Beueler-Extradienst

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Zweierlei Erinnerung

Der Überfall der Deutschen auf Kreta 1941 – Vom Umgang mit der Vergangenheit in der griechischen und deutschen Erinnerungskultur – aus Anlass eines aktuellen Staatsbesuches

Lassen Sie mich beginnen mit einem Zitat aus einem in den ersten Nachkriegsjahren auch von den ersten Griechenlandtouristen viel gelesenen Buch.  Anlässlich einer Begegnung mit heimkehrenden Kreta-Kämpfern an einem Strand am Fuß des Olymp schreibt der Autor:

“(Da) saßen, standen und lagen gleichmütig die Helden des

Kampfes, prachtvolle Gestalten. Sie trugen alle nur die kurze Hose,

manche den Tropenhelm, und blinzelten durch ihre Sonnenbrille in den

hellen Morgen. Ihre Körper waren von der griechischen Sonne

kupferbraun gebrannt, ihre Haare weißblond. Da waren sie, die

‘blonden Achaier’ Homers, die Helden der Ilias. Wie jene stammten sie

aus dem Norden, wie jene waren sie groß, hell, jung, ein

Geschlecht, strahlend in der Pracht seiner Glieder. Alle waren sie

da, der junge Antenor, der massige Ajax, der geschmeidige Diomedes,

selbst der strahlende blondlockige Achill. Wie anders denn sollten

jene ausgesehen haben als diese hier, die gelassen ihr Heldentum

trugen und ruhig und kameradschaftlich, als wäre es weiter nichts

gewesen, von den Kämpfen auf Kreta erzählten, die wohl viel

heldenhafter, viel kühner und viel bitterer waren als alle Kämpfe

um Troja. Wer auf Erden hätte jemals mehr Recht gehabt, sich mit

jenen zu vergleichen als die hier – die nicht daran dachten?

Um jeden von ihnen schwebte der Flügelschlag des Schicksals. Es wehte homerische Luft.“

Dieses erlesene Stück großdeutscher Prosa, in dem der Autor, im Zivilberuf Bibliothekar und zeitweilig Privatsekretär Gerhart Hauptmanns, seinen uniformierten Landsleuten wohl mitteilen wollte, dass sie kraft Haarfarbe und Körperbau sich als die rechtmäßigen Nachfolger der alten Hellenen betrachten dürften, ihre Invasion in Griechenland somit so etwas wie eine legitime Wiederinbesitznahme darstelle, stammt aus dem Sommer 1941.   Der Unteroffizier Erhart Kästner hatte es als  Auftragsarbeit für den Befehlshaber im Luftgau Südost, verfasst, es war gedacht für die Hand des deutschen Landsers. Aber nicht nur Veteranen der Landung auf Kreta hatten auch nach dem Krieg noch lange ihre Freude an dem homerischen Vergleich. Andere von ihnen ergötzten sich vermutlich lieber an weniger ambitionierter Landserliteratur, dem „Sieg der Kühnsten“ aus der Feder des Fallschirmjäger-Generals Kurt Student beispielsweise, einer mit einem Vorwort von Reichsmarschall Hermann Göring versehenen Hymne auf die Fallschirmtruppe,  oder an dem Memoirenwerk „Hurra, die Gams“, verfasst von dem ebenfalls an der Landung beteiligten Generalmajor Julius Ringel, und anderen Kultbüchern, wie sie auch die Bundeswehr jenen jungen Soldaten zur Lektüre empfahl, denen der Wehrdienst eine Dienstreise zum Raketen-Schießplatz der Nato bei Chania auf Kreta bescherte. Lese-Empfehlungen aus einem „Kleinen militärgeschichtlichen Wegweiser“ Kreta, aus dem sie (bis ins Jahr 1990) unter anderem von den großen militärischen Leistungen erfahren sollen, die ihre Großväter am selben Ort vor fast einem halben Jahrhundert vollbracht hatten. Über diesen Wegweiser später mehr.

Zum Ablauf der Ereignisse: Im Mai 1941 wurde Hitlers Balkanfeldzug mit der Eroberung Kretas abgeschlossen. Diese, „Unternehmen Merkur“ genannte, Operation war die erste Invasion aus der Luft in der Kriegsgeschichte. Sie war strategisch sinnlos, die Verluste waren enorm, dafür befriedigte sie den Ehrgeiz des Generals Student, der alsbald mit seinem schon erwähnten Heldenepos „Sieg der Kühnsten“ für eine Verklärung des Gemetzels sorgte, und von dieser Gloriole des Heroismus ist das Kreta-Abenteuer bis heute bei so manchem umgeben. Immer noch wird vom „Sieg der Kühnsten“ an manchem Stammtisch schwadroniert (gelegentlich auch, bei organisierten Gruppenreisen an den alten Tatort, am griechischen Tavernentisch). Ganz besonders wird dieses Sieges immer noch gedacht bei der Kameradschaft der Gebirgsjäger in Oberfranken, aber auch in der Fallschirmjäger-Kaserne im bayrischen Altenstadt. Es gab jahrelang auch nicht wenige Touristen, die aus Nostalgie an alte Tatorte reisten. Bestärkt im Bewusstsein, nichts Schlimmes getan zu haben, beispielsweise  durch die Lektüre von Landser-Heften, in hoher Auflage und niedrigem Niveau, zu haben über lange Zeit an jedem Zeitungskiosk , unter Titeln wie „Unterm Edelweiß auf Kreta“, „Kreta von den Wolken aus erobert“ und ähnliches. 

Ausführungen über den militärischen Ablauf der Schlacht, warum die mit Einverständnis der Kreter dort stationierten Briten verloren,  erspare ich mir hier, das steht in den einschlägigen Handbüchern der operativen Militärgschichte.

Was die kühnen Sieger nach der Landung bis zu ihrem Abzug im Sommer 1945 unter der Zivilbevölkerung angerichtet haben, das wurde so erfolgreich verschwiegen und so nachhaltig verdrängt, dass noch Jahrzehnte danach in der Bundesrepublik kaum jemand etwas davon wusste, oder, andernfalls kaum jemand davon sprach. Auch bei der Bundeswehr nicht. Welches Stück Militärgeschichte die Wehrmacht auf Kreta geschrieben hat, das erfuhren die Bundeswehr-Soldaten, die auf der kretischen Nato-Basis NAMFI Raketenschießen übten, noch bis zum Jahre 1990 aus einem Kapitel Kriegsberichterstattung, das der erwähnten Landserliteratur im Ton nicht nachsteht. Als tolle Kerle erlebt man sie da, General Students Fallschirmjäger, wie sie, nur ein paar Zitate, wie sie da „vorprellen“ und „nachstoßen“, „energisch nachdrücken“ und „mit Energie in die Tat umsetzen“, „vom Gegner säubern“, „kühn die Planung, kühn die Tat“. Die Verluste waren hoch, zugegeben, aber „sie wären gerechtfertigt gewesen, wäre diese Schlacht der Auftakt dazu gewesen, die britische Vorherrschaft im Mittelmeer zu brechen“. All das steht in dem schon erwähnten militärgeschichtlichen Wegweiser der Bundeswehr. Wehrkundlicher Lesestoff besonderer Qualität. Nur in der Einführung ist einmal kurz von dem „verbrecherischen Regime“ die Rede, dem die Kreta-Kämpfer dienten. Von den Verbrechen der Fallschirmjäger und Gebirgsjäger ist an keiner Stelle die Rede. 

