Erst monatelange Bombardierungen und Bodenangriffe auf die Hamas im Gaza-Streifen. Bis heute sind die Geiseln nicht befreit, die hinterhältigen Tunnel nicht geflutet und die Hamas ist wie die Hydra der Antike. Dort, wo die israelische Armee zehn Kommandozentralen der Hamas unter Kindergärten, Schulen und Krankenhäusern gebuddelt hat, haben Luftangriffe oder Bodenangriffe der israelischen Armee stattgefunden und finden statt. Die Hamas zu vertreiben und zu vernichten, was Netanjahu immer als Ziel seiner Aktionen verkauft hat, wurde letztlich nicht erreicht.
Derzeit breitet sich dasselbe Schema der Zerstörungs- und Kriegspolitik in den Libanon aus, heute als Bodenoffensive Israels. Dort führt Netanjahu Krieg gegen die vermutet viel stärkere Hisbollah, die “Terrorgang” von Ayatollah Chamenei eskalierend fort. Ende der vergangenen Woche hat Israel durch gezielte Schläge des Mossad erst Terroristen der Hisbollah und ihre Funktionäre durch einen Angriff mit Sprengstoff-Pagern und Walkie-Talkies ausgeschaltet. Es folgte der Luftangriff mit der Tötung des Hamas-Anführers Nasrallah und seiner Komplizen und zu Beginn der neuen Woche begann Israel offensichtlich eine Bodenoffensive im Süden des Libanon. Der Autor muss gestehen. dass er angesichts der Mordtaten der Hamas vor einem Jahr und der ewigen Hetze der Hisbollah, der täglichen Bedrohung im Norden Israels eine gewisse klammheimliche Freude über die militärischen Erfolge Israels bei der Bekämpfung der Terrororganisationen emotional kaum unterdrücken kann – obwohl diese am Rande dessen liegen, was völkerrechtlich hinnehmbar sein mag.
Die perfide Struktur der iranischen Terrorableger
Aber Hamas und Hisbollah haben sich ganz bewußt und zielgerichtet in diese Position gebracht. Beide Organisationen sind zugleich Terrororganisation als militärischer Arm, Parlamentspartei und soziale Organisation wie bei uns die “Caritas” oder “Diakonie” und die Kirchen: Hamas und Hisbollah betreiben Krankenhäuser, Schulen und soziale Einrichtungen und ziehen daraus ihren Rückhalt bei der schiitischen Bevölkerung und darüber hinaus. Damit haben sie sich nicht nur ihre Verankerung in der Zivilbevölkerung erarbeitet: Sie sind im Libanon ein Produkt und profitieren vom jahrzehntelangen Staatsversagen der Regierungen und des Stillstands durch korrupte Regierungen, die diese ganze Zeit über nicht in der Lage waren, der schleichenden Unterwanderung des Sozialsystems, aber auch der Entmachtung der libanesischen Armee durch die Hisbollah und das Mullah-Regime in Teheran irgendetwas entgegen zu setzen. Die Agonie, die nach der verheerenden Explosion von 2.800 Tonnen Ammoniumnitrat im Beiruter Hafen 2020 herrscht, die Tatsache, dass weder die Verantwortlichen zur Verantwortung gezogen, noch die Opfer entschädigt wurden, spricht Bände über den libanesischen Staat. Wer den Konflikt in Nahost lösen will, muss das beachten. By the Way: Verhandlungen über Flüchtlinge, wie sie Außenministerin Baerbock vor einigen Monaten versucht hat, mit der korrupten und offensichtlich machtlosen Regierung des Libanon zu führen, entpuppt sich vor dieserm Hintergrund selbst als vergebliches Unterfangen.
