Zu Nato-Besorgnissen Russlands, der US Ukraine-Strategie, der Kuba-Krise und ihren Lehren und zum heutigen Spiel mit dem Feuer
BILD schrieb über eine „üble Verzerrung“ einer Aussage des Kanzlers in einem Bürgerdialog, wonach die Ukraine in den nächsten 30 Jahren nicht Nato-Mitglied werden würde. Das hätte er schon 2022 gesagt, in Beantwortung der „absurden“ Besorgnisse auf russischer Seite. Der Regierungssprecher fügte hinzu: Die weitere Entwicklung über eine „mögliche Aufnahme der Ukraine in die Nato“ sei inzwischen „eine ganz andere Diskussion“, die zwar aktuell „nicht geführt wird“ – aber wenn, dann unter völlig anderen Vorzeichen als vor Kriegsbeginn.
Es ist völlig korrekt, dass der Bundeskanzler am 14. bzw. 15. Februar 2022 in Kiew bzw. Moskau öffentlich erklärte, ein Nato-Beitritt der Ukraine stünde nicht auf der Tagesordnung. In Kiew widersprach ihm Selenskyj: „Von uns gibt es aber kein Signal, dass die NATO-Mitgliedschaft nicht auf der Tagesordnung steht…Dieses Signal kommt nicht von uns, sondern von den Leadern anderer Staaten.“
Das Offenhalten der Ukraine-Nato-Option
In Moskau widersprach ihm Putin. „Wir bekommen zu hören, dass die Ukraine nicht reif für eine Nato-Mitgliedschaft sei. Wir kennen diese These …. Wann wird sie denn aufgenommen? Es heißt, wenn sie darauf vorbereitet ist, und dann kann es schon zu spät für uns sein. Deshalb wollen wir diese Frage jetzt lösen …“ Diese Frage war Gegenstand des Nato-Russland-Rates am 12. Januar 2022. Sie wurde „selbstverständlich“ nicht gelöst.
Warum erklärte der Bundeskanzler 2022, die Frage einer Ukrainemitgliedschaft in der Nato stelle sich aktuell und womöglich auch in 30 Jahren nicht, statt sich eindeutig gegen einen Nato-Beitritt der Ukraine zu positionieren? Damit hätte er doch den „absurden“ russischen Besorgnissen den Wind aus den Segeln genommen. Die Antwort, die niemand wissen will, ist ganz einfach: Weil die USA (Nato) wegen der Ukraine nicht das Risiko einer direkten militärischen Konfrontation mit Russland eingehen wollten, aber gleichzeitig die Ukraine brauchten, um gegen Russland vorzugehen, um es strategisch zu schwächen, wenn nicht gar zu „ruinieren“. Also hielt/hält man die Option einer Nato-Mitgliedschaft der Ukraine offen, um sich dort ungestört zu tummeln, geheimdienstlich und militärisch.
Auch das legt der NYT-Artikel offen, der Anfang 2024 speziell über die Operation „Goldfisch“ berichtete, sprich, zu welchem Paradies die Ukraine für die CIA nach dem Maidan wurde. Angeblich war die Ukraine seit mehr als 10 Jahren der „wichtigste Geheimdienstpartner“ der CIA, wenn es um Russland ging. Die CIA hat dort 12 Basen. Seit dem Gespräch zwischen Biden und Putin am 7. Dezember 2021 ist die komplette Strategie offensichtlich. Politico berichtete.
Erstens: Biden warnte Putin eindringlich vor einer Invasion der Ukraine und kündigte massive Konsequenzen an (schwerste wirtschaftliche Sanktionen, Waffenlieferungen an die Ukraine, womöglich mehr US-Truppen in Europa).
