Aktuelle Beispiele des Verfalls der real existierenden Medienökonomie
Bedarf es noch weiterer Indizien für die Selbstreferentialität der Medienökonomie? Natürlich nicht. Es ist ein Twist der Wirklichkeit und Dialektik, dass sie darum erst recht weiterproduziert werden. Niemand braucht sie. Sie schaffen Überdruss und Gewöhnung. Sie vergrössern die Langeweile unter dem Vorwand, ebendiese bekämpfen zu wollen. Wer personifiziert das besser als der Herr Lanz?
Wobei Personifizierung, zu der ich auch gerne neige um Verantwortung zu markieren, auch in diesem Falle wenig angebracht ist. Es sind die Produktionsverhältnisse, stupid! Das geldgebende ZDF, das doch “uns” allen gehört, verlangt danach. Ein Stab in der Grösse eines mittelständischen Unternehmens produziert die Ware. Zu dem Stab gehört eine Redaktion, die Themen recherchiert und einzuladende Gäste castet, Wiederholungen (Robin Alexander, Karl Lauterbach etc.) sparen Kosten und Arbeit. So kommt dann zustande, was Jonas Schaible im Spiegel aufgefallen ist, und mir, der ich den Spiegel nicht lese, weil Klaus Raab/MDR-Altpapier darauf hinwies. Muss ich das noch kommentieren? Nein, das richtet sich selbst – vor allem Lanz.
Warum das von 83,9 Mio. immer noch 1 1/2 Mio. glotzen? Das ist wohl eher ein Fall für deren Therapeut*inn*en (“Illner” sind übrigens auch nur wenig mehr als 2 Mio. – also an der Uhrzeit liegts nicht).
Ein PR-Ei über einer Toten aufschlagen?
Weit mehr kommentarbedürftig ist, was sich der Spiegel mit der toten Katarzyna Lenhardt erlaubt. Wenn ich es richtig verfolgt habe, zierte die Tote das Titelblatt der letzten Woche, und die Verlagsorganisation dieser BND-nahen Zeitschrift fuhr das gesamte Besteck auf, was Multimedia heute aufzubieten hat – um was genau zu beweisen? Wer schuld war? War es Herr Boateng? Waren es die Eltern? War es der Alkohol? Oder andere Drogen? Wie konnte die ganze Tragödie passieren? Das sind doch die Antworten, auf die die Welt nun schon seit über drei Jahren ungeduldig wartet.
Von taz-Ressortleiterin Carolina Schwarz weiss ich als Leser, dass sie über einen funktionierenden Verstand verfügt. So dürfte ihr die kritische Feststellung “Metaebenen wie die Verantwortung der Boulevardmedien, Cybermobbing oder Männlichkeitsbilder im deutschen Fußball werden nicht tiefergehend behandelt” nicht schwer gefallen sein. Wie die gleiche Rezensentin wenige Zeilen später dann schreibt “Anhören sollte man den Sechsteiler trotzdem, liefert er doch eine detailreiche Chronik von der Beziehung zwischen Boateng und Lenhardt.” – das ist blankestes Yellowpress-Niveau – unfassbar.
Wenn Herr Boateng der Toten Gewalt angetan hat, dann sollen sich gefälligst Polizei und Justiz darum kümmern. Die Beziehung zwischen ihm und Frau Lenhardt ist unterhalb dieser Schwelle ihre Privatsache. Weswegen das “no-comment”-Schweigen seiner Anwälte das Klügste ist, was die machen können, um dem Medienaffen keinen Zucker zu geben.
Medienproduzierende wie der Spiegel oder die taz meinen sicher mit einigem Recht, dass Frau Lenhardt und Herr Boateng ihnen gehören. Personen öffentlichen Interesses wurden sie nur dadurch, dass ebendiese Medien sie dazu gemacht haben. Das stimmt allerdings mehr, als diesen Täter*inne*n lieb ist.
Wenn Sie angesichts dieses medienökonomischen Terrors immer noch an der Klärung von Gut-und-Böse-Fragen interessiert sind, dann nehmen sie es als späte Gerechtigkeit, von der die Tote leider nichts mehr hat, dass der die öffentliche Figur Lenhardt produziert habende Medienkonzern ProSiebenSat1 nun selbst dem Tode ganz nah ist (s. ganz am Ende des verlinkten Textes). Mörder in diesem Falle die Erbengemeinschaft Berlusconi. Wie es ausgeht: es trifft keinen Falschen.
Der Gut-gegen-Böse-Kreuzzügler Spiegel sollte lieber aufpassen, dass es ihn nicht auch eines Tages erwischt. Und woanders is auch scheisse.
Wie kriege ich nun noch eine konstruktive Wendung in diesen Text?
Das IPG-Journal ist meine Rettung. Zum Thema passend:
Jürgen Neyer: “Die Fakten dicke – Im Superwahljahr ist die Angst vor Desinformationskampagnen groß. Dabei gibt es keinen Grund zur Panik, das eigentliche Problem liegt woanders.”
Zur Mützenich-Kontroverse dieser Woche versuchen es Tobias Fella & Cornelius Friesendorf mit Vernunft (und wie viel Aussicht auf Erfolg?): “Die unbeabsichtigten Folgen der Zeitenwende – Im Nebel des Krieges gibt es keine einfachen Lösungen, sondern nur Risiken und Zielkonflikte.”
Und als Hausaufgaben-Preisfrage für Sie: warum bekommt diese Mitarbeiterin so viel Talkshoweinladungen weniger als ihre SWP-Arbeitskolleg*inn*en? (Auflösung ganz unten). Muriel Asseburg: “Nothelfer in Not – Israelischer und internationaler Druck schränken das Palästinenser-Hilfswerk stark ein. Dabei ist die Bevölkerung in Gaza auf UNRWA angewiesen.” Auflösung: sie trägt auf den redaktionellen Listen potenzieller Expert*inn*en das Adjektiv “umstritten” – also sowas, wie er.
Medienvertrauen? Dann forscht mal schön.
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