Bei der Leitung des Militärgeschichtlichen Forschungsamts in Freiburg, des MGFA, das für diese Kreta-Broschüre verantwortlich zeichnete und das im übrigen für seine seriösen zeitgeschichtlichen Publikationen bekannt war, war man über das Produkt nicht besonders glücklich. Es war wohl eher ein Ausrutscher, und so wurde, nachdem die ersten 6000 Exemplare des Wegweisers vergriffen waren, eine Überarbeitung angeordnet. In dem neuen Text wollte man zumindest „die Problematik der deutschen Besetzung und des kretischen Widerstandes deutlicher konturieren“. Was dann auch geschah, in der  zweiten Auflage von 1990,  erhielt u.a. die deutsche Historikerin Marlen von Xylander Gelegenheit, eine ausgewogene Darstellung der so genannten Problematik hinzuzufügen. 

Was es mit dieser „Problematik“ auf sich hat, darüber ist einiges auch in einem anderen kleinen (leider bis heute unübersetzten) und leider seit Jahrzehnten vergriffenen Buch nachzulesen, das der durch seinen Roman „Alexis Sorbas“ weltberühmt gewordene Schriftsteller Nikos Kazantzakis 1945 mit verfasst hat. Sechs Wochen lang war er im ersten Sommer nach dem Krieg, begleitet von den Universitätsprofessoren Kalitsounakis und Kakridis, und dem Fotografen Koutoulakis in einem von der Wehrmacht zurückgelassenen Kübelwagen kreuz und quer durch Kreta gefahren, zu einer Bestandsaufnahme des Schreckens. Brennend, mordend und plündernd waren die Besatzungstruppen über zahllose Dörfer hergefallen, wann immer die kretischen Partisanen/Freiheitskämpfer die Eindringlinge angriffen.  8800 bei sogenannten „Sühnemaßnahmen“ der Deutschen zerstörte Häuser notierte Kazantzakis, kaum ein Dorf, das keine Toten zu beklagen hatte, von den regelmäßigen Plünderungen, den vielen zerstörten oder als Ställe mißbrauchten Kirchen und den geraubten Ikonen gar nicht zu reden. In der Provinz Rethymnon, so ermittelte Kazantzakis, war die Landwirtschaft zu achtzig Prozent zerstört. Geplündert worden waren hier: 384 000 Oka Weizen (eine Oka entsprach 1,23 Kilo), 250 000 Oka Olivenöl, 25 200 Schafe und Ziegen. Die Kreter zahlten für ihren Freiheitswillen und für ihren Beitrag zur Befreiung Europas vom braunen Terror einen hohen Preis.

„Sühnemaßnahmen“ hießen bei der Wehrmacht die Rachefeldzüge der Okkupanten, sie wurden angeordnet, wann immer die Kreter (im Bunde mit den nach Ende der Schlacht um die Insel dort verbliebenen Briten) Überfälle oder Sabotageakte verübten oder britische Soldaten auf der Flucht versteckten. Inwieweit und in welchem Ausmaß es dabei zu Misshandlungen gefangener deutscher Soldaten oder zu Leichenschändungen gekommen sei, war auch bei der Wehrmacht umstritten, auf alle Fälle täte die deutsche Seite gut daran, sich da heute mit moralischen Anklagen zurückzuhalten, was Soldaten der 1. Gebirgsdivision sich da in Griechenland Einschlägiges geleistet haben, stellt jedenfalls alles in den Schatten, was über eventuelle Untaten kretischer Partisanen erzählt wird. Propaganda-Lügen oder nicht. 

Bereits am 31. Mai 1941 erließ General Student folgenden Befehl über Vergeltungsmaßnahmen:

“Es kommt darauf an, alle Maßnahmen mit größter Beschleunigung durchzuführen, unter Beiseitelassung aller Formalien und unter bewusster Ausschaltung von besonderen Gerichten. Bei der ganzen Sachlage ist dies Sache der Truppe und nicht der Gerichte. Sie kommen für Bestien und Mörder nicht in Frage.” Für jeden Soldaten eine klar erkennbare Aufforderung zum Verstoß gegen alle Regeln des Kriegsvölkerrechts. Die allerdings in Einklang stand mit einem sog. Führerbefehl.

Als »Vergeltungsmaßnahmen« hatte Student im einzelen befohlen:

»1.) Erschießungen;

2.) Kontributionen;

3.) Niederbrennen von Ortschaften;

4.) Ausrottung der männlichen Bevölkerung ganzer Gebiete.«

In Vollzug dieser Befehle wurden bis Ende August 1941 Dutzende Ortschaften zerstört und etwa 2000 Kreter umgebracht. Die Orte Kandanos und Kondomari sind zu Synonymen dieses Rachefeldzuges der Wehrmacht gegen die kretische Zivilbevölkerung geworden. Auch Students Nachfolger auf Kreta erließen Befehle, die verbrecherisch genannt werden müssen. So befahl General Bruno Bräuer, Students Nachfolger als Kommandant Kretas, am 10. Februar 1944, zur Sicherung von Wehrmachtskonvois auf den LKW als lebende Schutzschilde »griechische junge Mädchen in größerer Zahl« mitzuführen. General Friedrich Müller ordnete am 14. August 1944 an, bei Partisanenaktionen »die in der Nähe liegenden Ortschaften durch zusammengefaßte Feuerschläge der Artillerie zu beschießen.« Es könne keine Rücksicht »gegenüber nichtschuldigen Männern, Frauen und Kindern geübt werden.«

Für ihre Mitwirkung beim Kampf gegen das Nazi-Regime wurden die Kreter nach dem Krieg von den Briten mit allerlei Dankadressen bedacht. In der Kreta-Broschüre der Bundeswehr (1. Auflage) wurden sie dafür als von den Briten zum Heckenschützen-Krieg verführt abqualifiziert, als Leute noch dazu, die ihre gefallenen Gegner meist ohne Erkennungsmarke „verscharrten“. 

