Die FDP hat sich mal wieder “erfolgreich” verkämpft. Wofür? Dafür, dass Kinderarbeit, Zwangsarbeit, Menschenrechtsverletzung, z.B.in den abgeschlossenen Nähkäfigen für Frauen und minderjährige Mädchen in Bangladesh, nicht dokumentiert werden. Dass in den den Gerbsäurebottichen für die hübschen Lederjacken von “M&H” in Indien und Pakistan oder beim Kindereinsatz bei der Förderung seltener Erden in Afrika, oder beim organisierten, industriellen Wasserklau an den Bauern bei der Lithium-Förderung in der Atacama-Wüste ENDLICH nicht mehr bürokratisch notiert werden müssen.  Besonders der Mittelstand, der ja ständig an solchen Delikten beteiligt ist, kann jetzt aufatmen. Ach nee – doch nicht?

So und ähnlich jedenfalls hörten sich die sogenannten “Argumente” der FDP an, weshalb sie in Sachen “Lieferkettengesetz” die Koaliitonskarte zog. Was ist die Koalitionskarte? Wenn in einer Koalition die Partner sich nicht einig sind, wie im Bundesrat oder in der EU-Kommission abgestimmt werden soll, dann wird die Koalitionskarte gezogen. Das bedeutet Enthaltung oder Nicht-Zustimmung. Wenn dadurch eine wichtige Meinung deutlich gemacht, eine falsche Abstimmung verhindert oder klares Profil gewonnen werden kann, macht das natürlich Sinn. Im Bundesrat erlebt man das öfter, meist sind aber auch echte Landesinteressen im Spiel. Beim Lieferkettengesetz war das nicht der Fall, denn in Deutschland gibt es längst ein Lieferkettengesetz, das in vielen Punkten strenger ist, als die EU-Regelung.

Für die Industrie längst Routine

Die FDP bemühte sich seit Weihnachten landauf, landab, die “schrecklichen bürokratischen Folgen” der EU-Ricthlinie heraufzubeschwören. All dies zeigt schon ihre mangelnde Sachkompetenz. Denn seit etwa zehn Jahren befasst sich die deutsche Industrie selbst und freiwillig mit der Problematik. Beispielsweise auf den “Daimler Sustainability-Dialogen”, die der Konzern jährlich mit NGOs veranstaltet, ist seit 2010 (!) die Frage der Menschenrechte in Lieferketten immer ein ensthaftes Thema gewesen – gemeinsam erörtert vom Unternehmen mit NGOs und Gewerkschaften nebst konkreten Verabredungen. Niemand beschwerte sich da über Bürokratie und es wurde konkret an der Sache diskutiert. Was für ein Weltbild hat aber die FDP?

Keine Ahnung, was in der Wirtschaft wirklich läuft

Seit der “Wende” 1982 hat sich die FDP nicht nur von ihrem sozialliberalen Flügel verabschiedet, sie hat offensichtlich auch keinen wirklichen Draht mehr zu den realen Problemen der Wirtschaft. Zuviele Hoteliers, möchtegern-Start-Ups und Spielothekenbesitzer  sind inzwischen in der FDP organisiert. Dass ein gut aufgestelltes, nachhaltiges Unternehmen ein Eigeninteresse an einer klaren Regelung der Lieferketten hat, ist bei der FDP noch nicht angekommen. Deshalb haben sie bis zuletzt gegen die EU-Richtlinie zu den Lieferketten gakämpft und Deutschland musste sich mal wieder enthalten. “German Vote” nennt man das höhnisch inzwischen in Brüssel und Straßburg.

Peinliche Niederlage

Diesmal war es für die FDP besonders peinlich: Was haben sie sich immer wieder auf die Koalitionsklausel berufen – auch bei der dritten Abstimmung in der EU-Rat. Womit die FDP nicht gerechnet hat: Auch ohne Deutschland fand sich eine Mehrheit für eine Lieferketten-Richtlinie. Sie ist lausig, noch schlechter als das deutsche Gesetz und – die FDP und ihr Theater gingen vollständig daneben. Die FDP hat nur Deutschland geschadet, dass sich ein wiederholtes Mal als Hort der Lobbyisten profilieren konnte. Christian Lindner müht sich um Schadensbegrenzung für seine Partei und meint, immer noch recht zu haben, wenn er es für Bürokratie hält, wenn Unternehmen sich ernsthaft gegen die Dokumentation oder Vermeidung von Sklavenarbeit, Kinderarbeit, Entrechtung und zum Schutz von Arbeitnehmern einsetzen und  dies auch dokumentieren.

Aliens unter uns?

Könnte es sein, dass sich die FDP in einem ganz eigenem Universum befindet, in dem Menschenrechte und soziale Mindeststandards nichts anderes sind als “übertriebene Bürokratie”? Und könnte dies in irgendeinem Zusammenhang damit stehen, dass die FDP derzeit bei 4% in Umfragen vor sich hin dümpelt?

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net