Einige unangenehme Ergänzungen zur laufenden Post-Pandemie-Debatte
An einem Sonntagmorgen im März 2003 landete auf dem Frankfurter Flughafen ein Jet, der ziemliche Probleme bereitete. Er kam, wenn mich mein Gedächtnis nicht im Stich lässt, aus Hongkong. In der Landung vorauseilenden Informationen aus der Kanzel des Fliegers hieß es, es seien erkrankte Passagiere an Bord. Allem Anschein nach waren es infizierte Menschen. Wenige Monate zuvor waren SARS-CoV-1 Viren aufgetaucht. Nach diesen ersten Infos bestand die Möglichkeit, dass Passagiere mit diesen Viren infiziert waren. Der Flieger landete, die Fachleute des örtlichen Gesundheitsamtes kamen ein wenig zu spät, so dass ein Teil der Reisenden bereits in Stadtbahn, Bundesbahn oder Auto saß, um nach Hause zu kommen. Nur die Transit-Passagiere waren noch vor Ort.
Weshalb ich das noch so erinnere? Weil ich das „arme Schwein“ war, das damals sonntags im Berliner Teil des Bundesgesundheitsministeriums Kommunikationsdienst hatte; und dabei zum x-ten Mal feststellen musste: In krisenhaften Situationen verwandeln sich ausgewiesene Anhänger des deutschen Föderalismus ruck zuck in radikale Verfechter des Zentralismus: Was macht ihr da in Berlin? Habt ihr mal wieder keine Ahnung? Wofür werdet ihr eigentlich bezahlt?
So regnete es an diesem Tag auf mich hinab. Und hätte in der bei Frankfurt gelegenen AP-Zentrale nicht ein Kollege Dienst gehabt, den ich aus gemeinsamen Agenturjahren kannte, wär´s noch gruseliger für mich geworden. Der feine Kerl dort, mittlerweile verstorben, half mit Fakten, die sonst niemand hatte.
Die damalige Bundesregierung mit der Gesundheitsministerin Ulla Schmidt fand mit Blick auf solche Situationen fast keine Vorbereitung. Unter der Leitung des damaligen Staatssekretärs Klaus Theo Schröder wurde überhaupt ein bundesweiter Pandemieplan angegangen – und durchgesetzt. Schmidts Nachfolger, von Herrn Rösler und Bahr, Gröhe bis Spahn haben Zeit vergeudet und diesen Pandemieplan nicht wirklich fortentwickelt.
Das war die Situation, als SARS-CoV-2 ausbrach. Ein Glück übrigens, dass es damals den Virologen Christian Drosten gab, der hatte nämlich SARS-CoV-1 endgültig identifiziert und zusammen mit anderen am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin einen wirksamen Test entwickelt.
Tests, um SARS-CoV-2 zu finden, gab es also. Wirksame Mittel gegen eine Infektion aber nicht. Und erst allmählich lernten Ärztinnen, Ärzte, die Wissenschafts-„Gemeinde“, wer stärker und wer weniger stark betroffen sein würde beziehungsweise war. Das Land war damals auf die notwendige Selbstkontrolle und Selbstdisziplin und ein Verbund-Denken (wer geht neben mir) nicht vorbereitet. Das ist – leider – die traurige Wahrheit.
Zeitweise waren auch Stimmen unüberhörbar, die meinten: Lasst die Infektion laufen, irgendwann werden wir durch sein und immun. Die human-„Kosten“, die Anzahl der Toten im Verlauf einer solchen „Strategie“ wurde schon nicht mehr durchdiskutiert. Die Erkenntnis, dass auch derart denkende Zeitgenossen an Schalthebeln sitzen könnten, war für mich ein Schock. Ein Schock, der immer noch nachwirkt. Weil wir einen Pflegefall in der Familie hatten, war mir zudem bewusst, was wochenlange Isolation mit so verletzlichen alten Menschen in Pflegeheimen macht.
Aber das wird heute nicht diskutiert. Es wird diskutiert, ob Grundrechtseingriffe erforderlich gewesen seien, zu früh, zu massiv, ob Masken hier und dort erforderlich gewesen seien; ob der Staatsapparat zu sehr oder zu wenig auf die Wissenschaft gehört habe; so sehr auf den einen oder die andere – und daher wiederum andere vernachlässigt worden seien. Man müsse vor allem auch wissen, ob alternative Meinungen beiseitegeschoben worden seien etc.etc.etc. Man sucht in den ellenlangen Fachdiskussionen im und mit dem Robert-Koch-Institut, ob da etwas unterdrückt worden sei; ob Politik mit im Spiel gewesen sei. Man wird so lange suchen, bis die ersten Rechercheure aus dem Meinungs-Wust mit dem Blech-Helm auf dem Kopf wieder auftauchen.
Die Pandemie-Zeit war eine Zeit des langsam wachsenden Wissens und des noch viel, viel langsamer in der Gesellschaft sich verbreitenden Wissens. Nach der Pandemie-Zeit hat sich ein Teil des Wissens wieder „verflüchtigt“. Das sollte uns heute Sorge machen und nicht die Frage, ob hinter jede Debatte in einem Institut am Ende ein Haken gesetzt werden kann. Es wird Zeit, dass die Republik auf diesem Feld erwachsen wird.
ich hätte da 3 Leserempfehlungen:
Laura Spinney, 1918 Die Welt im Fiber
K H Roth, Blinde Passagiere
und Ed Young, Winzige Gefährten
danach sieht man das alles ein bisschen gelassener und ich für meinen Teil konnte die kapitalistische Pandemiebekämpfung besser von der Medizinischen trennen.