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EU-Asylrecht wird zum Staatsverbrechen

Das neue EU-Asylrecht verdient diesen Namen nicht. Es ist eine einzige Demonstration der Ignoranz und Uneinsichtigkeit der Politik in die offensichtlichen, aber vielschichtigen Ursachen von Flucht und Migration. Was Olaf Scholz einen “historischen, unverzichtbaren Schritt”, nennt und behauptet “sie begrenzt die irreguläre Migration und entlastet endlich die Länder, die besonders betroffen sind” ist ebenso falsch wie unwahr. Es wird nur noch durch die Phrasen Annalena Baerbocks untertroffen, “mit ihrem Ja zur Asylreform” beweise die EU “in schwierigen Zeiten Handlungsfähigkeit”, Europa bekomme damit “verbindliche Regeln mit Humanität und Ordnung.” Sie haben richtig gelesen: Humanität und Ordnung. Was sagt das über die “Feministin” im Auswärtigen Amt? Die Zustimmung zu dieser bürgerrechtswidrigen Mogelpackung ist für alle Grünen eine dauerhafte Schande.

Bundesinnenministerin Faeser – die Person, die in Hessen dafür gesorgt hat, dass die Grünen aus der Landesregierung ausgebootet werden – meint: “Damit haben wir eine tiefe Spaltung Europas überwunden.”    Aha – indem Deutschland, Benelux, Frankreich und Spanien, Portugal und die ganzen Nordstaaten auf die Asylvorstellungen Viktor Orbans, Polens, der faschistischen Regierung Italiens und weiterer rechtstaatlich zweifelhafter EU-Mitglieder weitgehend eingegangen sind, werden neue Maßstäbe gesetzt. Denn ging es bisher in Asylverfahren darum, ob das Asylbegehren individuell begründet sei, geht es zukunftig nur noch darum, “festzustellen, ob Asylanträge unbegründet sind und die Geflüchteten dann schneller von den Außengrenzen abgeschoben werden können.”

Abschiebungen als Staatsziel der Europäischen Gemeinschaft

Genau dieser Tenor durchzieht das gesamte Asylpaket. Abgeschoben wird nämlich deshalb nur in geringer Zahl, weil die meisten abgelehnten Asylbewerber aus anderen, zumeist humanitären Gründen nicht abgeschoben werden – weil ihnen bei der Rückkehr Verfolgung und Lebensgefahr drohen, weil sie als Angehörige von Minderheiten, aufgrund ihrer Religion, sexuellen Orientierung oder Zugehörigkeit zu verfolgten Gruppen (Kurden) oder einfach weil sie staatenlos sind und es kein “Heimatland” gibt, in das sie zurückkehren könnten. Das ist seit 1994, der damaligen Aushöhlung von Artikel 16 Grundgesetz in Deutschland der Fall, wird aber immer verschwiegen. Eine der Begründungen, die für die erneuten Verschärfungen  genannt werden, sei, “dass viele EU-Länder wie Griechenland mit einer Vielzahl von Menschen aus Ländern wie Syrien überfordert” wären. Syrien ist Flüchtlingsland Nummer eins mit einer Anerkennungsquote um die 70% unbestittener Haupt-Herkunftsstaat Flüchtender. Zusammen mit den beiden anderen Haupt-Herkunftsländern Afghanistan und Türkei wird sich daran in absehbarer Zeit nichts ändern. Und die finanzielle und unterkunftsmäßige Hauptlast der Kommunen entsteht nicht durch die Aufnahme von ca. 200.000 Flüchtlingen aus dem Süden, sondern die gleichzeitige Beherbergung von etwa 1 Mio. Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine. Dass diese wie EU-Bürger behandelt werden, obwohl sie es nicht sind, wird für ideologisch sakrosankt gehalten. Sie beziehen Bürgergeld und es findet noch nicht einmal eine formale Bedarfsprüfung statt, obwohl viele geflüchtete Familienagehörige mit Kindern gar nicht bedürftig sind, weil ihr*e Partner*in als Soldat*in in der Armee oder in der Verwaltung oder der Rüstungswirtschaft weiter gut bezahlt wird.

