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Kluge

mit Update 29.10.

Hubert Spiegel von der FAZ hat mit Alexander Kluge gesprochen. Der Gute ist jetzt 92 und hat sich von der FAZ digital einmauern lassen. Mir sind per Email wichtige Aussagen von ihm zugegangen, die ich Ihnen nicht vorenthalten kann. Sie sind zu wichtig.

“Mitleid steht mir nicht gut an, aber ich sehe, dass die Ministerpräsidenten sich Mühe geben, um eine Materie zu regeln, von der sie eigentlich gar nichts verstehen. Zeit für gründliche Beratungen haben sie übrigens auch nicht. Die Referenten haben die ganze Sache vorbereitet, dann wird getagt, und dann kommen die Intendanten und sabotieren, was sie können. Wer Recht hat und wer Unrecht hat, ist aber zum jetzigen Zeitpunkt schon gar nicht mehr so wichtig. Ich würde gern alle Impulse unterstützen, die von unten kommen, aus den Redaktionen. Im Moment geht alles nur von oben nach unten, und das ist ein Unglück. […]

Die Intendanten agieren ja weniger als Personen, sondern als Repräsentanten von Verwaltungskörpern. Sie repräsentieren die Interessen, aber vor allem auch die Gewohnheiten und Trägheiten ihrer Institutionen, an deren Basis es sehr viele Fähigkeiten und sehr viel guten Willen gibt. Die Intendanten in der ARD sind keine Könige und keine absolutistischen Herrscher. Das Fernsehen ist auch keine Monarchie, sondern eine Diktatur, es herrscht die Diktatur der Fernsehmentalität, also letztlich der Quote. So wird fast jede Form von Innovation erstickt. […]

Jede Öffentlichkeit ist ein lebendiger Körper, und wenn beim Fernsehen die einen verwalten und das Geld geben und die anderen produzieren sollen, aber nicht entscheiden dürfen, was sie produzieren, dann haben Sie eine Art Planwirtschaft, also eine Fehlkonstruktion. Was es bräuchte, sind Momente der Freiheit, ohne die Öffentlichkeit nicht möglich ist. Das gab es bereits, und es wird auch wieder kommen, weil die Menschen sich das nicht ausreden lassen.”

Update 29.10.

“Heute bietet Arte glücklicherweise die Möglichkeit, durch zwei verschiedene Brillen zugleich auf Frankreich, Deutschland und auch Europa zu schauen. Und 3sat knüpft singuläre Verbindungen nach Österreich und in die Schweiz. Wer das jetzt beliebig ausdehnen will, haut am Ende alles kaputt. Die Perspektiven in den verschiedene Ländern Europa sind sehr, sehr unterschiedlich, das sind sehr viele verschiedene Brillen. Wenn Sie die alle zu­sammenzwingen, bekommen Sie ein Libellenauge mit 40.000 Facetten, und der Blick wird sehr oberflächlich. Oberflächlichkeit ist aber der absolute Feind eines jeden Programms.”

“Digitalität bedeutet heute pure Ver­fügungsmacht. Die Big Seven im Silicon Valley sind wirklich mächtig, obwohl sie nichts produzieren, nur durch schiere Distribution. Wir brauchen einen Gegenalgorithmus zur Algorithmenwelt. Die Leute im Silicon Valley wissen ja viel, aber von vielem haben sie auch keine blasse Ahnung. Der Weg von einem in einer Bibliothek vergrabenen Buch zu einer diskutierenden Öffentlichkeit ist zwar weit, aber wenn wir in Massenproduktion an kleinen Platt­formen bauen, dann ist das auch eine Dezentralisierung und ein Gegengift gegen das Gift der Zentralisierung. ­Gerade so wie Gründlichkeit ein Gegengift ist gegen das Gift der Zerstreuung. Chips sind aus Silizium, also aus Sand. Viel Sand nennt man Wüste. In der ­Wüste gibt es Oasen, an den können wir bauen.”

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. Stefan Overkamp

    “Das gab es bereits, und es wird auch wieder kommen, weil die Menschen sich das nicht ausreden lassen.” Eine schöne Vision. Danke.

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