Die extrem angespannte Lage im Nahen Osten hat dieser Tage immer wieder zu Meldungen und Forderungen nach einem Engagement der Bundeswehr geführt. Zuletzt hat der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, die Bundesregierung aufgefordert, Israel im Falle einer Eskalation des Nahost-Konflikts und eines massiven Angriffs aus dem Iran militärisch zu unterstützen. “Die historische  Verantwortung Deutschlands für die Sicherhheit Israels ist zwar nicht rechtlich bindend”,  sagte er dem Redaktionsnetzwerk RND, “aber aus meiner Sicht bedeutet das natürlich, dass Deutschland im Falle eines Angriffs in der Größenordnung, wie er aktuell droht, auch militärisch an der Seite des jüdischen Staates steht.”

Diese so einfach erscheinende Bewerkung enthält eine äußerst schwierige Frage, der gegenüber ein Sprecher des Verteidigungsministeriums nur die lapidare Antwort übrig hatte: diese Frage stehe “derzeit nicht zur Debatte”. Welche Irreführung! Natürlich stellt sich die Frage moralisch, politisch und verfassungsrechtlich – jetzt, bevor etwas passiert!

Jetzt ist Zeit, zu diskutieren

Noch viel dringender, als die geplante Stationierung von US-Mittelstreckenraketen mit weitaus kürzeren Vorwarnzeiten als ehemals die Pershing II, die der Kanzler und die Außenministerin am liebsten gar nicht diskutieren würden, ist die Erörterung eines solchen Engagements aktuell  und geboten.  Moralisch ist die Frage anscheinend einfach zu beantworten. Aufgrund der geschichtlichen Verpflichtung und Verantwortung für die Sicherheit Israels ist Deutschland verpflichtet, Israel zu verteidigen. Mit Waffenlieferungen und der Finanzierung von Waffen, wie sie seit der Zeit Konrad Adenauers – auch mal am Grundgesetz und den Waffenexportrichtlinien vorbei – immer wieder üblich war. Das wäre noch denkbar, da seit dem Ukrainekrieg der Grundsatz “keine Waffenexporte in Spannungs- und Kriegsgebiete” nicht mehr gilt. Ohnehin gab es auch in strengeren Zeiten der Proliferation eine “flexible Haltung” der Bundesregierungen gegenüber Israel (U-Boote). Aber dies kann kein Maßstab für die aktuelle Situation sein, in die sich die Regierung Netanjahu hineinmanövriert hat. Jahrzehntelang wäre es für viele Jüdinnen und Juden eine kulturelle Unmöglichkeit gewesen: deutsche Soldaten auf israelischem Boden? Aber vielleicht ist die “Zeitenwende” ja auch hier der Beginn von Veränderungen. Trotzdem – eine Befremdlichkeit bleibt.

Die deutsche Vermittlerrolle aufzugeben, wäre fatal

Gerade weil die besondere historische Verpflichtung gegenüber Israel besteht, die auch die arabischen Staaten immer weitgehend geachtet haben, war und ist Deutschland immer wieder in der Lage gewesen, auch als Vermittler aufzutreten, die konstruktiven und friedliebenden Kräfte auf beiden Seiten positiv zu unterstützen und moderierend aufzutreten. Nicht zuletzt wegen der eindeutigen Haltung zu Israel, ohne mit den massiven  Waffenlieferungen, militärischen Einsätzen und milliardenschweren Finanzhilfen der USA,  sowie deren Nahost-Politik direkt verknüpft zu werden. Israel hat davon profitiert, aber auch die Palästinenser, Jordanien und die ganze arabische Welt. Grundvoraussetzung dieser politischen Rolle war und ist, dass keine Seite befürchten musste, dass Deutschland in irgendeiner Form militärisch in den Nahost-Konflikt eingreifen werde. Jede diplomatische Glaubwürdigkeit und Fähigkeit, im Nahost-Konflikt aktiv und konstruktiv zu vermitteln, wäre mit einem militärischen Engagement auf Seiten Israels dauerhaft beendet. Der damit verbundene politischen Bedeutungsverlust Deutschlands als ehrlichem Makler könnte mit nichts aufgewogen werden. Schlimmer noch: es ist keine andere Nation weltweit denkbar, diese besondere Rolle Deutschlands auszufüllen. Das kann auch Israel nicht wollen.