Zweitens: Biden erklärte, es gäbe auch eine „gute“ Nachricht, etwas Grund zu Optimismus. Es sei verabredet worden, über die russischen Besorgnisse in Bezug auf die Nato zu reden. Jake Sullivan, sein Sicherheitsberater, präzisierte gegenüber der Presse, dass weder die militärische Positionierung der USA in Europa noch eine potentielle Nato-Mitgliedschaft der Ukraine verhandelbar sei. (“Biden also made no commitments or concessions on NATO regarding a reduced U.S. presence or Ukraine’s potential membership, Sullivan said.”)
Drittens: Biden schloss eine direkte militärische Involvierung der USA gegen Russland aus. Die USA werden Nato-Territorium verteidigen, das sei ihre „heilige“ Pflicht. Die Ukraine sei nicht Nato-Mitglied. Auf die Frage einer Journalistin, ob er glaube, dass Putin die US-Position völlig verstanden habe, antwortete Biden eindeutig: Ja, unbedingt („he got the message“). Von wegen, dass im Kreml einer säße, der nicht zwei und zwei addieren kann.
An dieser US-Strategie ist Deutschland aktiv beteiligt: Durch die Teilnahme an den Sanktionen, durch Waffenlieferungen und Geldtransfers an die Ukraine, durch die Verweigerung ernsthafter Gespräche mit Russland über dessen Sicherheitsansprüche, durch die Unterstützung einer militärischen Lösung („Siegfrieden“). Dabei bleibt die Mitgliedschaft der Ukraine in der Nato im Vagen, weil sonst eine direkte militärische Konfrontation zwischen den USA/ der Nato und Russland unvermeidlich ist.
Kurzum: Es ist ein Stellvertreterkrieg, bei dem die USA/die Nato glauben, die besseren Karten zu haben und der Ukraine ihre „unverbrüchliche“ Solidarität versichern.
Katzenjammer gross
Nun, 2024, ist der Katzenjammer groß. Nichts läuft, wie geplant, und die Realität lässt sich nicht mehr komplett verleugnen. Der Economist fragte im April, was passiere, wenn die Ukraine verliere. „Ein russischer Sieg würde den Westen schwächen und ganz besonders Europa.“ Auf Facebook lautete die Artikelzusammenfassung so „A defeat of Ukraine would be a humbling episode for the West, a modern Suez moment. America and Europe have—perhaps inadvertently—put their own credibility on the line.”
Übersetzung:
“Eine Niederlage der Ukraine wäre eine demütigende Episode für den Westen, ein moderner ‘Suez-Moment’. Amerika und Europa haben – vielleicht unabsichtlich – ihre eigene Glaubwürdigkeit aufs Spiel gesetzt.”
Nicht zum ersten und ganz sicher auch nicht zum letzten Mal spielt in solchen Artikeln die Ukraine keine Rolle. Die ist ja nur der Stellvertreterkrieger. Was mit ihr passiert, wieviel dort gestorben wird, interessiert nicht. Unsere „Demütigung“ zählt.
In einem jüngsten Interview mit der New York Times (Paywall) beschwerte sich der Stellvertreterkrieger Selensky über so manches. Er erhob den Vorwurf des Betrugs an der Ukraine. Die Ukrainskaja Prada griff ihn auf. Selenskyj äußerte den Verdacht, dass entweder Putin ein „inadäquater“ Mensch sei oder es Absprachen/eine Verständigung zu Lasten der Ukraine vor der russischen Invasion 2022 gegeben haben könnte. Letzteres wäre ein „Betrug“ an der Ukraine. Das wolle er sich gar nicht vorstellen.