Die Festung Europa wird mit Beton ausgegossen

Menschen aus als “sicher” geltenden Ländern sollen von Anfang an unter “haftähnlichen Bedingungen” in streng kontrollierte “Aufnahmeeinrichtungen” an der EU-Außengrenze kommen. “Haftähnlich” ist ein Euphemismus, der nichts anderes als Freiheitsentzug und Abschiebehaft vom ersten Tag an bedeutet. Wie die EU “sichere” Herkunftsländer einstuft, ist hinreichend politisch bekannt. Tunesien, Marokko und sogar Libyen versuchen die Vertreter*innen der Europäischen Volkspartei regelmäßig zu sicheren Herkunftsländern zu erklären, obwohl dort politische Opposition unterdrückt. Binnenkriege geführt, ethnische oder sexuelle Minderheiten diskriminiert und bestraft werden. Der tunesische Präsident, den die EU-Kommission als Bündnispartner für Verfahren und Lager jenseits der Grenze gewinnen wollte, hat das Parlament entmachtet, verfolgt Minderheiten und predigt Rassismus gegen Flüchtlinge aus dem Sahel und Zentralafrika.  Das Rücknahmeübereinkommen mit der EU hat er aus verständlichen Gründen verweigert, als ihm klar wurde, dass “Rück”nahme die Aufnahme von Menschen bedeuten würde, die mit Tunesien nichts zu tun haben. Das Königreich Marokko gilt als aufgeklärt, verfolgt aber Schwule und Lesben und der Verfassungsschutz berichtet, dass sein Geheimdienst sogar in Deutschland nach Oppositionellen fahndet. Und Libyen ist ein “Failed State”, dessen sogenannte “Küstenwache” aus Sklavenhändlern, Verbrechern, Vergewaltigern und Menschenhändlern besteht.  Finanziert durch EU-Gelder. Die EU will damit nichts anderes, als in neokolonialistischer Manier um jeden Preis und auf Kosten vieler Menschenleben unerwünschte Flüchtlinge loswerden.

Quasi rechtlos…

In diesen Abschiebeeinrichtungen soll “im Normalfall” innerhalb von zwölf Wochen geprüft und entschieden werden, ob Flüchtende Chancen auf Asyl haben – und natürlich auch, ob sie unter die Europäische Menschrechtskonvention oder die Genfer Flüchtlingskonvention fallen. Dieser Vorgang wird dort ohne jede Beratung durch Flüchtlingsinitiativen erfolgen, ohne hinreichenden Rechtsschutz, weil völlig offen ist, ob die meist ehrenamtlich agierenden Anwält*inn*en von Bürgerrechtsorganisationen überhaupt Zutritt zu diesen Gefangenenlagern bekommen werden. Hilfe für traumatisierte Opfer von Krieg, Gewalt oder Vergewaltigung, – z.B. durch die “Libysche Küstenwache”, Menschenhandel oder Schlepperbetrug sind nicht geregelt oder in Sicht. Sämtliche Flüchtlinge, auch Familien mit Kindern, sogar mit Säuglingen, sollen unterschiedslos inhaftiert werden. Mit Inkrafttreten dieser Regelungen werden Flüchtlinge quasi rechtlos.

…ausgeliefert im Schnellverfahren

Ebenso zweifelhaft sind die vorgesehenen “Schnellverfahren” innerhalb von zwölf Wochen. Sachkundige Richter*inn*en und Anwält*inn*en, die im Asylbereich tätig sind, berichten, dass die Entscheidungsfindung in Asylverfahren und bei Kriegsflüchtlingen eine durchaus komplizierte Materie ist, die rechtstaatlich nur von in der Sache erfahrenen und immer von den aktuellsten Länder- und Menschenrechtsberichten auf dem Laufenden gehaltenen Jurist*inn*en entschieden werden kann. Wie dies in den Abschiebegefängnissen an den Außengrenzen der EU oder gar in ähnlichen Einrichtungen, die außerhalb der EU (Italien kooperiert dabei mit Albanien) errichtet werden, gewährleistet werden soll, ist völlig offen. Rechtsberatung und Unterstützung der Geflüchteten ebenso. Fazit: Mit dem neuen EU-Asylrecht verstößt die EU gegen die eigenen Ansprüche einer demokratischen, rechtstaatlichen Gemeinschaft.  Sie weicht in wichtigen Kernfragen der Grundrechte vor populistischen und rechtsextremistischen Forderungen nach Abschottung der Gemeinschaft zurück.