Wie die Deutschen ihre Gegner beerdigten, davon haben die Einwohner des schwer heimgesuchten Dorfes Alikianos dem Schriftsteller Nikos Kazantzakis im Sommer 1945 zum Beispiel dies erzählt: „Am 2. Juni exekutierten sie auf dem Kirchhof 42 Männer, vor den Augen ihrer zum Zuschauen gezwungenen Frauen, als Sühnemaßnahme für die während des Angriffes getöteten Fallschirmjäger. Die Todgeweihten mußten mit eigener Hand ihre Gräber ausheben. Nachdem die Deutschen ihnen ihr Geld, ihre Ringe und Uhren abgenommen hatten, erschossen sie sie in Zehnergruppen und warfen ihnen jeweils – anstelle von Gnadenschüssen – noch eine Handgranate hinterher. Viele sind lebendig begraben worden. Augenzeugen berichten, daß sich die auf die Erschossenen geworfene Erde noch von den Todeszuckungen der so Begrabenen bewegte.“

Die Besatzungstruppen, die sich selbst in der Regel nicht an die Mindeststandards des Kriegsvölkerrechts hielten, pflegten ihre Repressalien gegen die Zivilbevölkerung damit zu begründen, daß sie diese so zur Einhaltung des Kriegsrechts zwingen wollten. Und zur Einstellung des Freiheitskampfes. Ein Fehlschlag, wie die deutschen Generäle bald feststellen mussten. Aber dass die Repressalien den beabsichtigten Zweck der Abschreckung der Bevölkerung nicht erreichten, sondern das Gegenteil bewirkten, nämlich „verstärkten Haß gegen die Deutsche Wehrmacht und damit verstärkten Zulauf zu den Banden“ auslösten, wie etwa General Speidel es ausdrückte, hielt die meisten Kommandeure nicht von ihrer Terrorpolitik ab.

Eines der schlimmsten Massaker, berichtet Kazantzakis, geschah im September 1943 in der Gemeinde von Ano Viannos: „Am 14. 9. sollte eine der größten Katastrophen hereinbrechen, die Kreta während der ganzen Besatzungszeit erlebt hat. Die Deutschen überfielen die Dörfer von Viannos – Amira, Vachjos, Kephalovrissi, Krevatas, Aghios Vassilis, Pevkos, Kato Symi, Gdochia, Myrtos, Mournies, Malles und andere. Nachdem sie schon vorher auf dem Hinweg jeden getötet hatten, der ihnen begegnete – Männer, Frauen, Kinder – trieben sie in den Dörfern selbst alle Männer zusammen und exekutierten sie in Gruppen.“

In der geheimen Tagesmeldung des Oberkommandos der Heeresgruppe E an den Oberbefehlshaber Südost vom 22. 9. 1943 hieß es hinterher zynisch und knapp: „… 440 Banditen tot, 200 Festgenommene, 3 Bandenortschaften zerstört. Geringe eigene Verluste …“  Banditen hießen im Wehrmachtsjargon die Partisanen

An anderer Stelle beschreibt Kazantzakis das Schicksal der Frauen von Kali Sykia, einem Dorf, das dem Partisanenführer Bandouvas mit Informationen und Proviant geholfen haben soll: „Da die Männer das Dorf verlassen hatten, trieben die Deutschen nach ihrer Ankunft alle Frauen am Brunnen zusammen zum Verhör, um zu erfahren, wo die Männer seien und die Waffenverstecke. Zur Einschüchterung hatten sie die MGs auf die Frauen gerichtet. Da die Frauen aber nichts verrieten, setzten sie vier Häuser in Brand und befahlen den Frauen, denen die Häuser gehörten, sich vor ihnen aufzustellen. … Evangelia Grintaki hielt ihr zweijähriges Kind in den Armen. Die Deutschen nahmen es ihr weg, warfen es auf die Straße und die Frau in das brennende Haus, wo sie in den Flammen umkam. Malamatenia Petraki und Maria Nikitara wurden in das brennende Haus des St. Stavroulaki geworfen …“

Und so geht das weiter, Seite um Seite. Unter den Opfern immer wieder Frauen, Kinder und Greise. In den offiziellen Meldungen der Truppe finden sich diese Opfer immer wieder  als „erschossene Banditen“ wieder. Aber der tatsächlichen „Banditen“, wie die kretischen Freiheitskämpfer im Jargon der Wehrmacht hießen, wurde man nur in den seltensten Fällen habhaft.

Ich habe mich hier für die Bestandsaufnahme der deutschen Kriegsverbrechen auf Kreta vor allem auf Nikos Kazantzakis gestützt, weil seine im Auftrag der griechischen Regierung 1945 durchgeführte Untersuchung so zeitnah war. Sie wurde übrigens von der griechischen Regierung damals unter Verschluss genommen und verschwand, erst 1980 tauchte eine Schreibmaschinenkopie im Rathaus von Heraklion wieder auf und wurde erstveröffentlicht. In kleiner, inzwischen längst vergriffener Auflage. Aus politischer Rücksichtnahme nie wieder aufgelegt, kann man in Heraklion hören. Ob’s stimmt, weiß ich nicht. 

Wie viele Opfer die „Sühnemaßnahmen“ auf Kreta insgesamt gefordert haben, das hat Nikos Kazantzakis nur schätzen können. „Wenn wir aber in Rechnung stellen, dass allein die offizielle Statistik des Departements Rethymnon 905 Exekutierte aus 130 Gemeinden anführt und berücksichtigen, daß die Departements Heraklion und Chania die Hauptbetroffenen waren, dürfte die Zahl der Exekutierten 3000 ziemlich nahekommen.“ Ein Jahr später bezifferte das Athener Landgericht, das die Kreta-Generäle Bruno Bräuer und Friedrich-Wilhelm Müller als Kriegsverbrecher zum Tode verurteilte, die Zahl der getöteten Zivilisten auf 9000.  

In einem  Athener Prozeß gegen die Kreta-Generäle Friedrich-Wilhelm Müller und Bruno Bräuer (beide wurden hingerichtet) kam 1946 auch das Schicksal der jüdischen Gemeinde von Chania zur Sprache. Die Juden waren seit vielen Jahrhunderten in der alten Hafenstadt ansässig, die meisten von ihnen Nachfahren spanischer Juden, die Ende des 15. Jahrhunderts vor der Inquisition geflüchtet waren. Bis zum Mai 1944 lebte die jüdische Gemeinde ungestört, man hatte dort   keine Furcht mehr vor einer drohenden Deportation – das Großdeutsche Reich, so glaubte man, hätte schließlich andere Sorgen, als sich um die letzten noch verbliebenen Juden in Griechenland zu kümmern. Die Juden des griechischen Festlandes waren, soweit sie nicht in den Bergen oder bei Freunden Zuflucht gefunden hatten, längst nach Auschwitz deportiert, fast 60 000 Menschen. Jetzt aber wankte die Ostfront, die alliierte Landung in der Normandie stand unmittelbar bevor. Und da sollten sich die Nazis noch mit ein paar hundert kretischen Juden abgeben, kostbaren Schiffsraum riskieren und Bahntransporte von Athen nach Polen organisieren? Aber die Juden von Chania hatten die deutsche Gründlichkeit unterschätzt.

