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Unbekanntes Land

Eine atemberaubende, furchteinflößende kommunikative Fehlleistung

Im Streit über ausbleibende, fehlende oder grundsätzlich vielleicht dennoch gesicherte militärische Unterstützung steckt eine kommunikative Fehlleistung sondergleichen. Diese Fehlleistung ist atemberaubend, ja auch furchteinflößend.

Bestandteile:

Die Ukraine kämpft um ihre ethnische und staatliche, ihre zivile und insgesamt selbstdefinierte Existenz. In Europa wurde der Ukraine versprochen, sie in diesem Kampf nicht allein, nicht hängen zu lassen. Auf der Gemeinschaftsebene wurde das versprochen und von einzelnen Staaten, auch von der Bundesrepublik Deutschland, von der Parlaments-Mehrheit und von der Regierung.

In dieser Bundesrepublik läuft seit längerem mal verdeckt mal offen eine Diskussion, die behauptet: zu viele ukrainische Männer hätten sich in Deutschland niedergelassen, obgleich sie moralisch verpflichtet seien, ihrem Land als Soldaten zu helfen. Es läuft auch eine Debatte darüber, dass erwachsene Ukrainer und Ukrainerinnen zu oft passiv verblieben, ihr Bürgergeld verzehrten, aber aus welchen Gründen auch immer nicht bereit seien, zu arbeiten. Es läuft zudem eine Diskussion darüber, ob ukrainische Flüchtlinge berechtigter Weise mehr Geld bekämen als Flüchtlinge aus anderen Ländern. Die gesellschaftlich-„klimatischen“ Bedingungen für geflüchtete Menschen aus der Ukraine sind nicht mehr die Besten.

Es gibt ferner eine von der Wagenknecht-Gruppierung und von der AfD sowie eigenwilligen Einzelpersonen geführte Diskussion, ob es nicht richtig sei, dem russischen de facto- Diktator Putin entgegen zu kommen, ihm erobertes Land real und auf Dauer zu lassen, um so Gespräche zwischen der russischen Regierung und der ukrainischen Seite aufzusetzen.

Es gibt weiter eine Diskussion darüber, ob es angebracht ist, auf eine erkennbare russische Aufrüstung im Raketenbereich mit einer US-amerikanisch- europäisch/deutschen Gegenrüstung zu anteworten.

Und es gibt schließlich eine wirre Diskussion darüber, ob sich ein enger gewordener Spielraum im Bundeshaushalt negativ auf eine versprochene Unterstützung der Ukraine auswirken dürfe.

Eine Ansammlung solcher Diskussionen sich ohne erkennbare kommunikative Strategie entfalten zu lassen, das ist eine grandiose Fehlleistung. Den amtlichen Stempel unter diese Einschätzung hat am Wochenende der Bundesvorsitzende der Grünen, Omid Nouripour, gesetzt. Er bezeichnete die Ampel „fast als“ Übergangsregierung. Nouripour wörtlich: „Es ist ja offensichtlich, dass das Vertrauen an Grenzen gekommen ist.“

Wo das Vertrauen wegbleibt, wegbricht, beginnt Misstrauen. Menschen und deren Organisation in Staaten fangen dann an, sich selber gefährlich zu werden.

Omid Nouripour meinte zwar das Vertrauen in der Koalition, zu der die Grünen gehören. Im Volk der Bundesrepublik wird es nicht anders sein. Mensch müsste sich schon ständig, tagtäglich mit Themen aus der Politik beschäftigen, Grundlagen, Mechanismen, Zusammenhänge, Folgen verstehen können, um einem Vertrauensverlust zu entkommen. Wer kann das schon? Umso wichtiger ist in solchen Zeiten eine Kommunikationsstrategie mit immer wiederkehrenden, erklärenden und begründenden Teilen. Die gibt es aber leider nicht. Wir beginnen eine Wanderung in der „Terra incognita“, im unbekannten Land.

Über Klaus Vater / Gastautor:

Klaus Vater, geboren 1946 in Mechernich, Abitur in Euskirchen, Studium der Politikwissenschaft, arbeitete zunächst als Nachrichtenredakteur und war von 1990 bis 1999 Referent der SPD-Bundestagsfraktion. Später wurde er stellvertretender Sprecher der deutschen Bundesregierung. Vater war zuvor Pressesprecher des Bundesministeriums für Gesundheit unter Ulla Schmidt, Sprecher von Arbeitsminister Walter Riester, Agentur-, Tageszeitungs- und Vorwärts-Redakteur. Mehr über den Autor auf seiner Webseite.

3 Kommentare

  1. Martin Böttger

    Ja, leider alles wahr. Wie begann es? Aus meiner Sicht mit der Ausrufung der “Zeitenwende” als klassisches Top-Down-Projekt – eine Kopfgeburt von wenigen “Strateg*inn*en”, die in einem abgeschlossenen sozialen Mikrokosmos leben und arbeiten, und den Bundeskanzler in eine klassische “Mir-nach!”-Szene schickten (wozu auch der gehörte, der sich schicken liess!).
    https://www.youtube.com/watch?v=UG4Es_2lKvc&list=PLhtjufTH4Nq6qmyXimhoZZuv7falzgU1b&index=66

  2. Helmut Lorscheid

    In Sachen Ukraine Krieg gibt es nur eine Gruppe, den man unterstützen sollte – die ukrainischen und russischen Kriegsdíenstverweigerer und Deserteure.

  3. w.nissing

    “kommunikative Fehlleistung” der geht ja idR eine interlektuelle Leistung voraus in so fern finde ich das alles kongruent. Wer sich so wie unser “Elite” dermaßen verdribbelt hat kann nicht besseres hervor bringen.
    “Die Ukraine kämpft um ihre ethnische” uiuijoui, jetzt bekommt das aber Farbe. Vielleicht zur Erinnerung, die Ukraine (war zumind) ist Multiethnisch wenn man diesen Begriff überhaupt so anwenden kann nach 70 Jahren sovietischem Rumgewürfel. Und btw, gibt es da nicht in irgendwelchem UN-gedöns so ein geschwafel von Minderheitenschutz oder so ähnlich, ahhh nä hier geht es um Sortenreinheit.
    usw usw und dann das:
    “Eine Ansammlung solcher Diskussionen sich ohne erkennbare kommunikative Strategie entfalten zu lassen, das ist eine grandiose Fehlleistung.”
    Fehlleistung von wem, Wahrheitsministerium?
    So, hier muß ich raus……

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