Beueler-Extradienst

Meldungen und Meinungen aus Beuel und der Welt

10 Tage weniger Wahlkampf

und 10 Tage genüssliche Demontage der SPD

Wer sich in der Berliner Medienblase auskennt, dem sind die Akteur*innen bekannt. Von Robin Alexander, Helene Bubrowski, Markus Feldenkirchen, um nur wenige zu nennen, Maybrit Illner, Markus Lanz, Sandra Maischberger und Karen Miosga, Bild Welt, FAZ  über RND bis hin zur Süddeutschen, ARD und ZDF. Sie alle haben sich wie die Hyänen aufs Zebra gestürzt und die in der SPD nur von Hinterbänklern geführte, kaum begonnene, aber sofort gehypte und von Umfragen(!!) unterstützte Kampagne um eine nicht erklärte Kandidatur von Boris Pistorius als angebliche Alternative zu Bundeskanzler Olaf Scholz. Umweltkonferenz COP, 29, Weltgipfel G20 – alles wird unter einem einzigen Aspekt ausgeschlachtet. Olaf Scholz “endlich” platt zu machen. Von den miesen Tricks der FDP-Spitze um Lindner spricht niemend mehr.

SPD und ihr Führungsduo – Blöd gelaufen!

Es war doch so einfach: Bei der letzten Bundestagswahl sind über die SPD viel mehr und viel jüngere Abgeordnete in den Bundestag gespült worden, als je zuvor. Von 25% auf 15% – da wird so mancher Listenplatz nicht mehr ziehen. Und da sich die Zahl der Direktmandate aufgrund der Wahlrechtsänderung weiter verringert, wird manches Abgeordnetenherzchen vor Existenzangst klopfen. Hinzu kommt die politische Unerfahrenheit, wie die der beiden NRW-SPD-Hinterbänkler*innen Wiebke Esdar und Dirk Wiese, die niemand kennen muss, die aber um ihre Mandate bangen. Landesvorsitzende der SPD sind nämlich Sarah Philipp und Achim Post. Und die stehen oder standen jederzeit zu Olaf Scholz. Sie und die Mehrheit der Basismitglieder der SPD sehen sich einer beispiellosen Berliner Kampgne von Spin-Doktoren von FDP und CDU/CSU, der Verbände, die gegen die Ernergiewende und die Verkehrswende stehen, deren Ziel es ist, die Grünen zu desavouieren und die SPD, wird sie nicht großkoalitionär, zu vernichten. Das haben die Schlauköpfe der SPD-“Oppositionellen” gegen Scholz offensichtlich nicht bedacht.

Wo war eigentlich der Vorstand?

Bei aller Schelte auf Hinterbänkler und Unerfahrene bleibt aber die Frage, wo eigentlich die SPD-Spitze und ihre Kommunikationsfähigkeit geblieben ist. Haben Eskan und Klingbeil keine Telefone? Helmut Kohl und Gerhard Schröder waren dafür bekannt, alle Kreisvorsitzenden zu kennen, und wenn es sein musste auf Handy anzurufen. Kommunizieren die Fürhrungsfiguren nur noch einseitig über Kanäle und Videobotschaften? Denn die Medienblase agiert weiter, am Tag der Klarstellung durch Boris Pistorius, nicht zur Verfügung zu stehen.

Beispiel 21.11.24: Koalition wird medial vorgeführt

Bezeichnend, wie etwa Markus Feldenkirchen (Der Spiegel!!!!)  im Gleichschritt mit Alexander Dobrindt bei “Illner” am 21.11. behauptet, die SPD-Basis hätte Scholz am liebsten stürzen wollen, um ein Bild zu entwerfen, als ob Olaf Scholz der letzte Mohikaner der SPD wäre, der noch SPD-Politik wolle und die Grünen darüber hinaus an allem Unbill Schuld seien. Maybrit Illner hatte noch einen anderen Angriff auf die SPD im Köcher: eine Politikwissenschaftlerin wurde hinzugezogen, deren einziger Beitrag darin bestand, die objektiv nach den USA zweitgrößten Waffen- und Solidaritätsbeiträge Deutschlands gegenüber der Ukraine mit dem Trick abzuwerten,  “ja, aber der Beitrag pro Kopf der Bürger sei in anderen Staaten höher, als in Deutschland.” Absurd.

