100 Jahre Anti-Kriegs-Museum Berlin
Vielen Älteren aus der Friedensbewegung wird das kleine schwarze Taschenbuch aus dem 2001-Verlag „Krieg dem Kriege“ von Ernst Friedrich noch bekannt sein, das tausendfach Anfang der 1980er Jahre verbreitet wurde. Dieses Buch, das Schreckensbilder von schwerverletzten Soldaten aus dem 1. Weltkrieg zeigt, ist nun – 100 Jahre nach dem Ersterscheinen – neu aufgelegt worden, ergänzt mit einem Vorwort und einem Blick auf das Leben von Ernst Friedrich.
„Krieg dem Kriege“
Das Buch ist im Mai 2024 vom Anti-Kriegs-Museum Berlin neu herausgegeben worden. Es zeigt alle Originalfotos der alten Ausgabe mit den Kurztexten von Ernst Friedrich in vier Sprachen, wie es E. Friedrich 1924 erstmals veröffentlicht hatte. Vorangesetzt hat Friedrich seinen Fotografien von Kriegsopfern, die oft kaum noch als Menschen zu erkennen sind, einen kurzen und eindringlichen Appell an die „Menschen aller Länder!“, in dem er zur Kriegsdienstverweigerung aufruft. Unter dem Kapitel „Kriegsverhinderung“ schreibt er: „… Doch Schuld am Kriege sind wir selbst!! An uns Proleten liegt es, Kriege zu führen, und ebenso liegt es an uns, Kriege zu verhindern! Weigert den Dienst! Erzieht die Kinder so, dass sie sich später weigern, Soldaten- und Kriegsdienste zu tun! … Wir Kriegsgegner müssen endlich allen Glorienschein und Hokuspokus, mitsamt dem glänzend-bunten Flitterkram der Sotaadeska niederreißen, und das aussprechen, was dann noch übrlg bleibt: ein vom Staat bezahlter Berufsmörder, der in staatlich konzessionierten Mörderschulen (genannt Kasernen) ausgebildet wird, in Ausübung des schrecklichsten Verbrechens: des Menschen-Mordens!!! Bringt das den Kindern bei!“ (im Original gesperrte Passagen sind hier nicht gesperrt).
Kapitalismus und Krieg
Als Kriegsursachen benennt Friedrich den Kapitalismus und die Ausbeutung der „Arbeitssklaven“ durch die „Schlotbarone und Fabrikbesitzer“: „Doch sage ich auch zu jenen bürgerlichen Pazifisten, die nur mit Händestreicheln, mit Teegebäck und frommem Augenaufschlag Kriege zu bekämpfen suchen: Kämpft gegen den Kapitalismus – und Ihr kämpft gegen jeden Krieg!“ Nach dem ca. 12-seitigen Eingangsappell, der auch im Original schon in vier Sprachen veröffentlicht wurde, folgen rund 200 Seiten schwer erträglicher Fotografien von Kriegsopfern.
Nach dem 1. Weltkrieg
In einem Vorwort zur Neuausgabe geht Gerd Krumeich, emeritierter Professor für Neuere Geschichte, auf die Zeit nach dem 1. Weltkrieg ein, in der der Pazifismus immerhin zeitweise Massen mobilisieren konnte, jedoch nicht zu einer echten politischen Bewegung wurde, auch wegen der Ablehnung durch Kommunisten und Sozialdemokraten. Zum 1. August 1921, dem Jahrestag des Kriegsbeginns, versammelten sich z.B. allein in Berlin 200.000 Menschen der „Nie-wieder-Krieg“-Bewegung, deutschlandweit eine halbe Million Menschen.
Das Antikriegsmuseum
In diese Zeiten fällt das Wirken von Ernst Friedrich, der die Einberufung in den 1. Weltkrieg verweigerte und dafür in die Psychiatrie und ins Gefängnis eingeliefert wurde. 1919 gründete er die „Freie Jugend“, 1925 gründete er mit kläglichen Mitteln und enormen Anstrengungen das „Erste internationale Anti-Kriegs-Museum” in Berlin, nahe dem Alexanderplatz. Im Museum fanden Veranstaltungen statt, und es wurden u.a. die zerfetzten Gesichter und Leiber der Kriegsopfer aus „Krieg dem Kriege“ ausgestellt. Gesichter von Soldaten ohne Augen, ohne Mund, ohne Nase oder ohne Kinn. Bilder, die die „unaushaltbare Wahrheit jedes Krieges“ zeigen. Ein Schild am Eingang verwies auf den Eintritt: „Für Menschen 20 Pfg. Für Soldaten frei.“ In der Programmbroschüre zum Museum schrieb Friedrich: „Kriegsteilnehmer, vergeßt das letzte Massenmorden nicht; kommt in das ‚Anti-Kriegs-Museum‘, seht euch alles an und erinnert euch …“ – Das Antikriegsmuseum wurde 1933 von den Nationalsozialisten zerstört.
