Das Mittel gegen Desinformation

Teure Denkpanzer werden finanziert. Lehrstühle dafür, bzw. dagegen, betrieben. Unzählige Geschäftsmodelle werden darauf gebaut. Von dem allgemeinen Veröffentlichungsgelärme ganz zu schweigen, das nicht mehr zu zählen ist. Ich bringe das hiermit alles zum Einsturz. Denn ich habe herausgefunden: das beste Mittel gegen Desinformation ist Information. Ja, werden Sie jetzt sagen oder wenigstens denken, das ist ja alles eine Frage von Standpunkt und Bewertung. Ja, sage ich, das ist ja das Schöne an einer bürgerlichen Demokratie: dass die verschieden sind.

Nun meinen aber viele, das sei ja alles mittlerweile viel schlimmer geworden. Durch all die asozialen Medien, wo jede*r den grössten Scheiss verbreiten kann. Dem halte ich entgegen: die quantitativ und qualitativ schlimmsten Desinformationen gab es in der Zeit und den Weltgegenden, in denen die Menschen (noch) nicht lesen und schreiben konnten. Das war über Jahrhunderte Geheimwissen des Adels und der Kirchen. Bis dieser schlimme Gutenberg kam. Nur wenige Jahrhunderte später brachen die meisten feudalen Herrschaftssysteme zusammen. Ehrlich gesagt: find’ ich gut.

Jetzt haben einige wenige multinationale Konzerne aus Kalifornien und China die alte Gutenberg-Welt zum Einsturz gebracht. Demokratische Politik hat sie nicht daran gehindert. Jetzt, die entsprechende politökonomische Herrschaft ist längst etabliert, wird weltweit gejammert, gestern z.B. hier oder hier oder gar hier. Alles richtig. Nur ziemlich spät.

Von vorgestern

Deutschlands hinterwäldlerische Ministerpräsident*inn*en lassen sich wie immer vor dumme Lobbykarren spannen. So verordnen sie den öffentlichen, durch die TV-Haushaltsabgabe schon finanzierten, öffentlichen Medien “Presseähnliches” zu unterlassen. Was das sein soll, weiss keine*r. Darum wird täglich darob gequengelt und gerne auch mit Jurist*inn*enbataillonen prozessiert. Angeblich geht die “Presse” unter, wenn öffentliche Medien auf digitalen Wegen freigewählte Aneinanderreihungen von Buchstaben veröffentlichen.

Dieserart Presse, die lieber gegen öffentliche Medien, statt gegen die Disruptoren aus Kalifornien und China kämpft, weil sie von Letzteren gerne Geld entgegennimmt und lieber kooperiert, diese Presse geht sowieso unter. Und wenn nicht, wird sie von der Hand, die sie füttert, gefressen. Über die Paywalls, mit denen sie verzweifelt Einnahmen zu realisieren versuchen, die ihnen im Papiergeschäft längst weggeschwemmt sind, werden sie sich nicht retten. Mit ihrer mutwilligen Verknappung von Information und Meinungsvielfalt vergrössern sie aber das eigentliche Problem: nicht nur diese Presse geht unter, sondern die bürgerliche Demokratie, wie wir sie kennen und viele auch lieben, gleich mit.

Zwei Drittel aller Menschen in Deutschland lesen keine Tageszeitung. So ist es in Bonn, und Bonn ist mit sowas immer spät. Im ländlichen Raum und in Ostdeutschland sind es weit mehr. Im nächsten Jahr soll es in 4.400 Gemeinden gar keine Lokalpresse mehr geben. Dä.

Und nun? Dem sterbenden Geschäftsmodell noch Steuermillionen hinterherwerfen? So wünschen sich die weniger als ein Dutzend Verlegerfamilien den dummen Staat.

Klaus Raab/MDR-Altpapier zitiert den klugen netzpolitik-Gründer Markus Beckedahl aus einer Veröffentlichung, die ich digital gar nicht finden kann (und das bei Beckedahl???). Ich gebe das Zitat hier wieder, weil es durch und durch nicht nur richtig, sondern auch politökonomisch, und nicht nur moralisch, grundiert ist:

“Der entscheidende Punkt ist: Wir müssen digitale Öffentlichkeiten weiterentwickeln, um uns aus diesen privatisierten Öffentlichkeiten zu befreien. Wir brauchen mehr kompetente Gedanken, wie wir eine gemeinwohlorientierte digitale öffentliche Infrastruktur schaffen können, um die öffentliche Debatte und damit die Demokratie zu stärken. Diese Infrastrukturen fallen nicht vom Himmel, sie brauchen Investitionen und neue Finanzierungswege, um die kritische digitale Infrastruktur der digitalen Öffentlichkeiten unabhängig von wenigen Unternehmen zu schaffen und zu betreiben. Vor allem gehen wir bisher nicht an das Kernproblem ran: Das ist [das] Geschäftsmodell der personalisierten Werbung. (…) Ein Verbot dieses Geschäftsmodells wäre möglich, findet aber bisher keine Mehrheiten. Eine Reform des Werbemarktes ist eine der wichtigsten Aufgabenstellungen für die gerade beginnende europäische Legislaturperiode.”

So ist es, verdammt. Und das ist keine was-mit-Medien-Spinnerei, sondern eine notwendige Bedingung zur Erhaltung der Demokratie.

Wer dagegen mit dem Aufstieg des Rassismus, der Flüchtlingshetze, der AfD und der Desinformationen ganz glücklich ist – der*die muss einfach gar nichts machen.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net