Er warf gleichzeitig dem Westen vor, immer noch Beziehungen mit Russland zu unterhalten. Nichts wäre komplett abgebrochen, weder der Handel noch die diplomatischen Beziehungen. Alle hätten noch eine Botschaft in Russland. Nach Selenskyj halte man sich so die Tür noch ein bisschen für den Fall einer ukrainischen Niederlage offen. Außerdem rechnete Selenskyj, und das ist der erbarmungswürdige Teil des Interviews, vor, wie die militärischen Kräfteverhältnisse zwischen Russland und der Ukraine tatsächlich sind (jedenfalls beispielhaft). Weder bei den Flugzeugen noch der Flugabwehr kann die Ukraine mithalten. Der Westen solle doch wenigstens ein bisschen was schicken und der Ukraine erlauben, mit westlichen Waffen nun tiefe Schläge in Russland auszuführen. Der Westen solle alles abschießen, was über ukrainischem Himmel fliegt. Wo ist das Problem? Putin werde schon keinen Nuklearkrieg anzetteln. Der sei nicht lebensmüde. Hier ist das Interview in ukrainischer Sprache.
Im Benzinbecken: beide haben Streichhölzer – einer fünf und einer drei
Man sollte sich immer daran erinnern, wie Carl Sagan, der den nuklearen Winter erforschte, den atomaren Rüstungswettlauf zu Zeiten des Kalten Krieges beschrieb: Zwei tief verfeindete Menschen stehen bis zur Hüfte in einem mit Benzin gefüllten Becken, und beide haben Streichhölzer in der Hand, einer fünf und einer drei.
Wenn sich – um das Bild von Sagan aufzugreifen – auch nur eines der Streichhölzer entzündet, versehentlich oder absichtlich, ist das Ergebnis so sicher wie das Amen in der Kirche. Beide werden sterben. Leider reicht in der Realität das Benzinbecken über den ganzen Globus, und es verbrennen auch nicht nur die zwei.
Leider muss man vermuten, dass ukrainische Drohnen inzwischen nicht mehr Mineralölanlagen in Russland aufs Korn nehmen, sondern die militärische Atominfrastruktur Russlands zu treffen suchen, in dem Fall russische Radaranlagen gegen interkontinentale US-Raketen. Jeder weiß, dass diese Drohnen mit westlichen Satellitendaten operieren. Das ist keine Petitesse. So etwas kann zum „Taumeln am Abgrund“ führen.
Kennedys und Chruschtschows “Appeasement” rettete die damalige Welt
Diesen Titel, veröffentlicht 2023, empfahl Foreign Affairs jüngst zur erneuten Lektüre. Er handelt von der Kuba-Krise und schließt mit den Worten: Wenn damals im Kreml das heutige Moskauer Meinungsbild vorgeherrscht hätte, wären wir alle „längst tot“. Dieser Artikel lieferte keine so genaue Beschreibung der Hintergründe und der Dimension der Kuba-Krise, wie das Ellsberg in seinem Buch „The Doomsday Machine“ tat. Aber er erinnert an die damalige Verhandlungsbereitschaft beider Seiten, wobei er die Konzessionen, die Kennedy machte, und die Schlussfolgerungen, die auf beiden Seiten gezogen wurden, nicht näher beleuchtete. Denn für Kennedy war das der Anlass, der pax americana eine Absage zu erteilen. Auf der UNO-Generalversammlung 1963 stellte er nicht nur die fundamentalen Differenzen zur Sowjetunion fest. Er bot geteilte Sicherheit an.
“But I would say to the leaders of the Soviet Union, and to their people, that if either of our countries is to be fully secure, we need a much better weapon than the H-bomb–a weapon better than ballistic missiles or nuclear submarines–and that better weapon is peaceful cooperation.”
Übersetzung:
“Aber ich möchte den Führern der Sowjetunion und ihrem Volk sagen, dass, wenn wir in beiden Ländern völlig sicher sein wollen, wir eine viel bessere Waffe als die H-Bombe brauchen, eine Waffe, die besser ist als ballistische Raketen oder Atom-U-Boote – und diese bessere Waffe ist die friedliche Zusammenarbeit.”