Mitte Mai 1944 erhielt General Bräuer aus Berlin den Befehl zur Festnahme aller chaniotischen Juden und wurde zum willigen Vollstrecker. In der Nacht vom 20. zum 21. Mai wurde das Judenviertel umstellt, Lautsprecher brüllten den Befehl in die Nacht: Alle Juden in 15 Minuten vors Haus treten, erlaubtes Reisegepäck fünf Kilo. Wer sich versteckt oder zu fliehen versucht, wird auf der Stelle erschossen. Der nächtliche Überfall war erfolgreich: Nur vier der in Chania anwesenden Juden entkamen der Menschenjagd. Die Gefangenen wurden zunächst im berüchtigten Gefängnis von Aghia eingesperrt, wo sonst kretische Partisanen gefoltert und Geiseln erschossen wurden. Sie wurden gezwungen, alles Geld und alle Wertsachen abzugeben. Wer das Unglück hatte, sichtbare Goldzähne und -Brücken im Mund zu tragen, der wurde, wie der chaniotische Chronist Joannis Androulidakis überliefert, in einer besonderen Baracke einer zahnärztlichen „Sonderbehandlung“ unterzogen. Einen ganzen Tag dauerte die Schatzsuche, berichtet Androulidakis, und es sei ein Vermögen zusammengekommen auf dem Gefängnishof von Aghia. Die von General Bräuer zusammengetriebenen Juden wurden schließlich auf ein Schiff verladen, zur Überfahrt nach Athen und zum Weitertransport nach Auschwitz. Doch das Schiff wurde auf der Fahrt nach Piräus von einem britischen Torpedo getroffen, die Juden ertranken.

Das meiste davon habe ich, ich gesteh’s, erst Anfang der 1980er Jahre auf einer Recherche-Reise für den WDR-Hörfunk erfahren, und das war schon meine dritte Kreta-Reise, die erste hatte ich im Jahr 1963 unternommen, ahnungslos. Auf dem Gymnasium und an der Uni keinerlei Information zum Thema, in den gängigen Reiseführern schon gar nicht. Die Insel wurde schon bald nach dem Krieg von deutschen Reiseveranstaltern als Sommerziel angeboten, aber da durften hässliche Erinnerungen nicht stören. So las man zur Reisevorbereitung, neben dem Buch, aus dem ich anfangs zitierte (und das später etwas gereinigt unter dem Titel ÖLBERGE WEINBERGE bei Insel neu erschien), auch das, was der deutsche Schriftsteller Erhart Kästner in seinem im Auftrag der Wehrmacht verfassten, nach dem Krieg immer wieder aufgelegten  Buch Kreta geschrieben hatte: eine friedliche Besatzungsidylle, die den uninformierten Touristen, und das waren die meisten, glauben machen konnte, hier sei doch nichts Schlimmes geschehen. Und noch im Jahr 1978  empfahl das Reisemagazin MERIAN, über lange Zeit einer der beliebtesten Reisebegleiter deutscher Touristen, zwar einen Besuch auf dem Soldatenfriedhof von Maleme, um der auf Kreta gefallenen Deutschen zu gedenken, die Opfer der deutschen Invasoren waren kein Thema. Erstmals im Jahre 1990, viereinhalb Jahrzehnte nach Kriegsende, fand der deutsche Kreta-Tourist in einem neuen  Kreta-Heft MERIAN einen fünfseitigen Artikel über die Kreta-Besatzung vor. „Als die Deutschen vom Himmel fielen“, hatte der Südwestfunkredakteur Werner O. Feißt, der davor schon eine Fernseh-Dokumentation zum Thema gedreht hatte, seine (ausgezeichnete) Reportage überschrieben. Und andere seriöse neuere Kretareiseführer verschweigen nicht länger, was unter der NS-Besatzung auf der Insel geschah.

Und auch dies festzuhalten:

Die deutsche Besatzung auf Kreta ist mittlerweile auch Thema der Belletristik geworden. In Romanen und Erzählungen wird es aufgegriffen, so in dem Buch „Der kretische Gast“ von Klaus Modick, oder dem Roman „Revecca“ von Manfred  Dierks, Fiction vor historischem Hintergrund, es gehört zu einer Art Erinnerungsboom. Entstehende Ähnlichkeit mit lebenden oder historischen Personen zufällig, wir kennen das. 

Wie war aber die jahrzehntelange kollektive Verdrängung zu erklären? Alexander und Margarete Mitscherlich haben das in ihrem 1967 erstmals erschienenen Buch „Die Unfähigkeit zu trauern“ so analysiert:

„Einer kleinen Gruppe von ‘Vergangenheitsforschern’ quasi als Spezialisten wird der Auftrag erteilt, Spuren zu verfolgen, aber … man überlässt es diesen Historikern, Staatsanwälten oder Richtern, sich stellvertretend mit der Schuld der Vergangenheit zu beschäftigen. Sie bleiben sich dabei sich selbst überlassen, die Ergebnisse ihrer Forschung werden in einer psychisch wirksamen Isolierung gehalten.“(reclam-ausgabe 143) Und für kaum ein Land unter den ehemals NS-Besetzten trifft das hier Zitierte mehr zu als für Griechenland. 

Ein paar Worte in diesem Zusammenhang zum  Thema

Strafjustiz und Erinnerungskultur 

Dass es so lange gedauert hat, bis die deutschen Kriegsverbrechen in der BRD ins öffentliche Bewusstsein rückten, hat durchaus auch etwas mit der Strafjustiz zu tun. Der ehemalige Leiter des Instituts für Zeitgeschichte, Martin Broszat, hat einmal zu bedenken gegeben, dass der Beitrag, den die Justiz zur Aufklärung über die NS-Verbrechen geleistet hat, vielleicht wichtiger war als die Strafen, die sie verhängte oder nicht verhängte.

Auch die bundesrepublikanische Justiz hat nichts zur Aufklärung über die Wehrmachtsverbrechen in Griechenland beigetragen. Sie hat diese Verbrechen auf dem Balkan zumeist im Sinne der nationalsozialistischen Interpretation des Militärrechts behandelt. Das öffentliche Interesse an der Verfolgung der Kriegsverbrechen war zudem gering. Diese hatten, so die Einschätzung von Adalbert Rückerl, dem langjährigen Leiter der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg, ”im Urteil vieler Menschen den Charakter einer echten kriminellen Handlung weitgehend verloren“. Nach seiner Einschätzung rangierten die in unmittelbarem Zusammenhang mit militärischen Ereignissen begangenen Rechtsverletzungen “in der Vorstellung des Durchschnittsbürgers auf der Unwertskala weit hinter dem rein kriminellen Rechtsbruch“.

