Beueler-Extradienst

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Keine*r wirft Hirn vom Himmel

Deutsche Medienbesitzer*innen – der Neoliberalismus erlaubt Dummheit grenzenlos

Als der deutsche Faschismus 1945 endlich geschlagen war – wie wir heute wissen, nur vorläufig – war eine der besten Ideen der westlichen Besatzer*innen, neben Privatlizenzen für nichtfaschistische Verleger*innen zu erteilen, die Erfindung öffentlich-rechtlicher Medien, die gleichzeitig staatsfern und regierungsunabhängig organisiert werden sollten. Das hat eine nun 75-jährige bürgerliche Demokratie am Leben gehalten, mit allen Stärken und Schwächen, über die zu diskutieren eine Demokratie ja da ist. Dieser bewusst marktunabhängige Teil des Mediensystem muss aus heutiger Sicht zur Daseinsvorsorge dieser Demokratie gezählt werden. Das Bundesverfassungsgericht sah das zum Glück immer ähnlich. Doch mal wieder stehen die Zeichen auf Disruption, die im Unterschied zur Revolution Herrschaftsverhältnisse zuspitzt, statt sie umzustürzen.

Die neuen Machthaber*innen sind die Kapitalbesitzer*innen der IT-Konzerne. Viele in Kalifornien/USA angesiedelt. Gegenhalten kann und tut nicht Europa, sondern China. Was wiederum in Kalifornien, Washington und Brüssel ganz humorlos betrachtet wird.

Und wie es sich für Lumpenproletariat gehört, löcken die Verlierer*innen nicht gegen die Macht, sondern gegen schwächere Opfer. In diesem Fall schreibt in der FAZ-Paywall ein gewisser Hartung – nicht Rudolf, der war intelligenter“Die ARD-Sender zerstören die Zeitungen”. Da musste ich sehr lachen. Dass ein ARD-Sender überhaupt irgendwas zerstören kann, ausser sich selbst, zweifle ich aus tiefen eigenen Erkenntnissen an, und bin damit auf einer sehr sicheren Seite. Zweifellos können sie auch von Anderen zerstört werden, der AfD, CDU/CSU und FDP z.B., in Thüringen z.B. in Kürze.

Selbst der Kollege Hautsch/Junge Welt weint der Welt der Gedruckten Verlegertränen hinterher, weil, nunja, die “Junge” Welt auch immer noch auf Papier erscheint, weil ihre verbliebenen alternden Leser*innen es so wollen.

Holz ist ein nur langsam nachwachsender Rohstoff für Papier. Papierherstellung ist nicht wirklich nachhaltig, sondern mit nicht wenig verschmutztem Wasser verbunden – im vielseitigen Sinne des Begriffs: teuer. Es wird in diesem Menschheitszeitalter immer teurer. Das Gleiche gilt für den Transport/Vertrieb derartiger schwergewichtiger Waren (kürzlich wurde im “Barnaby” ein alter Mann von einem umstürzenden Zeitungsstapel in seinem Messie-Haushalt erschlagen). Lesen im Internet kann auch mein 92-jähriger Vater – er bräuchte nur ergonomischere Möbel und Geräte.

Was könnte die privaten Medien retten?

Widerstand, und zwar solidarischer, gegen die Plattformmonopole (“Intermediäre”). Was macht eigentlich so ein Verlegerverband den ganzen Tag? Mit der FAZ zusammen jammern? Und warum machen die nicht selbst eine nationale Plattform (bei uebermedien noch einige Tage zugemauert), auf der die Leser*innen alles finden, und einzeln für vernachlässigbare Beträge zahlen (von 10 Cent bis 2 €), die am Ende wg. Masse aber keineswegs vernachlässigbare Summen ergeben. Ich würde auch 20-25 € für ein Monatsabo zahlen, also ungefähr so viel wie für die öffentlich-rechtlichen Medien, wenn ich damit alles paywallfrei lesen, und meine persönliche Presse- und Meinungsvielfalt wählen kann. So lange die Damen und Herren Milliardär*inn*e*n und ihre Erbengemeinschaften das nicht hinbekommen, verfresse und vertrinke ich das Geld eben.

Ihre Rettung, aber auf mich hören die ja sowieso nicht, wäre nicht Jammern, Wehklagen und Redakteur*inn*e*n feuern, sondern der bessere Journalismus. Tja, und der wird dummerweise noch etliche Jahre nicht von Künstlicher Idiotie KI/AI ersetzt. “Es gibt immer einen Markt für das Besondere!” (Alexander Kluge, der hat nicht nur klug geschwätzt, sondern selbst Medien betrieben). Macht doch mal was Besonderes! Die Queen Mary 2 fährt auch immer noch; aber nicht alle können sie sich leisten.

Derzeit sieht es vielmehr so aus, dass die Verleger*innen-Lobby eine Strategie der verbrannten Erde fährt. Wenn sie schon selbst untergehen, immer mehr Lokal- und Fachredaktionen schliessen, Vertriebsgebiete ersatzlos verlassen etc., dann sollen eben Andere mituntergehen – bis die Katastrophe so gross ist, dass alle es einsehen müssen. Das ist ungefähr so, wie die Baader-Meinhof-Terrorist*inn*en sich in den 70ern die Revolution vorgestellt hatten.

Die Zukunft der Medien ist gewiss nicht das Zustellen in Briefkästen. Darum ist es ausnahmsweise mal grundvernünftig von der Bundesregierung, dem nicht noch altes Geld hinterherzuwerfen. Beim Lobbyismus ist da irgendwas schiefgegangen, dass sich kein FDP-Ministerium zuständig fühlt … 😉

Fällig ist eine gesetzliche Gemeinnützigkeit für nichtgewerblichen (!) Journalismus, nicht hinreichend, aber notwendig. Darüber hinaus Förderung der Testung neuer digitaler Geschäftsmodelle, insbesondere, wenn sie ein Minimum an Verbraucher*innen*freundlichkeit und Datenschutz gewährleisten, Zusammenarbeit und Synergien statt Monopole fördern. Datendiebstahl und -hehlerei, wie es deutsche Zeitungsverlage in Handlungseinheit mit den Plattformmonopolen betreiben – im Kern eine Spielart von Clan- und Bandenkriminalität – müssen unterbunden und bekämpft werden. Wer Journalismus damit verquickt, verspielt seine demokratische und rechtsstaatliche Geschäftsfähigkeit.

Ein schöner Traum, ich weiss. Parteien, deren Medienpolitik sich darum kümmert, sind mir nicht bekannt – weder in Deutschland noch in der EU. Dann werden eben die Kalifornier und die Chinesen die Medienmacht ausüben. Wählen Sie selbst.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. w. nissing

    na ein bisschen was gibt es da schon:
    https://www.laec.fr/section/6/la-revolution-citoyenne-dans-les-medias

    und die Discussion ist mittlerweile auch schon etwas weiter gediehen. Aber die Lieben haben so viele Baustellen.

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