Beueler-Extradienst

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Bissig in der Wagenburg

mit Update 8.4.

Das Tragische an Selbstferentialität ist: die leidenden Betroffenen merken es gar nicht. Das Leid ist schmerzfrei, und darum so selbstverstärkend. Dieser Gedanke drängte sich in mir nach vorne bei den was-mit-Medien-Reaktionen auf “Der neue öffentlich-rechtliche Rundfunk”. Ich gestehe: bei Unterschriftensammlungen schaue ich selbst zuerst darauf, wer sie mit welchem Interesse initiiert hat. Das zu ermitteln ist immer sachdienlich. Und bei diesem Text habe ich meine Kritik bereits stichwortartig vermerkt.

Was ich dazu jedoch fast flächendeckend gelesen habe, war auf eine schon tragikomische Weise ehrpusselig. Wie wenige Journalist*inn*en waren denn dabei? Und wie gut sind die überhaupt? Die haben doch garnix zu sagen usw. usf. Inhaltliche Auseinandersetzung fand kaum statt, allenfalls mit der Behauptung, das mit der Einschränkung der Meinungsfreiheit in den Anstalten stimme gar nicht. Dabei ist für die angeblich “liberaleren” Anstalten (ein Klischee der 80er Jahre) NDR (“Klimabericht”) und WDR (Wulf-Mathies-Bericht) geradezu das Gegenteil durch hausintern beauftragte (!) Untersuchungen dokumentiert: die hausinterne Meinungsfreiheit ist radikal ungleich verteilt – eine Machtfrage (wie fast überall).

Dieser Streit wird vermutlich nie zuende gehen. Muss er auch nicht. Aber es gibt Problemstellungen und Interessen, die das überwölben. Die nach Grundgesetz und Bundesverfassungsgericht staatsfern zu organisierenden öffentlichen Medien sind in Lebensgefahr. Die droht von mehreren Seiten. Politisch von Rechts. Gesellschaftlich von unten. Gegen Ersteres muss ein Bündnis der Demokrat*inn*en über andere Meinungsgegensätze (egal ob Ukrainekrieg, Gazakrieg oder Corona) hinweg gemeinsam die Medienfreiheit verteidigen. Sind sie dazu bereit? Wirklich erkennen kann ich das (noch) nicht.

Letzteres ist langfristig noch ernster und gefährlicher: die Arbeit am Publikum vorbei. Das ist nicht mehr zu übersehen (und überhören). Nur eine – im Durchschnitt ältere – Minderheit des Publikums ist überhaupt noch zum Engagement für die öffentlichen Medien bereit. Während diese sich beim verlorenen jungen Pubikum immerhin wieder ranzuwanzen versuchen (mit sehr unterschiedlicher Qualität und Erfolg, aber immerhin, richtig ist das), wird das engagierte ältere Publikum eher als Belästigung empfunden, und strategisch absichtsvoll vor den Kopf gestossen und abgeschreckt – sichtbar beim flächendeckenden Killen der ARD-Kulturwellen im Radio.

Solche strategisch verheerenden Fehler begehen die Anstalten und ihre Führungen, weil sie keine Verbindung zum gesellschaftlichen Leben da draussen haben. Die Rekrutierung ihres Personals war über Jahrzehnte streng elitär kanalisiert – und so ist es dann auch geworden. Quereinsteiger*innen gab es früher. Fritz Pleitgen, Ex-WDR-Intendant, gestand selbst, dass er es zu seiner Intendantenzeit (95-07) nicht mehr in den Sender hinein geschafft hätte. Institutionell wäre die Verbindung in die Gesellschaft (und zurück) Aufgabe der Rundfunkräte. Die scheitern aus zwei Gründen. Erstens Inkompetenz: Verbände delegieren gerne Personen, die sie im eigenen Betrieb weniger belästigen sollen und auf diese Weise beschäftigt sind (“aus dem Verkehr”). Sie sind keine Profis, sondern Amateure, und werden von den Intendanzen inkorporiert.

Womit ich bei zweitens bin: die Gremien verkörpern (via Landesgesetz, die Landtage müssen das regeln) den Verbändekorporatismus der Adenauer-BRD. Sie sind aus der Zeit gefallen. Verschlimmbesserungen durch wechselnde Landtagsmehrheiten haben das Problem nicht gelöst, sondern vergrössert. Die Aufsicht muss professionalisiert werden. Die Mitsprache muss radikal für interessiertes und engagiertes Publikum abseits von Verbänden und Parteien geöffnet werden. Die Techniken dafür gibt es längst – aber ausgerechnet Medienanstalten trauen sich nicht, sie offensiv anzuwenden. Es gibt ja noch nicht einmal eine Kommentarfunktion in ihren Mediatheken (die müsste moderiert werden, was wiederum Arbeit macht und Streit generiert, oje, oje …).

Das Problem an diesen Problemen ist: wenn es nicht schnell geht, ist es zu spät. Das Sterben hat schon begonnen. Ob es noch aufzuhalten ist? Ich hoffe es. Aber ich wette nicht mehr drauf.

PS: etwas reflektierter als Andere Deutschlandradio-Intendant Stefan Raue im Interview (Berliner Zeitung). Sein Eigenlob auf seine eigene Wissenschaftsredaktion teile ich als Hörer – in der Coronapandemie war sie ein Leitmedium. Heute morgen bekam der Intendant Schützenhilfe von seinem Wochenendjournal/Anke Schaefer: “Die Saar – Annäherung an einen Industriefluss” (Audio 45 min). Ich selbst bin an der Emscher aufgewachsen, weiss also, was ein Industriefluss ist. Kompliment DLF, nicht alles ist schlecht, manches sogar gut.

Update 8.4.: Zitate aus dem o.g. NDR-“Klimabericht”, rausgesucht vom Kollegen Heiko Hilker:

„Der Umgangston zahlreicher Vorgesetzter im NDR erschreckt. Von einem erlebten ‘Klima der Angst’ haben viele Mitarbeitende berichtet. Sie erinnerten sich an belastende Situationen in Redaktions- oder Teambesprechungen, in denen sie von ihren Vorgesetzten scharf kritisiert, gelegentlich auch mit einer herabsetzenden Wortwahl gedemütigt wurden.“ (S. 64)

“Im NDR fällt es vielen Mitarbeitenden schwer, einmal getroffene Entscheidungen rückgängig zu machen oder Entwicklungen zu korrigieren. Woran liegt das? Viele Mitarbeitende meinen, es liege an dem Umstand, dass es im NDR so gut wie keine Fehlerkultur gebe.” (S. 67)

Zu ARD aktuell (Tagesschau, Tagesthemen, Tagesschau24) heißt es: „Aus unterschiedlichen Gründen knirscht es in den Redaktionen. Das Klima ist wenig freundlich. Die Stimmung bei ARD-aktuell war noch nie so schlecht. Die Kluft zwischen der Chefredaktion und dem gesamten Rest der Redaktion ist gewaltig.“

Einen angemessen kritischen Kommentar zum “Manifest” gibt es ausserdem von Friedrich Küppersbusch/taz.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. Amina Johannsen

    Habe heute zufällig auch die tolle Reportage über Saar gehört, ein sehr gutes Stück „regionaler“ Radiokultur und Zeitgeschichte.

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