Also ohne Strafverfahren keine Aufklärung. Verfahren wie der Auschwitzprozess haben durch die Berichterstattung in den Massenmedien jedenfalls viel zur Aufklärung eines breiteren Publikums über die Verbrechen der NS-Zeit beigetragen. Im Fall Griechenland beispielsweise hat aber diese Aufklärung nicht stattgefunden, weil die entsprechende strafrechtliche Verfolgung nicht stattgefunden hat. Und das hat einen doppelten Grund: Zum einen haben die griechischen Nachkriegsregierungen schon früh auf die Strafverfolgung deutscher Kriegsverbrecher verzichtet (die „Endlösung der Kriegsverbrecherfrage“, wie das im von Altnazis beherrschten Auswärtigen Amt gelegentlich geschmackvoller Weise erfreut genannt wurde, war eines der ersten diplomatischen Ziele der BRD in Griechenland). Was allerdings nicht reichte: in der BRD hatte der Bundestag zwar die (zunächst 20jährige) Verjährungsfrist für Mord mehrmals verlängert und 1979 endgültig aufgehoben, so dass im Falle mordqualifizierter Kriegsverbrechen auch dann gegen die Täter  ermittelt werden muss, wenn das Opferland auf Strafverfolgung verzichtet hat. Doch sorgte hier die weitestgehende Renazifizierung der deutschen Nachkriegs-Justiz (der WESTDEUTSCHEN) für Täterschutz: Von den 239 Ermittlungsverfahren bei den verschiedenen westdeutschen Staatsanwaltschaften (so viele zählte Anestis Nessou in seiner Dissertation über die deutsche Besatzungspolitik in Griechenland) wurde nur gegen einen der Beschuldigten ein Hauptverfahren eröffnet, in einem weniger bedeutenden Fall. Die übrigen 238 Ermittlungsverfahren wurden in aller Stille eingestellt, mit teilweise haarsträubenden Begründungen, die Akten landeten im Archiv, wo sie Staub ansetzten, oder sie wurden dem  Reißwolf  übergeben. Zu dem einen Hauptverfahren, dokumentiert in der großen Urteilssammlung Rüter-Ehlermann: 

Es fand vor dem Landgericht Augsburg statt, verhandelt wurde die völlig willkürliche Erschießung von sechs Zivilisten auf Kreta, wobei das Gericht sich den Standpunkt der Wehrmacht zu eigen machte, “dass mit dem Begriff Partisanen, wie er auf deutscher Seite im Jahr 1944 gebraucht wurde, alle Zivilpersonen im besetzten Gebiet verstanden wurden, welche der Begehung feindseliger Handlungen gegen Personen und Sachgüter der deutschen Kriegsmacht auch nur in etwa verdächtig waren.” Dementsprechend nannte es das LG Augsburg einen Akt “völkerrechtlicher Notwehr”, wenn “verdächtige Personen, die sich im Vorfeld der deutschen Hauptkampflinie aufhielten und nicht sofort als harmlos zu erkennen waren, ohne Standgerichtsurteil auf Befehl von Offizieren erschossen wurden.” Der Angeklagte, ein Hauptmann S., wurde im Juli 1951 folgerichtig freigesprochen. In dem einzigen, wohlgemerkt einzigen Strafverfahren, das es wegen Verdachts auf Kriegsverbrechen auf Kreta vor einem westdeutschen Gericht jemals gegeben hat.

Ein vergleichsweise großes Echo hatten in den letzten Jahren nun die Gerichtsverfahren wegen Entschädigung für in Griechenland begangene Wehrmachtsverbrechen. Das juristische Marathon von Argyris Sfountouris und anderer Okkupationsopfer, das schließlich vor dem Internationalen Gerichtshof von Den Haag endete, hatte wenigstens teilweise den Aufklärungseffekt, den die strafrechtliche Verfolgung nicht hatte, weil sie nicht stattfand. Warum die Klagen der Opfer auf Entschädigung bis heute scheiterten, ist ein besonderes Kapitel. Auf jeden Fall aber ist die stereotype Behauptung aller Bundesregierungen seit der Wiedervereinigung, die griechischen Entschädigungs- und Reparationsforderungen seien juristisch ein für allemal erledigt, schlicht falsch. Ich komme noch darauf zurück.

Die Historiker

Doch hier zunächst zu den von den Mitscherlichs angesprochenen Universitäts-Historikern. Die haben erst in den späten 1970ern in den reichlich bestückten Archiven nachgesehen. So der heute in Griechenland lebende Hagen Fleischer, der bei Bekanntgabe seines Dissertationsthemas . „Die deutsche Besatzungsherrschaft in Griechenland“ – im Doktorandencolloquium in der FU die erstaunte Frage der Kommilitonen zu hören bekam – ach, da waren wir auch?  All das im Westen Deutschlands, in der DDR war’s anders, aber das ist eine andere Geschichte.

Die deutschen Kriegsverbrechen im besetzten Griechenland gehörten so in der Bundesrepublik (und nicht nur hier) über Jahrzehnte zu den am wenigsten bekannten Untaten von Wehrmacht und Waffen-SS an der Zivilbevölkerung. So schrieb vor ein paar Jahren der genannte, heute in Athen lehrende Historiker Hagen Fleischer: ”Die von der internationalen Historiographie erarbeitete ‚Europa-Karte‘ des faschistischen Okkupationsterrors ist extrem nordlastig: Der Balkan und insbesondere Griechenland bilden weiße oder- bestenfalls – graue Flecken und sind einer breiteren europäischen Öffentlichkeit in diesem Kontext nahezu gänzlich unbekannt. 

Um es klar  zu sagen: diese verspätete Rezeption der Kriegsereignisse in Griechenland hat wenig mit der Quellenlage und mangelnden Informationsmöglichkeiten zu tun. Publizistik und Geschichtswissenschaft hatten ausreichend Möglichkeiten, frühzeitig von den Vorgängen auf dem Balkan zu erfahren. Die Kriegstagebücher der Kommandobehörden des Heeres und der Divisionsstäbe, die diese Verbrechen dokumentieren (wenn auch oft mit gefälschten Eintragungen, was den Ablauf der Verbrechen betrifft, sie sind also entsprechend quellenkritisch zu lesen), die Kriegstagebücher sind zu großen Teilen erhalten und waren im Freiburger Militärarchiv einsehbar. Aber keiner ging hin. Andererseits auch dies:

Einer der 12 Nachfolgeprozesse vor dem amerikanischen Militärtribunal von Nürnberg, der “Fall 7”, auch unter der Bezeichnung ”The Hostage Case” (“Geiselmordprozess”) bekannt, befasste sich fast ausschließlich mit den Repressalien und “Sühnemaßnahmen” in Griechenland und Jugoslawien, ein Großteil der Akten wurde bereits kurz nach Abschluss des Verfahrens 1948 in den USA publiziert. Bis heute allerdings liegt dieser Band nicht in deutscher Übersetzung vor. Eine solche Übersetzung hatten die Richter von Nürnberg geplant, (im Rahmen der Bemühungen um die sog. reeducation), sie wurde jedoch von der US-Regierung verhindert, angeblich aus Kostengründen. Doch in Wirklichkeit ging es mit Beginn des Kalten Krieges darum, in der Bundesrepublik gute Stimmung für eine Wiederbewaffnung zu machen und die noch ”wehrbereiten” deutschen Berufssoldaten dafür zu gewinnen, und da sollte möglichst bald Gras wachsen über die Nürnberger Prozesse. Die englischsprachige Originalausgabe stand nur in den wenigsten westdeutschen Bibliotheken zur Verfügung. Und aus den Bibliotheken der Amerikahäuser wurden die Bände schnell wieder entfernt. Lediglich in der DDR erschien auf deutsch eine ausführlich kommentierte Ausgabe des Urteilstextes.

