Das hat zweifellos die KPÖplus. Was es mit dem “K” für “Kommunistisch” auf sich hat, das hat eine offenbar irritierte österreichische Medienöffentlichkeit, weitgehend unbemerkt von deutschen Medien, rauf und runter diskutiert, und das linke Sektenblättchen Junge Welt hat netterweise aufgepasst: Barbara Eder: Antifaschismus der KPÖ: Erbe des Widerstands – Österreich: KPÖ-Politikerin beharrt in Diskussion über Umbenennung auf historischer Bezeichnung”. Aber wer will noch was von Antifaschismus wissen, wenn Faschist*inn*en längst (oder bald) regieren? Naja, ich jedenfalls. Demokratische Parteien, denen ihr Leben lieb ist, sollten mindestens Isolde Charim/taz lesen: Wahlerfolg der Kommunisten in Österreich: Ein Label, kein Parteiapparat – Die Wahlerfolge der KPÖ+ in Graz und Salzburg sind nicht so sehr Ausdruck eines Linksrucks. Sie sind eher Symptom für ein tiefes Misstrauen.” Aber natürlich nur, wenn sie gerade Zeit haben. Oder es sich leisten können, Angestellte fürs Lesen zu bezahlen. Wer kann sich sowas heute noch leisten?

Postcorona-Debatte – der erste gute Text

Keinen Fehler auslassen ist schon lange die Devise der Ampelregierung. Insbesondere erweist sich die seherische Qualität von Helmut Lorscheid, der von Anfang an wusste, dass Karl Lauterbach kein Bundesministerium führen kann. Aber auf Helmut hört Olaf ja nicht. Lauterbach hat eine PR-Strategie für sich selbst, und dafür zahlreiche Feldbetten in Talkshowstudios. Aber auf eine Strategie für die Sicherung öffentlicher Gesundheit, und die Entfaltung eines demokratischen Diskurses um selbige, können mann und frau bei deutschen Gesundheitsministern lange warten. Den Job kriegen immer solche, die die*der Bundeskanzler*in unschädlich machen will – unschädlich für sich selbst.

Hier die zarte aktuelle Pflanze der Vernunft. Martin Rücker/Berliner Zeitung: RKI-Protokolle sollten Konsequenzen haben – als Erstes für den Journalismus – Die Dokumente des Corona-Krisenstabs aus dem Robert-Koch-Institut zeigen multiples Versagen auf. Auch Karl Lauterbach muss Konsequenzen ziehen.” – immerhin “Meistgelesen” Rang 4.

Einige mir spontan einfallende Fragen, die sich nach dem Prinzip “hinterher ist mann*frau immer schlauer” aufdrängen:

Wie ist die Verhältnismässigkeit der getroffenen Massnahmen aus heutiger Sicht zu bewerten? Welche Erfolge lassen sich für welche Massnahme nachweisen? Wenn nicht, warum wurde es nicht erforscht, bzw. entsprechende Forschung beauftragt?

Z.B. zur Wirksamkeit/Nichtwirksamkeit welcher Masken? Welcher Lockdowns? Welcher Schliessungen und temporären Berufsverbote, nach Branchen aufgeschlüsselt?

Wie errechnet sich aus heutiger Sicht Schaden/Nutzen speziell auf einzelne Bevölkerungsgruppen: Kinder, Jugendliche, Kranke, Ältere, Pflegekräfte u.a. Dienstleistungsberufe. Wie werden Folgeschäden oder auch Folgenutzen ermittelt?

Politik und Verwaltung: warum wurde keine interdisziplinäre wissenschaftliche Beratung organisiert? Wie wollen die ungefragten Wissenschaftsdisziplinen in Zukunft ihre Position in der Politik- und Verwaltungsberatung absichern?

Wie ist die weitgehende Abmeldung parlamentarischer Entscheidungen zugunsten der Ministerpräsident*inn*enkonferenz mit Bundeskanzler*in verfassungsrechtlich begründbar? Soll das in Zukunft immer so laufen? Auf welcher gesetzlichen Grundlage?

Insbesondere stellen sich haushaltsrechtliche Fragen (“Königsrecht” des Parlaments). Wer hat die fachliche Kompetenz und die politische Berechtigung zum Abschluss milliardenschwerer Deals von Masken bis zu Impfstoffen u.a. Medikamenten? Wie wurden, und wie werden in Zukunft die wissenschaftlichen Standards bei Erprobung und Zulassung abgesichert, und zwar insbesondere in Stress- und Krisensituationen? Auf welcher gesetzlichen Grundlage?

Welche aussenpolitischen Schäden hat die Impfstoffprohibition, auf die insbesondere die Bundesregierung international gedrängt hat, nach sich gezogen? Und wie viele Todesopfer in nicht oder unzureichend belieferten Ländern?

Gesetzliche Grundlagen bestimmt der Gesetzgeber. Das ist nach dem Grundgesetz in Deutschland das Parlament. Wann und wie gedenkt es die lange Liste solcher schwieriger Fragen zu beraten?

Wie erwähnt, nur mal ganz spontan gefragt …

Krieg oder Frieden gegen Drogen

Seine Rolle gefunden hat der Präsident Kolumbiens Gustavo Petro. Es ist eine mutige und sehr gefährliche Rolle. Er wäre der Erste, der damit Erfolg hat. Pablo Castaño/Jacobin: Gustavo Petro geht neue Wege im Kampf gegen das Kokain – Kolumbiens Präsident Gustavo Petro erklärt den US-geführten »War on Drugs« für verloren und geht einen anderen Weg, um den Drogenhandel einzudämmen: Statt Koka-Bauern mit tödlicher Repression zu begegnen, will er ihnen wirtschaftliche Alternativen bieten.”

Putin hat seine Rolle schon lange gefunden – zu welchem Preis?

Dazu schreiben informativ und differenziert:

Roland Bathon/telepolis: Terror-Debatte in Russland: Für Moskau führt Spur in die Ukraine – Islamistische Täter plus ukrainische Beteiligung heißt es in Politik und Medien. Putin verweist auch auf tschetschenische Kämpfer in der Ukraine. Was noch diskutiert wird.”

und

Lisa Gürth/IPG-Journal: Die Rückkehr des Terrors – Stabilität und Sicherheit lautet das Versprechen Putins. Der islamistische Anschlag in Moskau beschädigt das Image des russischen Präsidenten erneut.”

Diese Texte enthüllen, dass die scheinbare Souveränität des Präsidenten fast ausschliesslich aus seiner Geheimdienstsozialisation gespeist ist. Der Kerl fürchtet jedes demokratische Element, und sei es objektiv noch so ungefährlich für seine Macht. Es ist die Paranoia der klandestinen Verschwörer, die vor allem eins fürchten: Öffentlichkeit. Diese vorgespielte Stärke ist der Kern ihrer Schwäche.

Aber nun suchen Sie mal (s.o. Postcorona) die demokratischen Kräfte, die dem eine wirksame Strategie entgegenhalten. Nato, EU und Bundesregierung schwächen statt Putin permanent sich selbst. Und merken es noch nicht mal. Es gelingt dem Despoten (und nicht nur diesem, ich erinnere an den Flüchtlingsdeal mit Erdogan, oder die geschäftstüchtigen arabischen Feudalverbrecher), sie stattdessen auf das Niveau seiner Machtphilosophie herabzuziehen. Das ist so dramatisch, dass es einer Revolution bedarf. Irgendwann, wenn ich tot bin.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net