Der Spiegel – nach meiner persönlichen Erinnerung als Jungdemokrat Ende der 70er Jahre war er schon immer so. Aber heute schlagen die Erregungspegel höher aus. Erregung ist der Sprit der Aufmerksamkeitsökonomie. Und die Zeiten, in denen Medieneigentümer*innen zuhause ihre Milliarden zählen und paradiesische Spesen bezahlen konnten, wie es mir ein befreundeter Ex-Express-Redakteur regelmässig aus dem vorigen Jahrtausend erzählt – diese Zeiten sind vorbei. Die Milliarden machen jetzt die Herren des Internet. Und die deutschen Oligarch*inn*en haben alle Gelegenheiten dieser neuen wilden Zeit verpennt.
Der Kollege Ralf Heimann/MDR-Altpapier ist kein solcher Penner, sondern vor Jahren von den Pennern des Lensing-Wolff-Clans auf die Strasse gesetzt worden. Er arbeitet jetzt in einem von im selbst mitverwalteten Betrieb und schreibt regelmässig Kolumnen wie diese: “Facebook verstaatlicht sich selbst – Mark Zuckerberg kuschelt sich immer näher an Donald Trump heran. Aber warum? Will er einfach nur nicht in den Knast? Oder steckt mehr dahinter?”
Dass Heimann so viel moralisch überhöhten Dünnpfiff referiert, ist nicht seine Verantwortung. Das Bild, das er vermittelt, ist Teil der Medienwirklichkeit. Tatsache ist, dass keiner der Techmilliardäre sich grundlegend verändert hat. Sie waren und sind unermesslich reich. Und wollen es nicht bleiben – Stillstand ist Rückschritt – sondern noch unermesslich reicher werden, bis endlich einer unbestritten festellen kann, dass er den Längsten hat. Oder um es mit Wilfried Schmickler zu formulieren: “Es hört nicht auf!”
Tatsächlich ist die grösste Quelle für Extraprofit der militärisch-industrielle Komplex (MIK). Der Staat bestellt und bezahlt, und hier wird er angesichts seines minderbezahlten unterqualifizierten Fachpersonals nach Strich und Faden über den Tisch gezogen – denn es dient ja den höheren Zielen für das Gute gegen das Böse. Was Bill Gates kann, können Musk, Zuckerberg, Bezos usw. nicht minder. Ein IT-Unternehmen, das bei diesem Rattenrennen zur Regierung der mit weitem Abstand grössten Militärmacht der Welt nicht in der Spitzengruppe dabei ist, hat sich nach kapitalistischen Massstäben selbst aufgegeben. Darum rein in den Staub vor dem irren Donald – er ist voller Diamanten.
Sturmgeschütze
Wie kommichdrauf? Ach ja, das angebliche “Sturmgeschütz der Demokratie”. Michalis Pantelouris/uebermedien liest es immer noch. Zum Beispiel das Interview mit dem “Kanzlerkandidaten” der Grünen, Robert Habeck: “Ein Interview aus dem Manufactum’-Katalog”. Aus Pantelouris” Sicht ist es – Überraschung! – leidlich gut für Habeck und ziemlich blamabel für den Spiegel ausgegangen.
Noch weit mehr erregen sich Medien, die sich selbst in Konkurrenz zum Spiegel sehen. Alice v. Lenthe/Berliner Zeitung: “Manipulativ und frauenfeindlich: Katapult-Magazin erhebt schwere Vorwürfe gegen den Spiegel – Eine Spiegel-Journalistin besuchte das Katapult-Team. Jetzt wird ihr vorgeworfen, falsch und frauenfeindlich berichtet zu haben. Was ist passiert?” Ich kann und will nicht ausschliessen, dass sowohl Katapult als auch die Berliner Zeitung hier Vorwürfe erheben, über die sie aus ihrer eigenen Alltagspraxis eine Menge Fachkompetenz erworben haben – und werfen nun ein paar Steine zurück, bzw. weiter. Die Mehrheit des Publikums hat sich davon sowieso abgewandt.
Archivpolitik
Wer über Archive verfügt, verfügt über die Geschichtsschreibung der Zukunft. Unter meinen Altersgenoss*inn*en ist der Mehrheit noch gar nicht klar, wie wichtig die Aufarbeitung ihres Lebenswerks für die Nachkommen ist. Was wird bleiben? Was geht unwiederbringlich verloren? Ich selbst schreibe nicht nur seit 10 Jahren in diesem Blog, in den sehr viele Erinnerungen bereits eingeflossen sind, ich habe meine alten Akten hier in Duisburg bei Profis unter Schutz gestellt. Andere bemühen sich seit Jahren um eine sichere digitale Verwahrung ihres Lebenswerks. Wieder Anderen ist gar nicht klar, welche Schätze in ihrem Kopf lagern, die nicht mit ihnen sterben dürfen.
Der real existierende Kapitalismus ist dafür jedenfalls kein sicherer Ort. Das hat noch niemand radikaler demonstriert als der Heise-Verlag. Der Hauptbetroffene, Ex-Telepolis-Chefredakteur über 25 Jahre, Florian Rötzer/overton, tut das, was ich in seiner Lage auch tun würde. Er sucht, was wie zu retten ist. Und das Zwischenergebnis ist erschütternd: “Deutsche Nationalbibliothek: Digitales Gedächtnis der Nation mit Lücken – Die Deutsche Nationalbibliothek (DNB) mit Standorten in Frankfurt und Leipzig hat den Auftrag, das kulturelle Gedächtnis zu bewahren. Die Selbstbeschreibung unter dem Titel ‘Gedächtnis der Nation’: ‘Wir sammeln, dokumentieren und archivieren alle Medienwerke in Schrift, Bild und Ton, die seit 1913 in und über Deutschland oder in deutscher Sprache veröffentlicht werden. Ob Bücher, Zeitschriften, CDs, Schallplatten, Karten oder Online-Publikationen – wir sammeln ohne Wertung, im Original und lückenlos.'”
Sein Nachfolger Harald Neuber hat vor gut einem Monat angekündigt: “Schrittweise sollen die vielen Perlen aus dem Archiv wieder zugänglich gemacht werden”. Sein Lebenslauf weist ihn als politisch vielseitig erfahren aus, das Gegenteil eines Grünschnabels. Was sagt mir unter dieser Voraussetzung diese Schlagzeile, die es prompt auf Platz 1 vom “Meistgelesen” gebracht hat: “Bundestagswahl 2025: Neue Umfrage zeigt dramatische Verschiebungen”. Meine Güte, wie arm.
Die tatsächlichen “Sonntagsfrage”-Zahlen sind seit Monaten in deprimierenden Stein gemeisselt. Ratlose und Entmotivierte sind dort nicht erfasst und wenig schlagzeilentauglich. Sie werden immer mehr. Den superreichen Herrschenden ist es so am liebsten.
Selbst die dümmsten Deppen in Berlin-Mitte wissen, dass “Insa” unter allen Marktforschungsunternehmen, die “Meinungsumfragen” ausschliesslich zu PR-Zwecken anfertigen, das AfD-nächste ist. Und um in die reaktionellen Teile der dümmsten Medien zu gelangen, optimieren sie ihre “Umfrageergebnisse” auf Schlagzeilen-Kompatibilität. Und bekanntlich erweisen sich die Rechten von Trump bis zur AfD in dieser Disziplin als talentierter und geübter, als alle bürgerlichen Demokrat*inn*en.
Von den Linken, wie Neuber doch auch einer war (ist?), ganz zu schweigen. Was zwingt ihn, darauf reinzufallen? Mit seiner Erfahrung ist Dummheit auszuschliessen.
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