Das verordnet die DB ihren Fahrgästen in Köln und Bonn. Und das macht sie so: – Wundersame Bahn CCIX

Ich nehme die Pointe vorweg, weil ich gewiss gleich wieder abschweifen werde: drei Stunden vom Restauranttisch zum Augenschliessen im eigenen Bett für 35 Tarifkilometer. Das schaffen Sie auch mit dem Fahrrad, jedenfalls bei Tageslicht. Das stand mir nur leider nicht zur Verfügung. Dazu hat die DB Regio im Zusammenwirken mit der DB Netz gestern folgende Beiträge geleistet.

Das Treppenbauwerk am Bahnhof Beuel ist bereits Legende. Es gehört unter Denkmalsschutz als originelle Landmarke. Nachdem es sich zu Politiker*inne*n und Bahnchefinnen und -chefs in der Region rumgesprochen hatte, dass es für ca. die Hälfte der Menschen unbenutzbar ist, wurde nachträglich an beiden Enden ein Aufzug nachinstalliert. Vernunft ist möglich, auch wenn es oft dauert. Das hat offenbar bei der Bahn zu dem Schluss geführt, dass es in Zukunft allen Fahrgästen, und nicht nur denen in Richtung Norden, gegönnt werden soll. Gestern hielten auch die Züge aus Köln nicht am barrierearmen Bahnsteig 1 an dem maroden Bahnhofsgebäude, das die Bahn so gerne für einen grossen Haufen Steuergeld der für doof gehaltenen Stadt andrehen will … sehen Sie, ich sach doch, ich schweife ab.

Gestern also hielt eine Bahn aus Köln am Bahnsteig 2, an dem ich von oben aus dem Treppenbauwerk nach Süden blickend auf meine Bahn nach Ehrenfeld wartete. Die kam auch, aber am “Bahnsteig 4”. Den kannte ich noch nicht. Zu finden ist er, wenn Sie am Bahnsteig 2 nach Süden gehen, und wenn Sie denken, hier sei schon Limperich, dann sehen Sie links den Bahnsteig 4. Ich bin zum Glück noch nicht gehbehindert, und habe meine Bahn erreicht.

Die fuhr so sensationell pünktlich und schnell, das habe ich noch nie erlebt, kann mich jedenfalls nicht erinnern. Trotz der Bauarbeiten am Jahrhundertprojekt S13 und nebeliger Dunkelheit. Deutz erreichten wir 4 Minuten vor dem Fahrplan. Das hat viele so beunruhigt, dass wir in Köln Hbf. so lange ausgebremst wurden, bis wir die für die Fahrgäste gewohnten Verspätungen wieder erreicht hatten.

Es folgte ein georgisches Abendessen im Ehrenfelder Mazpinzelo. Das war der beste Teil des Abends mit drei meiner klugen schönen besten Freundinnen, von denen eine jüngst als OSZE-Wahlbeobachterin in Georgien gearbeitet hat. Das allein ist spannend genug, aber seitdem war eine derartige Menge zu Diskutierendes passiert, dass wir es – wie immer – nicht alles geschafft haben. Und zum präsentieren einfacher Lösungen sind wir nicht doof genug … Ich schweife schon wieder ab, denn jetzt kommt der eigentliche Auftritt der Bahn.

Gemütlich schlendere ich zum Bhf. Ehrenfeld, um dort um 22.54 h meine Bahn nach Beuel zu erreichen. Am Bahnsteig ist eine Verspätung von 9 Minuten angezeigt, nicht schön in nächtlicher Kälte, aber verkraftbar. Einmal den Bahnsteig auf- und ablaufen, und in Ehrenfeld ist immer Unterhaltsames los, dann wäre das geschafft …? Haha. Eine automatisierte Bahnsteigdurchsage – Bahnmenschen gibt es an dem belebten Bahnhof keine, hat es die je gegeben? – verlängerte die Verspätung auf “20”, später “25” Minuten, die Bahnsteiganzeige sprang auf 22 Minuten Verspätung. Stattdessen traf ein Schlafwagenzug der ÖBB von Amsterdam nach Innsbruck ein und parkte an unserem Bahnsteig. Wunderbar relaxte Passagiere waren zu sehen. Sie spielten Karten, tranken irgendwas oder lasen ein kluges Buch. Die hatten es gut. Und als erfahrener Schlafwagenpassagier weiss ich: das Unangenehmste ist, wenn der Zug zu früh sein Ziel erreicht und ich noch nachts wieder aussteigen muss. Also stand der Zug. Es stiegen sogar Leute aus, um eine zu rauchen, was gewiss verboten ist. Aber von der Bahn hat es niemand bemerkt, ist ja keine*r da.