Heute gilt ein solches Politikverständnis als „appeasement“, als schwach und feige vor dem Feind. Der Foreign Affairs-Artikel enthält, gestützt auf sowjetische, erst neuerdings freigegebene Archivdokumente die Geschichte der sowjetischen Planungen, strategische Atomraketen auf Kuba zu stationieren. Man kann darüber Tränen lachen oder an Slapstick glauben, denn was eine diktatorische Befehlskette und ein inkompetentes Militär zusammen an Unfähigkeit produzierten, ist schlicht atemberaubend. Das Problem, und das verwunderte die Autoren, bestand „nur“ darin, dass es der sowjetischen Seite trotz aller Widrigkeiten gelang, Nuklearwaffen auf die Insel zu bugsieren, was den USA sehr spät auffiel.
Das wiederum erinnerte mich an eine umfängliche Recherche der New York Times vom Dezember 2022, die dokumentieren wollte, wie ein „Spaziergang durch den Park“ zur Putinschen „Kriegskatastrophe“ in der Ukraine wurde. Sie mokierte sich über die angebliche Unfähigkeit des russischen Militärs im Feldzug gegen die Ukraine. Der NYT-Artikel enthüllte auch, woran das lag: Der damalige militärische Stabschef der USA, Mark Milley, glaubte – und er war in diesem Glauben nicht allein – Russland werde innerhalb von drei Tagen die Ukraine überrennen. Als das nicht geschah, dachte Milley (und nicht nur er), die Russen seien unfähig zur „richtigen“ Kriegsführung, also dazu, wie sie selbst agiert hätten. Im Herbst 2022 besann sich Milley und redete Verhandlungen das Wort. Das führte allerdings zu Ärger mit dem Weißen Haus, und in der Folge war Milley wieder „auf Linie“. Aber das nur am Rande.
Atemberaubend
Im Artikel in Foreign Policy ist nicht erwähnt, warum die Situation um Kuba plötzlich so brandgefährlich einem Atomkrieg nahekam. Das beschrieb Ellsberg. Die USA wussten damals nicht alles, und die sowjetische Seite hatte auch auf Kuba nicht alles unter Kontrolle. Daher wurde Chrustschow regelrecht panisch, als er erkannte, wie nahe plötzlich ein ungewollter atomarer Schlagabtausch war. Er wollte nicht die Verantwortung für einen Atomkrieg tragen. Kein Problem sei es wert, dass dafür die Welt geopfert würde. Kennedy hat gewiss das Gleiche gedacht, denn sonst wäre damals die Verständigung nicht gelungen.
Überdies lagen damals vor den US-Küsten mit Atomwaffen bestückte sowjetische U-Boote, die im Fall eines Beschusses (den es gab), die Entscheidungsgewalt darüber hatten, ob sie mit Atomwaffen vergelten. Ellsberg beschrieb, welche glücklichen Umstände auf den sowjetischen U-Booten dazu führten, dass keine Atomraketen abgefeuert wurden, denn dort brauchte es nur das Votum zweier Menschen. Auf einem Schiff war einer dafür, einer dagegen, eine Atomwaffe abzufeuern. Auf dem anderen Schiff waren beide Entscheidungsträger dafür, aber ein zufällig anwesender ranghöherer Politoffizier aus Moskau legte sein Veto ein. Erst in der Folge der Kuba-Krise wurde die Entscheidungsgewalt über den Einsatz von Nuklearwaffen zentralisiert.
Im Foreign Affairs-Artikel gibt es ein Detail, das mir bisher nicht bekannt war. Castro forderte die Sowjetunion zu einem präventiven Atomschlag auf die USA auf, um einer drohenden US-Invasion zu zuvorzukommen. Chrustschow soll vor Wut über soviel Unvernunft getobt haben.
Wie schade, dachte ich, dass erst in Jahrzehnten, wenn überhaupt, bekannt werden wird, welche Stimmungslage im Weißen Haus herrschte, als Selenskyj öffentlich im Herbst 2022 nach einem atomaren Erstschlag der Nato auf Russland rief. Ich vermute, Biden oder seine engsten Berater verhielten sich ähnlich wie einst der Kreml-Chef.