Was in der Bundesrepublik hingegen massenhaft gedruckt wurde, war eine Menge “Täterliteratur” ich sagte es eingangs, über deutsche Kriegsabenteuer auf dem Balkan, vom Landserheft bis zur Divisionschronik – Erinnerungsschriften, die, mal larmoyant, mal heroisierend, in mehr oder weniger primitiver Form die “Heimtücke” und “Bestialität” des Gegners schildern, die eigenen Heldentaten und die deutsche Kriegstugend glorifizieren, verfasst von Tätern, die (angeblich) “guten Glaubens waren“, um nur den Titel eines der schlimmsten  einschlägigen Machwerke anzuführen. Die Wahrheit über die eigenen Untaten fiel unter den Tisch, sie wurde oft nicht auch nur angedeutet. Stattdessen werden manche der Täter, etwa die für die schrecklichsten Besatzungsverbrechen in Griechenland stehenden Gebirgsjäger der 1. Gebirgsdivision, bis heute im Rahmen der Traditionspflege der Bundeswehr als Vorbilder gepriesen. Der ehemalige bayerische Ministerpräsident Stoiber, der seinen Grundwehrdienst bei den Gebirgsjägern abgeleistet hat, gab sich ”besonders stolz auf diese spezifisch bayerische Truppe und ihre Leistungen in Vergangenheit und Gegenwart.  Leistungen, die sie auch auf Kreta vollbrachten. Zum Thema Traditionspflege bei der Bundeswehr später mehr.

Die bundesrepublikanische Universitätsforschung hat so das Kapitel Kriegsverbrechen und Okkupationsgeschichte auf dem Balkan in den ersten Nachkriegsjahrzehnten weitgehend ignoriert, im Unterschied zum Militärgeschichtlichen Forschungsamt der Bundeswehr (MGFA), das sich unter Leitung seines Amtschefs Manfred Messerschmidt des Themas früh angenommen und die ersten Arbeiten dazu publiziert hat. 

Mittlerweile gibt es eine Menge seriöse wissenschaftliche Literatur zum Thema,  auf deutsch und auf griechisch zugänglich, so sind beispielswiese aus  dem Athener Universitäts-Seminar von Hagen Fleischer (letztes Jahr emeritiert aber noch längst nicht im Ruhestand) einige wichtige Doktorarbeiten hervorgegangen. Aber es gibt auch zunehmend Tendenzen zu einem Geschichtsrevisionismus, der sich die Wiederherstellung der verlorenen Ehre der Wehrmacht zur Aufgabe gemacht hat, einer seiner Vertreter hat gerade von sich reden gemacht mit seinem Buch über die Eroberung von Kreta, in dem die Fallschirmjäger fair und ritterlich (so wörtlich) kämpfen, die Partisanen sind die Bösen, sie kämpfen viehisch, und sind an all dem schuld, was den Kretern zwischen 1941 und 1945 zugestoßen ist. Der Autor, Heinz A. Richter, bekam, ungeachtet der apologetischen Tendenz seines auch ins Griechische übersetzten Kreta-Buchs im November 2015 von der Universität von Kreta in Rethymnon einen Ehrendoktor verliehen, an dem er allerdings nicht lange Freude hatte. Details erspare ich mir hier, wenn’s interessiert Details dazu im Anschluss. 

 Ein paar Worte jetzt noch zum Thema Traditionspflege bei der Bundeswehr

Welche Rolle der Überfall auf Kreta dort spielte,  das ist ein Kapitel für sich. So gab es im bayrischen Altenstadt, bis zum Oktober 1998,  auf dem Gelände der Franz-Josef-Strauß-Kaserne, eine Generaloberst-Student-Straße, zu Ehren desselben Generals, der u.a.,  für das Massaker von Kontomari und für die Zerstörung von Kandanos verantwortlich zeichnete. Der Straßenname verschwand erst nach heftigen öffentlichen Protesten. Bei dieser Gelegenheit wurde auch jene Straße umbenannt, die den Namen des Fallschirmjäger-Generals Bruno Bräuer trug, der, wie schon erwähnt,  u.a. als williger Vollstrecker der Deportation der Juden von Kreta in die Geschichte eingegangen ist. Und 1947 in Athen als Kriegsverbrecher hingerichtet wurde. Dass die Bundeswehr endlich ihre Namen aus der Heldengalerie der ewig Gestrigen entfernte, der Friedensforscher Jacob Knab hat einen großen Anteil daran, das störte ganz besonders den Brigade-General der Fallschirmjäger i.R. Günter Roth, eine zeitlang auch Amtschef des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes. In einem Protestartikel, erschienen in der  rechtsrandigen „Jungen Freiheit“, (rechtsradikal darf man die nach einem höchstrichterlichen Urteil nicht mehr nennen) da rügte er die „Bilderstürmer “, die die erwähnten Namen der von ihm Verehrten in der alma mater der Fallschirmjäger in Altenstadt entfernen ließen,  am 9. November 1998 (Knab 15) verschwand auch das Ölgemälde „Generaloberst Student“ aus einem Lehrsaal, der bis dahin seinen Namen trug.  Noch im März 1996 hatte Generalmajor Jürgen Reichardt den kriegerischen Geist der deutschen Fallschirmjäger  gerühmt, die sie zu Leistungen befähigte, „die anderen als Beispiel dienten, die vielen als unmöglich galten„ die vor allem den Soldaten der gegnerischen Armeen Ehrfurcht und Respekt abnötigten und von deren Ruhm noch heute die Fallschirmtruppen aller modernen Armeen zehren. Es ist ein Geist, der seine tiefen Wurzeln in unserer deutschen Militärgeschichte, in unserer abendländischen Kultur und in unserer christlichen Ethik hat.. … Das ist unsere soldatische Tradition, und unsere deutschen Fallschirmjäger haben für ihren ritterlichen Kampf unsterblichen Ruhm erworben.“

Im Namen der abendländischen Kultur und der christlichen Ethik also haben sie auf Kreta Frauen und Kinder massakriert, gemordet, geplündert, gebrandschatzt, folgt man dem Bundeswehrgeneralmajor Reichardt, und er ist ja nicht der einzige hohe Repräsentant der Truppe, dem die Täter von Kreta noch immer Vorbild sind, bei den alljährlichen Treffen der Gebirgsjäger-Kameradschaften konnte man Vergleichbares hören. 