Das Verfassungsrecht lässt wenig zu

Das Friedensgebot des Grundgesetzes erlaubt es ausschließlich, dass Deutschland im Rahmen eines europäischen oder internationalen Sicherheitssystems an Auslandseinsätzen teilnimmt. Ein solches Sicherheitssystem kann ausschließlich die UNO sein. Auch wenn das Bundesverfassungsgericht durch sein Urteil zum Kosovo-Krieg 1999 anders entschieden hat: die NATO ist ein Verteidigungsbündnis, kein “internationales Sicherheitssystem”. Diese “kleine Unschärfe” bei der Begründung des Kosovo-Kriegseinsatzes der rot-grünen Bundesregierung hat das Bundesverfassungsgericht insofern gekontert, als es, wie Heribert Prantl in seinem lesenswerten Buch “Den Frieden gewinnen – die Gewalt verlernen” analysiert, der Bundesregierung den im Grundgesetz gar nicht vorgesehenen Parlamentsvorbehalt für alle Out-of-Area-Einsätze strikt verordnete.

Israel ist kein NATO-Mitglied. Insofern fällt auch der Spannungsfall des Artikel 5 NATO-Vertrag, die gemeinsame  Verteidigung eines angegriffenen Mitglieds, aus. Die Teilnahme deutscher Soldaten an einer Blauhelm-Mission: ja, denkbar. Auch ein “robuster Einsatz” mit UN-Mandat – aber ein solcher wäre aufgrund der Gesamtlage des Konflikts kaum denkbar, weil der Sicherheitsrat und damit Russland zustimmen müsste – politisch in der UNO kaum erreichbar. Also wäre ein Einsatz der Bundeswehr im Nahost-Krieg schlichtweg verfassungsrechtlich ausgeschlossen. Warum sagt der Kanzler das nicht? Der Vizekanzler? Der Verteidigungsminister – was macht der eigentlich in Fernost? Wo sind die alle?

Politische Lösungen sind zur Lösung des Nahostkonflikts alternativlos

Auch aus Sicht der Möglichkeiten und Interessen Deutschlands und Israels gibt es keine Alternative zu Verhandlungen und Diplomatie. Zu Zeiten von Außenminister*inne*n wie Genscher oder Joschka Fischer war dies selbstverständlich, ist von beiden auch klargestellt worden. Bei Annalena Baerbock ist nicht klar, was sie anstrebt, was sie mit wem verhandelt und vor allem vermisst die Öffentlichkeit einen Hinweis, welche Strategie die Bundesregierung verfolgt, und wie sie ihre Rolle sinnvoll nutzt. Allein, dass sie die Diskussion, die der Vorsitzende des Zentralrats angestoßen hat, ignoriert und keine klare Stellung für Verhandlungen bezieht, zeigt die politische Kommunikationsschwäche, die von Vielen als Führungsschwäche der Ampel interpretiert wird.

Baerbock in Israel – banal – Baerbock in Teheran – warum eigentlich nicht? Die Hisbollah wird nicht von der libanesischen Regierung gelenkt, sondern von Ajatollah Chamenei. Die Huthis auch. Nicht öffentlich beschimpfen, sondern verhandeln, Klappe halten, zeigen, dass frau was tut und weiter nach Tel Aviv, Riad oder Kairo, Washington.  Urlaub streichen, die Lage ist zu brenzlig. Für die öffentlich angeschlagene Ampel sind das einfach vertane Chancen, durch Handlungsfähigkeit und einen Hauch politisch klarer Linie, gegen die kein FDPler etwas moppern kann, zu punkten. Stattdessen bespielen Drittligisten wie Roderich Kiesdewetter und Sozialhazardeur Linnemann die Sommer-Saure-Gurkenzeit.

Rund ein Jahr vor der Bundestagswahl kann das deprimieren.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net