Tickt Putin wie Chrustschow?
Dieser Frage widmeten sich in der Vergangenheit mehrere US-Publikationen.
Niemand fragt, ob Biden wie Kennedy tickt.
Niemand fragt, wie Selenskyj tickt.
Heißt es nicht: „Verzweifelte Situationen erfordern verzweifelte Maßnahmen“?
David Ignatius von der Washington Post bezweifelte 2022 jede Ähnlichkeit zwischen Putin und Chrustschow. In dessen Artikel ist allerdings die Kuba-Krise schöngefärbt: Chrustschow hätte sie (angeblich) angefangen, dann aber benahm er sich einsichtig und verantwortlich. Bei Ignatius fehlt auch völlig der Hinweis darauf, dass es nach der Kuba-Krise zum Abkommen über den Stopp atomarer Tests kam, das auch die alte Bundesrepublik unterschrieb. Das war der erste Schritt auf dem Weg zum Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen.
Das alles liegt schon so lange zurück, so dass kaum einer weiß, dass die Möglichkeit einer atomaren Bewaffnung der alten Bundesrepublik sowohl in Moskau als auch in Washington damals Befürchtungen auslöste. Förmlich hatte Adenauer zwar 1954 zugesichert, dass Deutschland nicht danach greifen würde, aber tatsächlich spukte diese Option in den Hinterköpfen einiger deutscher Politiker herum. Entsprechende Forschungen wurden auch vorangetrieben. Wer also heute in Deutschland laut über eigene deutsche oder europäische Atomwaffen nachdenkt, sticht in ein historisches Wespennest, das nicht völlig verlassen ist und beschädigt das Vertrauen in unser Land auf das Schwerste.
Kleine Männer
Ignatius kam in der Washington Post zum Schluss, Putin wäre nicht wie Chrustschow und zitierte dazu aus einem Schreiben von Kennedys Witwe an Chrustschow:
“The danger which troubled my husband was that war might be started not so much by the big men as by the little ones. While big men know the needs for self-control and restraint — little men are sometimes moved more by fear and pride.”
Übersetzung:
“Die Gefahr, die meinen Mann beunruhigte, bestand darin, dass ein Krieg nicht so sehr von den großen Männern als vielmehr von den kleinen Männern angezettelt werden könnte. Während große Männer wissen, wie wichtig Selbstbeherrschung und Zurückhaltung sind, werden kleine Männer manchmal eher von Angst und Stolz angetrieben.“
Ignatius fand, dass letzteres auf Putin zutreffe. Auch die Autoren in Foreign Policy bezweifelten, dass Putin das Format eines Chrustschow hätte. Sie verwendeten dazu eine Aussage, die Putin im Jahr 2018 traf, schrieben sie aber inhaltlich etwas um.
Putin sagte damals in einem Interview:
“If someone decides to annihilate Russia, we have the legal right to respond. Yes, it will be a catastrophe for humanity and for the world. But I’m a citizen of Russia and its head of state. Why do we need a world without Russia in it?”
Übersetzung:
“Wenn jemand beschließt, Russland zu vernichten, haben wir das Recht, darauf zu reagieren. Ja, das wäre eine Katastrophe für die Menschheit und für die Welt. Aber ich bin ein Bürger Russlands und sein Staatsoberhaupt. Wozu brauchen wir eine Welt ohne Russland?”
Tatsächlich entspricht die damals gewählte Formulierung exakt der russischen Nukleardoktrin. Droht die Vernichtung Russlands, ist der Einsatz von Nuklearwaffen zulässig. Das zeigt den ganzen Irrsinn der gewählten US-Strategie. Einerseits soll kein Atomkrieg stattfinden, andererseits soll Russland exakt in die Lage gebracht werden, die den Einsatz von Nuklearwaffen legitimieren würde. Glücklicherweise haben bisher weder Sanktionen noch Kriegsführung Russland in diese Ecke getrieben. Im Gegenteil, es ist politisch und militärisch gestärkt. Aber sicher ist nichts, nicht im Krieg.