Aber auch, das sei hinzugefügt, nicht immer leise Proteste des Arbeitskreises anfechtbare Traditionspflege, der alljährlich Vertreter der Opfer einlädt, von den Heldentaten der Edelweißler nicht zuletzt auf Kreta zu berichten, zum Beispiel anlässlich der alljährlichen Traditionstreffen der 1. Gebirgsdivision zu Pfingsten im bayrischen Mittenwald. Von welchem Geist die Versammlungen geprägt sind, das demonstrierte nicht zuletzt die Festansprache des ehemaligen NATO-Kommandeurs und Vier-Sterne-Generals Klaus Reinhardt zu Pfingsten 2000 am Mittenwalder Gebirgsjägerdenkmal: die Gebirgstruppe der Bundeswehr sei „von Männern aufgebaut und geistig ausgerichtet, die als Kommandeure, als Kompaniechefs und Kompaniefeldwebel… uns die zeitlosen militärischen Werte wie Pflicht, Treue, Tapferkeit und Kameradschaft vorgelebt haben. Diese Männer waren unsere Vorbilder und sie repräsentieren eine ganze Generation von Wehrmachtssoldaten, die der nachfolgenden Generation das Koordinatensystem ihrer Werteordnung weitergegeben haben.“

Was sie im Zeichen dieser Werteordnung vor allem in Griechenland angerichtet haben, ist ja nun längst hinlänglich bekannt, das ganze Ausmaß der Untaten dieser nur noch von der Waffen-SS übertroffenen Truppe wurde  allerdings erst mit der minutiös recherchierten und dokumentierten Publikation „Blutiges Edelweiß“ des allzu früh verstorbenen Hermann Frank Meyer sichtbar. 

Zum Kapitel Entschädigung

Die Bundesregierungen wiederholen seit der Wiedervereinigung wider besseres Wissen stereotyp den Satz, die Frage der Entschädigungen und Reparationen an Griechenland seit politisch und juristisch final erledigt. Und lässt durch ihre Regierungssprecher das mal so mal so begründen (mit je unterschiedlichen Behauptungen): 

Behauptung eins : 

Die Frage sei  durch Zeitablauf erledigt nach so vielen Jahren  freundschaftlicher Zusammenarbeit.

Zitat aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Partei die  Linke aus dem Jahr 2010: 65 Jahre nach  Kriegsende und nach Jahrzehnten friedlicher, vertrauensvoller und fruchtbarer Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland mit der internationalen  Staatengemeinschaft einschließlich dem NATO- und EU-Partner Griechenland hat die Reparationsfrage ihre Berechtigung verloren. Das ist eine politische Meinungsäußerung, juristisch ohne Belang, die Gegenseite ist anderer Meinung, begreiflicherweise. Und hat das auch jahrzehntelang immer wieder zum Ausdruck gebracht. Jedenfalls ist das Zeitablaufargument besonders problematisch, wenn der Schuldner diesen Zeitablauf mit allerlei Tricks herbeigeführt hat.

Behauptung  zwei: 

Mit dem deutsch-griechischen Globalabkommen von 1961 (es wurden damals 115 Millionen D-Mark für Opfer nationalsozialistischer Verfolgung ausgezahlt),  seien alle Kriegsschulden an Griechenland abgegolten. sagen Regierungssprecher bei allen möglichen Gelegenheiten. Davon ausgehend, dass sich kein Journalist die Mühe macht, in der entsprechenden BT-Drucksache nachzulesen, was damals wirklich vertraglich vereinbart wurde. Die damals vereinbarten 115 Millionen Mark (peanuts, würde man im Banker-Jargon heute sagen), waren laut Vertragstext, für Opfer nationalsozialistischer Verfolgung, aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder Weltanschauung bestimmt, d.h. Im Klartext, für überlebende KZ-Opfer oder ihre Nachkommen, nicht für Opfer von Wehrmachtsverbrechen oder zur Wiedergutmachung von Schäden im Sinne von Reparationen, außerdem emthielt das Abkommen mit Griechenland die Zusatzklausel, dass Griechenland sich vorbehalte, nach Ablauf des Schuldenmoratoriums von London, Artikel 5 Absatz 2, weitere Forderungen geltend zu machen. Also: alles andere als ein Schlussstrich, auch wenn es so aussah in Art.5 Abs. 1 (eine deutsche Wiedervereinigung oder ein Friednesvertrag als Voraussetzung neuer Verhandungen zu Zahlung der tatsächlichen deutschen Schulden. 

Behauptung drei:

Das 2plus4 – Abkommen habe die Entschädigungsfrage ein für alle mal erledigt. Doch  waren bei den Verhandlungen zu diesem Abkommen, wie der Name schon sagt, über die vier großen Siegermächte hinaus keine anderen ehemals NS-besetzten Länder beteiligt, und die VIER konnten juristisch bindend nicht im Namen anderer Länder auf Reparationen verzichten. 

Behauptung vier

Griechenland habe selbst nach dem 2plus4-Vertrag auf die alten Forderungen verzichtet, damit auch auf die Erstattung einer dem Land im Krieg abgepressten Zwangsanleihe. Der Sprecher des Finanzministeriums, Martin Jäger, am 12. Januar 2015: „Ich halte fest, dass es keine Forderung seitens der griechischen Regierung bezogen auf die Zwangsanleihe gibt.“ Ähnlich auch andere Äußerungen von Regierungsvertretern. Falsch. Die Griechen haben immer wieder auf verschiedenen Ebenen ihren Anspruch auf Begleichung der Schuld bekräftigt

Behauptung fünf

Der Völkerrechter Christian Tomuschat, der die Bundesregierung vor dem IGH in Den Haag vertrat, brachte noch das sog. tu quoque-Argument vor, das alle Entschädigungsforderungen erledige,  also: ich habe dir wehgetan aber du mir auch, schließlich hätte doch auch das deutsche Volk gelitten, die Briten hätten Dresden bombardiert, deshalb sind wir quitt. So hatte schon der Anwalt des Generals List (Laternser) im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess Nr.7    argumentiert, um seinen Mandanten zu entlasten. Was die US-Militärrichter als völlig abwegig zurückwiesen, es gab schließlich eine Kriegsschuldfrage und schließlich hatte Deutschland in Coventry und anderswo mit dieser Art Kriegsführung begonnen. Und so hat auch der Gerichtsvorsitzende in Den Haag, ein Japaner übrigens, das Tomuschat-Argument nicht akzeptiert, aber in Den Haag wurde ja auch nach anderen, nach  rechtsdogmatischen Kriterien entschieden.

