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Milde Pathologisierung

Trump is „weird“

Hillary Clinton machte 2016 mit der Losung: „When they go low, you go high“ gegen Trump Wahlkampf. Das war nobel und in der besten Tradition einer demokratischen Auseinandersetzung. Die Beleidigungen der Gegenseite mit Vernunft und Argumenten beantworten: Lobenswert – aber im Fall von Trump leider erfolglos. Nun taucht bei den Demokraten it Blick auf Trump das Wort „weird“ auf, die wohl mildeste Form, jemanden als irgendwie außerhalb von Vernunft und argumentativer Logik stehend zu bezeichnen.

Ich befürchte, man muss diese Unzugänglichkeit von Trump für die demokratische Debatte tatsächlich thematisieren. Sonst kämpft man – mit viel Anstand – nur gegen Windmühlen. Heute sehr interessant in der SZ:

„Acht Jahre später (nach Hillary Clinton) wollen die Demokraten denselben Fehler nicht wiederholen. Deshalb taucht, wenn sie über Trump, Vance und die Republikaner sprechen, seit gut einer Woche ein Wort immer häufiger auf, das zum Schlüsselbegriff des Wahlkampfs werden könnte: weird, seltsam. Tim Walz, der Gouverneur von Minnesota, war der Erste, der es gebrauchte. Bald war es überall. Chuck Schumer, demokratischer Mehrheitsführer, nannte Vance ‘weird’ und ‘erratisch’. Auch Kamala Harris übernahm die Formel bereits und nannte einige der Angriffe der Republikaner gegen sie „’ust plain weird’.

Die Demokraten schlagen damit strategisch einen neuen Pfad ein. In den vergangenen zwei Jahren wiesen sie unermüdlich auf Trumps Rolle beim Sturm auf das Kapitol hin. Sie hofften, mit seinen Gerichtsverfahren habe er sich unmöglich gemacht. Sie warnten vor dem „Project 2025“, dem von der ultrarechten Heritage Foundation entwickelten Konzept für einen tiefgreifenden Umbau des Staats und eine Aushöhlung der Demokratie. Doch die Prozesse haben Trump nur genützt oder wurden von Trump-treuen Richtern auf irgendwann vertagt. Vom „Project 2025“, an dem viele seiner eigenen Leute mitgewirkt haben, hat sich Trump ein bisschen distanziert. Und seit dem Attentatsversuch und dem Wunder von Trumps Überleben hat die kultische Hingabe der Trump-Fans nur noch fanatischere Züge bekommen. Mit politischen Argumenten dringt man zu ihnen nicht durch.

Die Demokraten wenden Trumps eigene Methoden an – nur viel subtiler


Deshalb versuchen die Demokraten nun, mit weird genau jene Aura zu zertrümmern, jenen Zauber zu bannen, mit dem Trump seine Fans so an sich fesselt. Und seit Joe Biden als Kandidat zurückgetreten ist, haben sie dafür freies Feld. Indem sie Trump als weird bezeichnen, wechseln sie von der politischen auf die persönliche Ebene, aber statt sich wie Trump für die Ad-hominem-Attacke zu entscheiden, setzen sie auf milde Pathologisierung. Damit nutzen sie Trumps eigene Waffen effektiver als er.

Trump war es schließlich, der die Namen aller seiner Gegner dauerhaft mit einem verleumdenden Attribut verlinkte: ‘Sleepy Joe Biden’, ‘Crazy Nancy Pelosi’, ‘Crooked Hillary Clinton’. Jedes dieser Adjektive war eine Beleidigung, eine Grobheit, die – zumindest in den Augen von Nicht-Trump-Fans, dem Sprecher ebenso schadete wie dem so Angesprochenen.

Mit dem seltsamen weird verhält es sich anders. Man erklärt einen Menschen damit für nicht normal, aber ohne die Absicht, ihn zu verletzen. Statt ihn mit Dreck zu bewerfen und danach unweigerlich mit schmutzigen Händen dazustehen, beugt man sich fast mitleidig über ihn – und lässt ihn damit schrumpfen. Weird ist so sanft, so vollkommen frei von Aggression, dass es keinen Zweifel an der Überlegenheit des Sprechers lässt.

Am fatalsten für Trump ist jedoch, dass es auf das W-Wort keine naheliegende Antwort gibt. Man kann aus der Feststellung, man sei seltsam, keine „Hexenjagd“-Geschichte konstruieren, man kann die Behauptung auch nicht widerlegen. Ob jemand ‘crazy’ oder ‘crooked’ ist, darüber lässt sich diskutieren. Weird hingegen ist das Wort, das man verwendet, wenn sich die Seltsamkeit nicht in Worte fassen lässt. Es beschreibt etwas Unaussprechliches, einen unbestimmten Eindruck, ein Gefühl, das einem die Präsenz dieser Person gibt, und genau deshalb ist keine Entgegnung möglich. Wer weird gefunden wird, ist machtlos und allein. Wie ein unangenehmer Geruch haftet der weirdness-Befund an einem, und jeder, der sich nicht fernhält, läuft Gefahr, selbst davon affiziert zu werden. Trump, der oft mit einem Schulhof-Bully verglichen wurde, bekommt soziale Ausgrenzung plötzlich selbst zu spüren.”

Anm.d.Red.: Das lange Zitat am Ende dieses Textes (kursiv) ist von Jörg Häntzschel aus der SZ-Paywall.

Über Reinhard Olschanski / Gastautor:

Geboren 1960, Studium der Philosophie, Musik, Politik und Germanistik in Berlin, Frankfurt und Urbino (Italien). Promotion zum Dr. phil. bei Axel Honneth. Diverse Lehrtätigkeiten. Langjährige Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Referent im Bundestag, im Landtag NRW und im Staatsministerium Baden-Württemberg. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Politik, Philosophie, Musik und Kultur. Mehr über und von Reinhard Olschanski finden sie auf seiner Homepage.

Ein Kommentar

  1. Michael Kleff

    Kleine Korrektur: “When they go low, we go high” stammt nicht von Hillary Clinton, sondern von Michelle Obama, gesagt in einer Parteitagsrede.

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