Der EU-Asyl”kompromiss” ist ein Sieg des Populismus über den Rechtsstaat

Ob die EU nach Etablierung dieses Asylrechts noch den Rechtsstaatsprinzipien, wie der Garantie des Rechtsweges für alle aufgrund von Artikel 19 Absatz IV des Grundgesetzes, noch entspricht, ist zweifelhaft. Denn der Trick der EU mit den Abschiebeknästen ist fein ausgedacht. Sie befinden sich formal nicht auf EU-Gebiet, sondern in einer fiktiven Transitzone und damit quasi im EU-rechtsfreien Raum. Dass sich die EU das ausgedacht und beschlossen hat, ist ein menschenrechtlicher Skandal. Der Zerrüttungsprozess, den Ungarns Viktor Orban, die polnische PIS-Partei, die italienische Regierung unter Führung der Neofaschisten und viele andere, wie die AfD in Deutschland, seit Jahren betreiben, hat mit dieser Asylreform in vorauseilendem Gehorsam Gesetzeskraft erlangt.  Aus Angst vor dem Populismus und dem Rechtsextremismus wird in vorauseilendem Gehorsam beschlossen, was die rechten Strömungen fordern. Toll. Das wird die Europawahlen entscheidend beeinflussen und die AfD halbieren – also das schaffen, was der CDU-Vorsitzende und Armutsbeauftragte Friedrich Merz ursprünglich mal versprochen, dann aber aus irgendwelchen Gründen ins Gegenteil verkehrt hat: die AfD nicht zu halbieren, sondern zu verdoppeln. Aber Europa beginnt sich den USA unter Trump anzupassen: Man sucht das Heil im Mauerbau. Walter Ulbricht lässt grüßen – zur Abwechslung mal, um Menschen nicht ein- sondern auszusperren.

Umverteilung wird vielleicht angepackt

Einen scheinbaren “Erfolg” schreiben sich Nancy Faeser und Annalena Baerbock auf ihre Fahnen: die Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU folge zukünftig einem “Solidaritätsmechanismus”, der Ländern, die keine Flüchtlinge aufnehmen, auferlegt, “Unterstützung zu leisten”, beispielsweise durch Geldzahlungen. Neu ist das nicht, denn schon bisher hätte die EU gegenüber Mitgliedsstaaten wie Ungarn oder Polen finanzielle Sanktionen und die Sperrung von EU-Geldern verhängen können. Allerdings hat niemand in der EU den entsprechenden “Arsch in der Hose” gehabt, dies wirklich zu praktizieren. Aber alles ist besser, als die bisher geltende Dublin-Regelung, nach der Flüchtende nur dort einen Antrag stellen und das Asylverfahren durchlaufen können, wo sie den Erstkontakt mit der EU hatten. Das ist unfair gegenüber Staaten rund um das Mittelmeer und  wurde zudem niemals eingehalten. Folglich ist das Prinzip so löchrig wie ein Schweizer Käse. “Der Asylpakt wirft den Menschenrechtsschutz um Jahre zurück” sagt Karl Kopp, Geschäftsführer von Pro Asyl. Recht hat der Mann und es ist zu befürchten, dass im Europawahlkampf wildeste Forderungen zur weiteren Verschärfung dieser Form von Asylunrecht erhoben werden. Dabei zeigt ein Vergleich von Diskussion über Flüchtlinge aus dem globalen Süden mit der Wahrnehmung von Flüchtlingen aus der Ukraine: Solidarität mit Flüchtlingen in Europa ist nach wie vor eine Frage der Hautfarbe und Herkunft und damit ein Gegenstand von strukturellem Rassismus. Und da die EU weder auf die Analyse und Beseitigung von Fluchtursachen, noch über Schritte zur Überwindung kolonialer Abhängigkeiten mit diesen Gesetzen auch nur für einen Cent Gehirnschmalz verwendet hat, ist das Scheitern und die Unwirksamkeit der angeblichen “Lösung” heute schon garantiert.

 

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

2 Kommentare

  1. Helmut Lorscheid

    ..und was bedeutet das für die bevorstehende Wahl? AFD steht für mich nicht zur Wahl, aber auch CDU, SPD,FDP und Grüne sind angesichts dieser Politik nicht wählbar. Was tun? Sinnvoll wäre es ja sich auf möglichst eine der übrigen Parteien zu konzentrieren.

    • w.nissing

      wow…. da bringst du aber unseren Beueler Hofhufschmied in Bedrängnis. Nicht das dem noch die Luft unkontrolliert aus dem Blasebalg entweicht 🙂

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