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Ich hab’ die Lösung

Der VAR im Profifussball ist eine Quälerei für alle Beteiligten und hat mit Objektivität und Gerechtigkeit nichts zu tun

“VAR” ist die Abkürzung für “Video Assistant Referee”, und wird von deutschen Fussballfans bildhaft mit “Kölner Keller” übersetzt. Das verdeutlicht einen unlösbaren Autoritäts- und Transparenzmangel – und entlastet die geplagten echten Menschen als Schiris nicht im geringsten. Dafür werden sowohl Stadion- als auch TV-Fans – die Spieler*innen auf dem Rasen sowieso – jeglicher Dramaturgie beraubt, und zu Spielfiguren einer nur scheinbaren Objektivität degradiert. Die früher so bezeichnete “schönste Nebensache der Welt” wird aufgeblasen, als handele es sich um eine Frage von Krieg und Frieden. Ein Twist gegenwärtiger Dialektik: eine Nebensache wird aufgeblasen – die Hauptsache dagegen von offizieller Politik der Regierungen in Europa und Nordamerika wie eine Nebensache behandelt.

Einen Tag bevor es in deutschen Medien die Runde machte, bekam ich Protestpost aus Argentinien von meinem Leitmedium André Dahlmeyer. Beim Olympiaturnier hat sich der VAR offenbar der Gewalt marrokanischer Fans gebeugt. Marokko lag 2:1 vorne, Argentinien glich in der 16. Minute (!) der Nachspielzeit 2:2 aus. Das Spiel wurde beendet, die Marokko-Fans randalierten, wie es nach einem solchen Spielverlauf zum guten Ton gehört. Der VAR konferierte und prüfte zwei Stunden, um dann zu entscheiden: kein Tor. Wie wäre es nun, wenn die Fifa-Exekutive sich die Videos noch mal ansähe? Oder das IOC. Sicher hätten die am Wochenende Zeit für eine Halbtagssitzung – und könnten das, sagen wir, bis Montag ganz offiziell entscheiden …

Es gibt eine digitale Lösung – ohne “VAR”

Für diese Lösung sind zwei Modellwege denkbar: ein “demokratischer” und ein oligarchischer. Ich fange mit dem unwahrscheinlicheren an, dem “demokratischen”. Dafür ist noch nicht einmal ein Menschen-Schiri erforderlich, dank der unbegrenzten Möglichkeiten der Digitalisierung.

Für jedes Spiel der Profiwettbewerbe erwerben die Stadionbesucher*innen, für die es zur Pflicht erklärt werden kann, und die Pay-TV-Glotzer*innen, egal ob privat oder in der Kneipe, eine App. Mit dieser üben sie in Echtzeit die Schiri-Gewalt aus. In einem begrenzten Zeitraum von 5 bis höchstens 15 Sekunden entscheiden sie durch Tastendruck: Foul oder nicht Foul, Elfmeter ja oder nein, Ball drin oder nicht drin, Gelbe oder Rote Karte, Ecke oder Abstoss usw. Videobeweis bekommen alle durch die Zeitlupe in der Stadionanzeige oder in der TV-Glotze. Entscheidend für die Dramaturgie des Spiels ist die sekundenkurze Schnelligkeit der Zuschauenden. Für eine Spielunterbrechung muss ein Mindestquorum erfüllt werden – sonst wird einfach weitergespielt.

Am Anfang bricht sicher Chaos und Rudelbildung aus. Das erhöht den Entertainmentwert und ist super für die Kasse der Investor*inn*en in diese zukunftsweisende Technik. Wir als Kinder haben übrigens immer ohne Schiri gespielt, viel gestritten, uns aber nie gegenseitig verletzt – und das war Strassenfussball mitten im Ruhrgebiet. Kein Vergleich zu heute beim Jugendfussball randalierenden Eltern. Vielleicht sollten zu Entspannung und Verständigung unfähige Politiker*innen auch erstmal Fussballspielen lernen (ohne Eltern!).

Diese “demokratische” Variante wäre ein unerschöpflicher Quell an Datenkapital (der Nutzer*innen) und Finanz-Kapitals (durch zusätzliches Abkassieren ebendieser Nutzer*innen) und erbrächte einen fliessenden Übergang in die Supderduper-Wachstumsbranche des “E-Sports” mit seinen lukrativen “Managerspielen”.

Die technischen Grundlagen dafür existieren bereits seit langer Zeit (auch auf Parteitagen wird so gewählt). Sowohl die DFL in Deutschland als auch die Ligue 1 in Frankreich fürchten sich vor einem hunderte Millionen teuren Kapitalaufwand für eigene Streamingplattformen, statt des Verkaufs der Bildrechte an bestehende Plattformmonopole. Wie doof kann mann eigentlich sein? Solche Apps können jugendliche Praktikant*inn*en heute für ein Hundertstel der kolportierten Summen programmieren, und hätten für den Rest ihres Lebens ausgesorgt – müssten noch nicht mal mehr Fussballprofi werden.

Die oligarchische Variante

Das wäre nur eine modernisierte Variante bestehender Machtrealitäten. Oben beschriebene Apps werden nicht an demokratische Massen verhökert, sondern an handverlesene Premium-Sponsor*inn*en hinter den Glaswänden in den VIP-Logen. Bedingung: sie müssen sich vom Catering und den da verhandelten Deals loseisen, und tatsächlich für das gebuchte Spiel interessieren. Für solche Leute kann das allzu harte Arbeit sein … Dafür könnte mann die mit den Exklusiv-Preisen für diese Mitentscheidungs-App noch mal ordentlich abziehen. Sie habens ja.

Und die Deals über Quali-Modelle für die Superduper-Geldscheissturniere wie “Uefa-Champions-League” oder “Fifa-Club-WM” bekämen immerhin einen Anschein von sportlicher Entscheidung. Ein Kriterium, das sie zugunsten von Planungssicherheit und Rendite schon aufgegeben haben. Dann sollen sie doch im Alltagsbetrieb für den Müll geradestehen, den sie über die Öffentlichkeit auskippen.

Merke: Technik ist nicht objektiv. Sie ist menschengemacht, programmierbar, manipulierbar – wie alles Andere auch. Macht und Ohnmacht sind Ergebnis menschlicher Aushandlungen (und Kämpfe).

Update mittags

Ergänzender Hinweis für Investor*inn*en: mit dieser Strategie kann es zu empfindlichen Einbussen im Sradiocatering kommen. Wer auf dem Smartphone hochengagiert als Fan-Schiri agieren muss, hat (mindestens) eine Hand weniger für Bier und Bratwurst frei. Das Cashflow-Potenzial meines Vorschlags dürfte allerdings das des Stadioncaterings weit übertreffen …

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. André Dahlmeyer

    haha, sehr schön.
    seit es den var gibt, werden definitief mehr matches verschoben als zuvor, nix mit gegen geldwäsche & so.
    mein vorschlag für das gute alte handspiel im sanktionsraum: hand ist immer hand (aber nur die hand). egal ob angeschossen, ob senk- oder spreizfuss. die spiele würden torreicher, die streitereien in dieser hinsicht verebben und die techniker übervorteilt (?) – wen juckt’s! hand wäre hand und kein angeschossenes knie von hinten.

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