Aylin Tezel – eine Schauspielerin als Ereignis
Sie macht es wie ich, nur ein paar Lebensjahrzehnte früher und auf um Potenzen höherem Niveau. Der Ausstieg von Aylin Tezel aus dem Dortmund-“Tatort” 2020 – sie war 37 – war für diesen ein grösserer Verlust als für sie. Sie hatte durch das Seriengagement offenbar genug ideelles und materielles Kapital angespart, um von dort an selbstbestimmt arbeiten zu können.
Wie kommichdrauf? Am Freitag lief auf Arte “Der Russe ist einer, der Birken liebt – Mascha ist eine junge jüdische Frau, die Mitte der 90-er Jahre mit ihren Eltern aus dem aserbaidschanischen Bürgerkrieg nach Deutschland kam. Die angehende Dolmetscherin spricht fünf Sprachen fließend, nur über ihre eigene Geschichte spricht sie nie. Dann stürzt der Tod ihres Freundes sie plötzlich in eine tiefe Lebenskrise. – Nach dem gleichnamigen Romandebüt von Olga Grjasnowa.” Verfügbar bis 5.9.
Wenn Wikipdia Tezels Schaffen zutreffend wiedergibt, war das ihr erstes Spielfilmprojekt nach Beendigung ihrer “Tatort”-Karriere. Und ich warne Sie: leicht zugänglich ist dieser Stoff von Olga Grjasnowa (Drehbuch: Burkhardt Wunderlich; Regie: Pola Beck) nicht. Die Filmerzählung ist nicht linear. Und die Identifikation des roten Fadens ist für die*den Zuschauer*in richtige Kopfarbeit und konzentrationsfordernd. Der Film nähert sich auch mittels dieses Schwierigkeitsgrades, dieses Forderns des Publikums – eine Disziplin, die die meisten Senderredaktionen verabscheuen – den Verhältnissen des “wahren Lebens” an. Darum wohl auch der mitternächtliche lineare Sendeplatz auf dem Sender für die besseren Stände. Ich habe es nicht bereut. Denn getragen wird das Werk von Frau Tezels Kunst. Das ist es wohl, was sie suchte: gefordert werden.
Aus diesem Werk erklärt sich mir nachvollzienbar, warum sie ein Jahr später wagte, “alles” selbst zu bestimmen: Drehbuch, Regie und Hauptrolle.
Uns Zuschauer*innen macht es nicht dümmer. Ich bin gefesselt.
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