Ignoranter Netanjahu
Netanjahu sprach am vergangenen Freitag vor der UNO, beschwerte sich über mangelnde Solidarität mit Israel und ignorierte gleichzeitig den Versuch der USA und Frankreichs, die sich für eine dreiwöchige Waffenruhe eingesetzt haben. Voll im Bewusstsein, damit internationalen Schaden anzurichten, wies Netanjahu die Forderungen zurück und führt nun weiter seinen ganz persönlichen Krieg. Er weiss ganz genau, dass allein der Ausnahmezustand des Krieges verhindert, dass er zuhause unter Druck der Opposition kommt. Nach wie vor versucht seine rechtsextreme Regierung, das Verfassungsgericht zu entmachten und versuchen seine rechtsextremistischen Minister, die Zwei-Staaten Lösung durch faktische Unterstützung der Siedler im Westjordanland praktisch zu verunmöglichen. Das ist inzwischen so weit gediehen, dass eine Durchsetzung der Zwei-Staaten-Lösung nach dem Urteil von einigen Experten bedeuten würde, dass eine demokratische Regierung Israels diese Siedler aufrufen müsste, bis zu einem Stichtag bei Androhung militärischer Gewalt die illegalen Siedlungen zu verlassen – mit der Konsequenz, am Ende gegen schätzungsweise ein Viertel dieser illegalen religiösen Siedler wirklich militärisch und mit Waffengewalt vorgehen zu müssen.
Rücksichtsloses Kalkül
An der Handlungsweise Netanjahus und dem Umgang mit Friedensbemühungen wird deutlich, dass Bibi Netanjahus Kalkül auch auf die US-Wahlen keine Rücksicht nimmt. Denn inzwischen ist die jüdische Gemeinde in den USA ebenfalls gespalten: Waren die jüdischen US-Amerikaner traditionell Anhänger der Demokraten, hatten in New York sogar eine Liberale Partei gegründet, die noch 1980 dort etwa ein Viertel der Wählerstimmen errang, wenden sich heute die Ultraorthodoxen Trump zu, weil er mit der Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem symbolisch für die Rechten Partei ergriffen hat. Harris und Biden jedoch müssen bei ihrer Politik berücksichtigen, dass sie nicht nur liberale jüdische Stimmen für sich mobilisieren müssen, sondern auch die stetig wachsende Community mit arabisch-palästinensichem Hintergrund, die bei der letzten Wahl noch Biden gewählt haben. Die aber, je länger sich der Krieg Netanjahus hinzieht, Harris gar nicht oder nur halbherzig unterstützen werden. Insofern könnte man auf die Idee kommen, dass Netanjahu seinen Krieg nicht nur gegen die Hisbollah und Hamas, führt. Dass er vielmehr auch in Kauf nimmt, dass seine aggressive Politik genau diesen Effekt auf die US-Wahlen hat, die seinem Bruder im Geiste, Donald Trump am Ende nützt und ihn ins Amt hievt..
Eine andere und meines Erachtens kenntnisreichere Analyse liefert Michael Lüders: https://youtu.be/peHa8j4HwBA?si=l7Do-O-vGgWdEImV
Tja, das BSW sieht die Welt eben anders – weird wie Trump. Dass Netanjahu nun eine absolute Mehrheit erreichen könnte – welch ein Unsinn!
Wieso Unsinn? Massendemos und Wahlergebnisse sind zweierlei. Diese Lehre wurde und wird uns in der BRD immer wieder erteilt. Das Demonstrieren wird dadurch nicht sinnlos, sondern noch notwendiger. Es besteht nur kein Mechanismus und es lässt sich nicht kurzschliessen. Sondern es besteht eine Dialektik. Aber da wird es kompliziert …
Einwurf von der Seitenlinie: beide Seiten sind skrupellos genug, ihnen die Ambition auf einen atomaren Erstschlag zuzutrauen. Beide Regimes, international nicht gut angesehen, könnten sich damit “Respekt” verschaffen. Es würde zu einer atomaren Verseuchung ihrer selbst und ihrer Nachbarn führen, und die ohnehin jetzt schon ungeheuerlichen Fluchtkatastrophen multiplizieren – was beiden Regimes eher zupass kommt, als dass es sie stört. Wer kann, wer wird sie daran hindern?