Behauptung sechs 

Außenminister Steinmeier behauptet,  das Urteil des Internationalen Gerichtshof von Den Haag vom Februar 2012 habe alle Reparationsansprüche Griechenlands erledigt. Dieses Verfahren, von dem man in einem Teil der Presse lesen konnte (so im SPIEGEL ONLINE) dort habe Griechenland gegen die BRD geklagt, was ein kompletter Unsinn ist, in Wirklichkeit klagten hier die Täter gegen die Opfer, hat nicht über Ansprüche der Opfer entschieden, sondern über ihr Recht, in einem Drittland gegen die BRD zu klagen. Das Prinzip der sog. Staatenimmunität. 

Weiß der  Volljurist Steinmeier natürlich, aber wer weiß das sonst schon, mag er gedacht haben.. Und wer liest schon die Ausarbeitungen des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, wo drin steht, dass zumindest die Frage der Rückzahlung der Zwangsanleihe juristisch offen sei.

 

Mit anderen Worten: juristisch sind die Entschädigungsfragen samt und sonders juristisch offen, ob eine griechische Regierung jemals wagen wird, gegen das mächtige Deutschland juristische Schritte zu unternehmen – das ist eher zu bezweifeln.

ZURÜCK NACH KRETA: 

Besucher besonderer Art aus Deutschland hatte Kreta auch dieses Jahr wieder, diesmal aus dem ganz besonderen Anlass der 75-Jahr-Feier des Sieges der Hitler-Truppen auf der Insel Kreta, Gebirgsjäger-Kameraden weilten wie jedes Jahr in dem zur Gemeinde Kandanos gehörenden Dorf Floria,  dort steht ein d dort ein Heldendenkmal für 16  im Jahr 1941 von Partisanen erschossene Gebirgsjäger.

Errichtet wurde dieses Denkmal erstmals 1941, weil es aber mit den Jahrzehnten einem gewissen Verschleiß ausgesetzt wurde, beschloss eine Gebirgsjägerkameradschaft in Oberfranken 1986, das Ding  von einem Bildhauer aus Bayreuth erneuern zu lassen, auf wessen Kosten letzten Endes blieb unklar, auch die Frage des Transports des tonnenschweren Reliefs von Oberfranken nach Kreta, angeblich alles auf Privatkosten und auf Initiative eines pensionierten Bundeswehr-0ffiziers. So im 1991 die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Peter Wichert auf eine Anfrage des damaligen MdB Günter Verheugen. Gesichert ist, dass der damalige Bürgermeister der kretischen Märtyrer-Gemeinde Kandanos  die Aufstellung des erneuerten Denkmals genehmigte, in der ursprünglichen Gestalt. Einzige Veränderung: das Hakenkreuz, welches das Denkmal ursprünglich zierte, wurde durch ein Eisernes Kreuz ersetzt. Was blieb war die erneuerte große Inschrift im alten nazistischen Geiste: Für Großdeutschland gefallen. Nun hätten die 14 Toten, könnte man sie heute im Jenseits befragen, was sie denn meinten, für wen oder was sie am 23. Mai 1941 auf Kreta verreckt sind, sich diese verlogene Inschrift verbeten. Verreckt für die verbrecherischen Kriegsziele Adolf Hitlers, würde da wahrscheinlich stehen, wenn sie sich denn überhaupt dieses zusätzliche Denkmal gewünscht hätten – schließlich ruhen ihre Gebeine seit Jahrzehnten auf dem Kriegsfriedhof von Maleme, ein schlichter Stein jeweils mit Namen und Dienstgrad darüber.  

Frage: was bewog den Bürgermeister von Kandanos damals, dem Wunsch der Gebirgsjägerkameradschaft zu folgen, ein solches Denkmal in Floria aufzustellen, das die Kameraden in dieser Form in Deutschland aufzustellen heute nicht wagen würden? Noch dazu verziert mit einem Edelweiß, der Wappenblume der Ersten Gebirgsdivision, in Griechenland neben der Waffen-SS für die sadistischsten Massaker an Frauen und Kindern berüchtigt, ja sie machten sich im von ihnen zerstörten Kommeno in besoffenem Zustand über entkleidete Frauenleichen her.  Die Berliner Griechin Triantafilia Kostopoulou hat auf eine diesbezügliche Anfrage aus Kandanos keine Antwort erhalten.

Der neue Bürgermeister von Kandanos, für die Partei Syriza ins Amt gewählt, habe die Absicht bekundet, so erfuhr  ich gestern aus gewöhnlich gut informierter Quelle in Heraklion, die oberfränkischen Kameraden zur Wiedermitnahme des NS-Denkmals aufzufordern. Was für die ziemlich teuer würde, und ob sie wagen werden, den Steinklotz so wie er ist in Deutschland aufzustellen ? Warten wir’s ab.  Und die  1941 in Floria bei einem Partisanenangriff umgekommenen 16 Gebirgsjäger, für die das Denkmal 1941 einst errichtet wurde? Sie können sich gegen die posthume Inanspruchnahme für  die Träume der ewig gestrigen Großdeutschland-Nostalgiker nicht wehren. Das müssen schon andere für sie tun.

ΤΕΛΟΣ 

Dieser Beitrag ist das Manuskript des Autors von seinem Vortrag in der Ev. Akademie Bad Boll am 30.6.2016. Ob es Bundespräsident Steinmeier vor seinem jüngsten Griechenland-Besuch vorlag?

Über Eberhard Rondholz:

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2 Kommentare

  1. Rolf Sachsse

    Es ist nicht so, dass sich niemand mit den Geschehnissen der Jahre 1941-44 in Griechenland auseinandersetzt, aber Vieles passiert sicher unter dem Radar einer bundesdeutschen Medienöffentlichkeit. Seit dem 8. April 2016 (dem 75. Jahrestag des deutschen Einmarschs in Griechenland) bin ich häufiger in Sachen Alltagsverbrechen deutschen Denkens und Handelns und ihrer oft unabsichtlichen Visualisierung vor Ort gewesen (https://www.mbp.gr/en/publications/anaparastaseis-tis-katochis-fotografia-istoria-mnimi/ ); am 12.12.2024 wird im Jüdischen Museum Thessaloniki eine große Ausstellung aus der Sammlung von Andreas Assael eröffnet. Vor Ort gibt es exzellente Wissenschaftler*innen, die sich mit dem Thema auseinandersetzen; und wenn die Stiftung Gedenkstätten endlich etwas mehr aus den Puschen käme, wäre davon auch hierzulande etwas zu hören oder lesen – die Vorarbeiten sind weitgehend gemacht. Was politisch daraus folgen kann und muss, steht auf einem anderen Blatt.

  2. Detlef Wilske

    Eine ganz andere Sicht auf die deutschen Kriegsverbrechen in Griechenland findet man im Roman “Der Held von Rethymnon. Aus den Papieren des Fallschirmjägers Kuno Sottkowski” von Andreas F. Kelletat, erschienen in der Edition Noack & Block (https://www.noack-block.de/verlag/autorinnen-und-autoren/buch/verlagsprogramm/andreas-f-kelletat-der-held-von-rethymnon-1/backPID/andreas-f-kelletat.html)

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