Bei Lanz gehts gleich weiter

Selber Abend, Lanz statt Illner. Dasselbe Schema, diesmal nicht Feldenkirchen, sondern Helene Bubrowski, ein Jung-CDUler. Und vorgeführt werden diesmal nicht die übrigens schwache Franziska Brandner und Heiner Lauterbach, sondern  Katharina Dröge. Waren in den USA früher die Medien entweder den Republikanern oder den Demokraten nahe, gibt es derzeit in Berlin gefühlt nur noch rechte Heckenschützen, Abrechner und Vernichter – in den öffentlich-rechtlichen Medien. Was in den (a)sozialen Medien abläuft, an Diffamierung, Fake News und Hass ist da noch gar nicht mitgerechnet. Aber nicht nur die einschlägigen, im Medienangebot ja offiziell als “Unterhaltung” laufenden Politiksimulationen stiegen ein, sondern Tagesschau und “Heute” ließen sogar Umfragen zu einer Geisterdiskussion erstellen, deren zweifelhafte Ergebnisse trotz Pistorius’ Absage noch veröffentlicht wurden und Scholz Popularität bei 21% ansiedelten, hinter Weidel (30%), Habeck (34%), Merz knapp 40% und Pistorius über 60%.

Haben sich die Sozis DAS gewünscht?

Das ist der erste Vorgeschmack auf diesen kurzen Wahlkampf, der von Fairness und ruhigem Analysieren weit entfernt stattfinden wird. 16 Jahre Stillstand durch Merkel und GroKo werden nicht mehr erwähnt. Die Verdienste von Habeck und Co. bei der Verhinderung des kalten Winters im Krieg 2022/23 werden verleugnet. Dagegen werden Petitessen und immer die gleichen Schlachten von vorgestern – z.B. um die Atomkraft – geführt, die ökonomisch völlig absurd sind. Fazit: wir werden in diesem Wahlkampf jeden Blödsinn seitens der CDU/CSU aufgetischt bekommen, der mit zukunftsfähiger Politik, Bekämpfung der Klimakrise und Erneuerung des Landes nichts zu tun haben, die realen Probleme der Wirtschaft und Umwelt nicht lösen, sondern davon ablenken. Hinzu werden – wie in den USA – populistische Versprechungen an die schlichten Gemüter der Wähler*innen*schaft  kommen, dass etwa Merz mit seiner rückwärts gewandten Politik irgendetwas verbesssern könne.

Den Spin des rechten Drehbuchs im Wahlkampf umzudrehen, wird schwer

In den 80er oder auch noch 90er Jahren wäre es aufgrund der nahe zusammen liegenden Rivalität von CDU/CSU und SPD und eines um vieles unabhängigeren Journalismus noch leichter, einen Umgang mit den Defiziten der Sozialpolitik, mit Ungerechtigkeit und Oligarchentum der konservativen Welt zu finden. Das hat sich drastisch verändert. Gleichheit, Chancengleichheit, Gerechtigkeit, Fairness und Anerkennung des Anderen, als mit den gleichen Menschenrechten ausgestattet, sind außer Mode geraten. Die unmenschliche Verachtung, die inzwischen ohne Skrupel Geflohenen oder “illegalen Migranten” entgegen gebracht wird, ist eine Aufgabe des humanistischen Prinzips der Sozial- und Flüchtlingspolitik. Dass sich die SPD selbst daran beteiligt und inzwischen sogar Teile der Grünen, ist keine “Realpolitik”, sondern schlimm. Und unverzeihlich.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

2 Kommentare

  1. Stefan Overkamp

    16 Jahre Stillstand durch Merkel und Groko und dann 3 Jahre “Fortschrittskoalition”, in der die Grünen (fast) jede ihrer Positionen anstandslos geräumt haben, ist wirklich schwer zu ertragen.
    Eine Partei, deren Aussenministerin meint, auch zivile Orte könnten ihren Schutzstatus verlieren, falls Terroristen sich dort aufhalten, kann ich angesichts der inzwischen vieltausenden unschuldigen Opfer in u.a. Gaza aber nicht mehr wählen. Von deutschen Munitionslieferungen, um dies zu realisieren, einmal ganz abgesehen.
    Auch die Vorstellung, ein erneuter Rüstungswettlauf und die Bewältigung der Klimakrise wären vereinbar, ist vollkommen abwegig.
    40 Jahre Grüne (ich war dabei) war ein guter Ansatz, ist aber leider schief gegangen.

    • Roland Appel

      Ich kann das sehr gut nachvollziehen, wie viele die seit den 80er Jahren mit Bewusstsein dabei waren. Rot-Grün und der Kosovo-Krieg waren schon schlimm – aber ist Merz oder resignieren die Alternative?

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