Ich empfehle zum weiterlesen, sofern wir das überleben:
https://www.jacobin.de/artikel/imperialismus-hegemonie-kalter-krieg-geopolitik-lenin
Weitere aufschlussreiche Analyse hier:
https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/experte-olivier-roy-ueber-israel-und-iran-es-wird-in-nahost-keinen-flaechenbrand-geben-93332475.html
Extradienst
Der Artikel ist sehr faktenreich. Aber er umgeht – wie das allgemein hierzulande üblich ist – die zentralen Frage. Diese ist m.E. die, dass die aktuelle Lage in der Region und insbesondere die btr. des Palästina-Problems nicht ohne den historischen Hintergrund zu betrachten und folglich zu lösen ist. Dieser ist nicht etwa die Geschichte der Juden (wie auch immer der Begriff zu verstehen ist – Angehörige einer Religion oder einer Ethnie), wie sie im Alten Testament der Bibel dargestellt wird (s.dazu u.a.: https://weeklyworker.co.uk/worker/1509/they-worshipped-many-gods/), sondern die des christlich-abendländischen Judenhasses (meist falsch als ”Antisemitismus“ bezeichnet, obwohl die Araber und mit ihnen die Palästinser mindestens so ”semitisch“ sind wie die Juden, wenn nicht gar ”semitischer“ als ein Großteil der mittel- und osteuropäischen Juden, der ”Ashkenazim“ im Unterschied zu den spanischen ”Sephardim“ oder gar den ”Mizrahim“, den Juden in der arabischen Welt). Der erwähnte Judenhass in Mittel- und Osteuropa mit dem Höhepunkt der Sho’a im 2.Weltkrieg hat viele Juden verständlicherweise in die Arme des Zionismus und dann nach Israel getrieben. Der Zionismus, eine politische Ideologie meist mittelständiger Juden, ist im ausgehenden 19.Jahrhundert als eine Variante des hier etwa seit der französischen Revolution umsichgreifenden bürgerlichen Nationalismus entstanden, nachdem deutlich wurde, dass dieser sekuläre Nationalismus das Phänomen des Judenhasses keineswegs beseitigte. Das Problem war dann, dass die Zionisten sich die mit der Entwicklung des kolonialen Imperialismus einhergehende Haltung gegenüber den außereuropäischen Völkern zueigen machten und auf dieser Basis die Parole formulierten „Ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land“ (oder umgekehrt). Das Problem allerdings war, dass Palästina eben keineswegs ein Land ohne Volk war, sondern eben in seiner absoluten Mehrheit von palästinensische Arabern, Muslimen wie Christen, bewohnt war. Die Zionisten, die unter den Ashkenazim bis zur Sho’a in der Minderheit und bei den Sephardim und mehr noch den Mizrahim praktisch unbekannt waren, konnten nun also – unterstützt insbesondere von den herrschenden Klassen in den Ländern, die den Judenhass am längsten praktiziert hatten – Palästina übernehmen, was natürlich nur möglich war durch die oft blutige Vertreibung der einheimischen Bevölkerung. Es nützt deshalb wenig, sich den Kopf über diese oder jene israelische Regierung oder diese oder jene arabische Widerstandsbewegung oder gar das iranische Regime zu zerbrechen, wenn mann diese Grundlage nicht nur ignoriert, sondern zusätzlich durch die abstruse propagandistische Gleichsetzung von Judenhass und der Kritik an einer politischen Strömung innerhalb des Judentums à la ”Antizionismus ist Antisemitismus“ die notwenigen Einsichten auch noch zu verhindern sucht.
Eine Lösung des Problems ist m.E. nur durch die Überwindung des Zionismus und damit der Schaffung einer Gesellschaft oder eines Staates auf der Basis völliger Gleichberechtigung der jüdischen und nicht-jüdischen Bevölkerung möglich. Dass das sehr illusorisch anmutet, beweist nicht, dass eine andere Lösung, die ihren Namen verdient, möglich ist.