Anders als Lizz Truss, die 2022 völlig emotionslos erklärte, dass sie als Premierministerin den berühmten roten Knopf drücken würde im Fall des Falles, sprach Putin 2018 klar von einem Vergeltungsfall und über die Katastrophe, die das wäre. Seit Beginn der russischen Aggression erinnert er jedoch regelmäßig daran, dass Russland über Atomwaffen verfügt. Ist das nun unverantwortliche nukleare Eskalation, wie immer behauptet wird, oder ein Indiz für die Situation, in der wir uns heute befinden?
Heute sehr viel gefährlicher als damals
Meines Erachtens liegt es auf der Hand, dass es heute noch sehr viel gefährlicher ist, als damals zu Zeiten der Kuba-Krise. Es gibt keine geheime direkte Leitung zwischen den Anführern von Atommächten, keine vertraulichen Unterhändler. Es regiert nur Misstrauen, Sprachlosigkeit, regelrecht personalisierter Hass (in dem Fall auf Putin) und jede Menge Spekulationen über wechselseitige Intentionen und ein Was-wäre-wenn.
Im Westen, einschließlich der EU, einschließlich Deutschland dominieren Geschichts- und Realitätsverlust. Amerikanische Präsidenten kämen nie auf die Idee, die russischen Nato-Besorgnisse als „absurd“ zu bezeichnen. Die USA haben eine klare Vorstellung davon, dass sie weltweit bestimmen, wo es langgeht und alle hinterherzutraben haben. Dass das dann regelmäßig im Desaster endet, wirkt leider nicht abschreckend. Die Römer waren insofern definitiv klüger. Als die im Schlamm des Teutoburger Waldes feststeckten, ließen sie das Unterfangen, die germanischen Stämme auch noch beherrschen zu wollen.
Zugleich gibt es ein Gefühl der eigenen Verwundbarkeit durch innere und äußere „Feinde“, das andauernd hochgezüchtet wird. Man denke an den schönen Garten, immer durch den Dschungel bedroht … Das geht Hand in Hand mit immer mehr kriegsähnlichen Erklärungen gegenüber Russland. Ist das alles nur Bluff? Nur propagandistisches Blendwerk? Nur der unbändige Wille, sich zu profilieren? Von den Kriegslügen will ich gar nicht reden.
Die kriegerischen Posen nehmen jedenfalls an Lautstärke zu. Sind wir nun schon im direkten Krieg mit Russland oder nur fast? Und was macht das mit dem Klima in unserem Land? Wohin geht die Reise?
Dass die EU sich nun militarisieren will, ist ein verhängnisvoller Fehler. Sie ist jetzt schon schwächer als die USA. Wo soll das politisch, wirtschaftlich und sozial hinführen, wenn nun die US-Orientierung auch noch imitiert wird? In den USA ist es für die Bevölkerungsmehrheit nicht gut ausgegangen. Dort regiert eine Oligarchie, der Sicherheitsapparat wird immer einflussreicher, die Grundfreiheiten bröckeln und die sozialen Bande sind sehr brüchig geworden. Anders als in den USA gibt es bei uns keine billigen Rohstoffe, und die billige Energie ist auch Vergangenheit. Und schließlich ist die Nato auch der Marktplatz für US-Produkte.
Was glauben wir also, wird in der EU und mit der EU geschehen? Was mit unserem Land? So wie ich das sehe, sind wir auf dem gefährlichen Weg, zu dem „kleinen Mann“ zu werden, über den Jackie Kennedy schrieb.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus dem Blog der Autorin, mit ihrer freundlichen Genehmigung.
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