “Man muss für die Spielerin beste Bedingungen schaffen: ein gutes Trainingsgelände, gute medizinische Versorgung. Natürlich muss es finanziell jeder Bundesligaspielerin auch möglich sein, mit dem Gehalt ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Und innerhalb der Liga muss es spannend sein, dass man nicht nur drei Topklubs hat, die um die Meisterschaft spielen, sondern dass jeder Spieltag spannend ist, es keine sicheren Punkte gibt.”

Kluge Frau. Wird sie erhört werden? Das ist gelinde formuliert offen. Darüber schreibt sehr gut informiert Mara Pfeiffer/Jungle World: Im deutschen Fußball der Frauen wird über Reformen gestritten: Reform – aber wie? – Der deutsche Frauenfußball soll professioneller werden, Reformen sind dringend nötig – darin sind sich die meisten Beteiligten einig. Doch über das Wie wird gestritten. Der DFB will bald Reformpläne vorlegen, andere haben das bereits getan.”

Utopie? KDP oder KPÖ?

Einige Leser*innen sind von diesem Text schon abgewandert, weil sie sich “nicht für Fussball interessieren”. Strafe muss sein. Hier nun die intellektuelle Belohnung für die Dranbleiber*innen. Klaus Dörre ist gewiss einer der klügsten deutschen Sozialwissenschaftler*innen, weswegen er auch keinen Ehrgeiz entwickelt, eine Klaus-Dörre-Partei zu gründen (Aufatmen meinerseits). Oftmals sind seine Texte in digitalen Publikationen für nichtzahlendes Publikum nicht zugänglich. Die Junge Welt, deren Weltbild er vielfältig widerspricht, hat dieses Wochenende ein Interview mit ihm offengelassen (wird es aber in einigen Tagen in einem Paywall-Archiv vergraben): Claus-Jürgen Göpfert (Interview): »Es wird beinharte Konflikte geben« – Über die Übernahme von Betrieben durch die Beschäftigten und die Utopie vom Sozialismus des 21. Jahrhunderts”.

Als Appetizer Dörres absolut zutreffende Feststellungen zu den Parteien:

“Auch bei der Linken bin ich skeptisch. Ich glaube, dass die Linke insgesamt und selbst die Linkspartei speziell kaum mehr utopiefähig sind. Die Menschen haben nicht mehr die Hoffnung, durch die Wahl dieser Parteien tatsächlich etwas an ihren konkreten Lebensverhältnissen zu verändern.”

“Weil sie die Spannungen, die zwischen dem Entwurf einer besseren Gesellschaft und dem politisch Möglichen zwingend auftreten, nicht produktiv auflösen können, schwanken die verschiedenen linken Strömungen beständig zwischen phantasieloser Anpassung an das Bestehende und einem visionären Wünsch-dir-Was, dem jede Aussicht auf Realisierbarkeit fehlt.”. Das kenne ich von den Grünen genauso.

“Vom Bündnis Sahra Wagenknecht eine soziale Utopie zu erwarten ist vollkommen illusorisch. Das BSW ist utopiefern. Da herrscht die Sehnsucht nach einer alten Republik.”

“Die vorhandenen politischen Parteien stoßen auf breite Ablehnung. Sie werden allesamt nicht mehr als glaubwürdig angesehen. Es gibt ein großes Glaubwürdigkeitsproblem. In den Köpfen vieler Menschen herrscht zugleich völlige Verwirrung. … Es gibt keine Partei mehr, der die Menschen wirklich glauben.”

Als Positivbeispiele benennt Dörre die in einigen Regionen von ihrem Jugendverband erfolgreich übernommene, dann auch bei Wahlen erfolgreiche KPÖ (Salzburg und weitere Regionen) und die Bündnisse zwischen Gewerkschaften und Klimabewegung.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net