Euthanasie: Steine – und dann?
In Mönchengladbach hat ein oder haben mehrere bislang Unbekannte eine Wohnstätte der Lebenshilfe attackiert. Das zweite Mal innerhalb weniger Wochen. Der Staatsschutz ermittelt.
In solchen Wohnstätten leben Menschen mit einer Einschränkung von Fähigkeiten, oft Menschen mit Down Syndrom. Sie wohnen dort, leben ihren Lebensabend oder gehen von dort zu Schule oder Ausbildung, zur Arbeit, meist zu einer Werkstätte, in der sie ihren Möglichkeiten angepasste Arbeiten verrichten, Gegenstände produzieren, Dienstleistungen erbringen. Auch in Bonn und Umgebung gibt es die Lebenshilfe. Wer sie kennen gelernt hat, ist stolz auf diese Organisation mit ihren Einrichtungen. Die Lebenshilfe ist vom Besten, was unser Land zu bieten hat. Deren Sinn ist, behinderte Menschen gut in die Welt zu integrieren und ihre Selbständigkeit dabei sowohl zu fördern wie zu sichern.
Der Stein, der in Mönchengladbach während der Nacht zum Montag geworfen wurde, war beschriftet. Es stand darauf: „Euthanasie ist die Lösung.“
Euthanasie haben die Nazis und deren Anhängerschaft in Medizin und Fürsorge betrieben. Diejenigen, die die Nazis für arbeitsunfähig und unnütz hielten, wurden getötet. Adolf der Nazi hat ein einziges Mal persönlich einen Führerbefahl zum Töten unterzeichnet. Er unterschrieb im Oktober 1939 die sogenannte „Euthanasie- Ermächtigung: Reichsleiter Bouhler und Dr. med. Brandt sind unter Verantwortung beauftragt, die Befugnisse namentlich zu bestimmender Ärzte so zu erweitern, dass nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischster Beurteilung ihres Krankenzustandes der Gnadentod gewährt werden kann.”
Das was Hannah Arendt Banalität des Bösen nannte, das steckt Buchstabe für Buchstabe in diesem bürokratisch getexteten Kauderwelsch, dem dann mehr 100 000 Menschen zum Opfer fielen. Das war die Euthanasie. Das Wort im altgriechischen für Tod lautet Thanatos: θάνατος.
Die Anschläge in Mönchengladbach stellen kein wahlloses nationalsozialistisches Draufschlagen dar. Repräsentanten der weitgehend rechts-extremistischen AfD nennen immer wieder Kindheit, Schule, Gesundheit als wesentliche Aufgabenfelder. So Höcke 2023 im berüchtigten Sommerinterview mit dem Mitteldeutschen Rundfunk.
Zeitgenossen, die auf Lebenshilfe- Einrichtungen Steine werfen, haben ihre „Platzanweiser“. Gesunde Schulen für gesunde Kinder. Inklusion muss bendet werden. Höcke damals wörtlich: „Ich habe immer wieder darauf hingewiesen, dass es eine kluge Einordnung gibt, die lautet: Gesunde Gesellschaften haben gesunde Schulen“.
Merkwürdig ist in diesem Zusammenhang auch etwas anderes: Über offenkundig an- oder betrunkene Dumpfbacken auf Sylt mit ihrem widerlichen Gegröle regt sich die Republik tagelang auf. Okay so. Das Echo auf die Empfehlung, Euthanasie wieder zu betreiben, ist eher bescheiden. Das ist nicht okay. Ich beginne, einen Satz anders einzuordnen, den ich auf Sitzungen der Bad Godesberger Bezirksvertretung aus dem Mund eines AfD- Typen gehört habe: 2025 wird abgerechnet.
Mir kommt Bertolt Brecht in den Sinn mit einem Satz ein aus dem „aufhaltsamen Aufstieg des Arturo Ui“. Da heißt es im Epilog:
„Dass keiner uns zu früh da triumphiert –
der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“
Das ist wohl so. Zuerst wird gelacht und geredet und gegrölt und dann werden Steine geworfen. Und dann …?
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