Das Leben von Ernst Friedrich
Tommy Spree, der Enkel von Ernst Friedrich, der das „Anti-Kriegs-Museum“ heute betreut, hat mit Patrick Oelze zusammen Anmerkungen zur Biographie von Ernst Friedrich (1894-1967) unter dem Titel „Ich kenne keine ‚Feinde‘“ zur Neuausgabe des Buches beigetragen. Dieses Lebensporträt kann hier leider nicht mehr ausführlich dargestellt werden. U.a. gehen die Autoren auf die von Friedrich herausgegebene und erstmals 1919 erschienene Zeitschrift „Freie Jugend“ („Jugendschrift für herrschaftslosen Sozialismus“, gewidmet Erich Mühsam) ein. Ebenso schildern sie die Prozesse und das politische Umfeld von Ernst Friedrich sowie seine Kontakte zu anderen friedenspolitisch Aktiven sowie Künstler*innen der Zeit, u.a. Käthe Kollwitz. Wegen diverser Veröffentlichungen von Schriften und Appellen wurde Friedrich in den 20er Jahren zu insgesamt 12 Gefängnisstrafen verurteilt, bis 1930 hatte er insgesamt drei Jahre Gefängnis hinter sich. 1930 kam eine neue Verurteilung zu einem Jahr Festungshaft wegen „Drucks von illegalen antimilitaristischen Schriften“ hinzu.
In der Zeit des Nationalsozialismus wird Friedrich verhaftet, verbringt eine Zeit der Gefangenschaft im KZ Oranienburg, wo u.a. Erich Mühsam ermordet wurde. Später flieht er über Prag, die Schweiz, Belgien (wo er ein zweites Antikriegsmuseum errichtet) nach Frankreich. Dort wird er nach dem Kriege eingebürgert und widmet sein weiteres Leben einer Jugendbegegnungsstätte für junge Deutsche und Franzosen auf einer Marne-Insel, in Kooperation mit der Gewerkschaftsjugend. Sein Wunsch, in den 50er Jahren ein neues Antikriegsmuseum in der Gedächtniskirche von Berlin zu eröffnen, stößt auf keine politische Resonanz. Erst 1982 wurde das Antikriegsmuseum in Berlin neu eröffnet.
Ernst Friedrich, Krieg dem Kriege, 2024, Chr. Links Verlag, 19,90 Euro. Das Buch gibt es auch – text- und bildgleich – in einer preiswerten Ausgabe bei der Bundeszentrale für politische Bildung (4,50 Euro + Versand /bzw. bei Abholung ohne Versandkosten); Antikriegsmuseum, Brüsseler Str. 21, Berlin Mitte: anti-kriegs-museum.de – täglich geöffnet von 16-20 Uhr, Eintritt frei.
Wir danken Tommy Spree, dem Enkel von Ernst Friedrich und Koordinator des heutigen Antikriegsmuseums, für seinen Brief an die Redaktion mit Hinweis auf das 100-jährige Jubiläum des Museums und die zur Verfügung gestellten Fotos. Der Dank gilt seinem gesamten ehrenamtlichenTeam!
Martin Singe ist Mitglied im Redaktionsteam des FriedensForums
Ich möchte zu diesem Thema die Artikel des Friedensforschers Franz Jedlicka empfehlen, der nachgewiesen hat, dass Kriege im 21. Jahrhundert nur mehr von Ländern gestartet (es geht nicht um Verteidigungskriege) werden, in denen bereits vorher eine hohe Kultur der Gewalt geherrscht hat, die man an der Gesetzgebung des betreffenden Landes identifizieren kann: sie erlauben noch Gewalt in der Kindererziehung, Gewalt gegen Frauen … oft auch noch die Todesstrafe und die Folter. Wer Weltfrieden will, muss sich also z.B. für ein weltweites Verbot der Prügelstrafe in der Kindererziehung einsetzen (derzeit in nur einem Drittel der Länder weltweit verboten).
MfG Konrad