Nach einer guten Viertelstunde zeigte das Signal dem Lokführer grün. Sollte ich ihm bescheidsagen? War er eingeschlafen? Ich entschloss mich dagegen, um ihn lieber nicht zu provozieren. Vielleicht zeigte ihm ein Signal im Cockpit den Vorgang mit den geöffneten Türen an. Und mangels Kolleg*inn*en war er lieber vor- als nachsichtig mit der Abfahrt. Solche Gedanken beschäftigten mich. Mann gönnt sich ja sonst nichts. Als der Schlafwagenzug den Bahnsteig endlich freigemacht hatte, erschienen am Horizont drei Lichter, die Hoffnung auf die Ankunft meiner Bahn machten (eine Ansage erfolgte nicht). Es war eine Leerfahrt eines Doppelstockzuges. Wäre auch zu schön gewesen. Erst danach folgte die Bahn nach Beuel, nun mit 30 Minuten Verspätung, angeblich “wg. Verspätung aus vorhergehender Fahrt”, eine weitere automatisierte, entpersonalisierte Ansage, von erfahrenen Fahrgästen schon seit Zeitaltern nicht ernstgenommen.

Die Bahn war einzügig und für die mitternächtliche Tageszeit recht dicht besetzt, zum Glück nicht überfüllt. Das hätte noch gefehlt. Zügige Fahrt bis Troisdorf. Ausserplanmässiger Halt zunächst vor, und dann im Bhf. Troisdorf, der nachts von erschütternder Einsamkeit strotzt, und tagsüber auch. Hier verweilten wir erneut. Links überholte uns ein Fernzug. Und rechts, das bemerkte ich zu spät, keine Durchsage im Zug oder am Bahnsteig, überholte uns, den angeblichen “Rhein-Erft-Express”, die im Fahrplan auf uns folgende Regionalbahn nach Koblenz. Sarkastische Empörung unter den Fahrgästen. Nach diesem Überholvorgang konnten wir feststellen, dass der Lokführer doch sprechen kann. Denn er sagte: “Sie haben den Notruf gedrückt? Brauchen Sie Hilfe?” Der Betreffende antwortete offenbar sarkastisch “Nee, ich wollte nur eine rauchen” ….

Ich persönlich mag das dem Lokführer nicht wirklich vorwerfen. Wer im nächtlichen Nebel eine Bahn durch eine Baustelle bugsieren muss, konzentriert seine Aufmerksamkeit darauf, niemanden totzufahren. Das ist die richtige Priorität. Nachts im Bett hörte ich bei geöffnetem Schlafzimmerfenster die Warnsirenen an der dichtest befahrenen Güterzugstrecke Europas, mehrmals in der Minute. Notwendig wäre Zugbegleitpersonal – in meiner Jugend hiess das “Schaffner*in” – um solche Aufgaben zu erledigen. Das halten heutige Controller*innen für unnötig. Und das ist das Problem (neben dem Mangel an Bewerbungen wg. zu schlechten Arbeitsbedingungen/Schichtdienst und Bezahlung).

In Beuel trafen wir dann, wie oben geschildert, nach verdoppelter Fahrtzeit am Bahnsteig 2 ein. Es setzte ein Wettrennen ein, wer es zuerst zum Fahrstuhl schafft. Und während wir über das Treppenbauwerk wankten, erschien eine 62 aus Limperich Richtung City. Um diese Nachtzeit ein seltenes Ereignis. Würde sie warten? Manche testeten es gar nicht erst, sondern nahmen gleich eins der zwei Taxis. Und ich mein Fahrrad.

Nun brauchte ich noch Zeit, um mich zu beruhigen und einschlafen zu können. Dafür kann die Bahn ja nichts. Oder?

Und herzliches Beileid an die zehntausenden Menschen in unserer Region, die das täglich erleben/erleiden. Wer das ändert, könnte auch mal eine Wahl gewinnen.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net