Mediathekperlen, nach denen Sie sich schlechter fühlen
“Dieses Programm enthält Szenen, die für junge und empfindsame Zuschauer:innen nicht geeignet sind”, warnt die Arte-Mediathek. Ich bin zwar nicht jung, aber offenbar empfindsam. Denn “In den besten Händen – Die Gelbwesten-Demos sorgen für Chaos in Paris. Doch Raf, eine Comiczeichnerin mittleren Alters, hat zunächst andere Probleme: Ihre Partnerin Julie will sich von ihr trennen. Als sie Julie nach einem Streit nacheilt, stürzt Raf und bricht sich den Arm … – Catherine Corsini zeichnet eine temperamentvolle Momentaufnahme gesellschaftlicher Differenzen. Mit Valeria Bruni Tedeschi.” Verfügbar nur noch 3 Tage. Das konnte ich mir nicht vollständig ansehen.
Entgegen dem Arte-Trailer-Text geht es in erster Linie um die Not im französischen Gesundheitswesen, und dort insbesondere in der Notaufnahme. Das Vorurteil wird bestätigt, dass der gefährlichste Ort für Menschen das Krankenhaus ist. Und zwar vor allem für die, die dort arbeiten müssen oder wollen. Dass mit Frau Bruni-Tedeschi eine Halbschwester der Ex-Präsidentengattin Carla Bruni in diesem Szenario die Hauptrolle übernahm, darf als ein recht klares politisches Statement gelesen werden.
Ich habe vor einigen Jahren selbst eine Nacht in der Notaufnahme der Bonner Uni-Klinik zugebracht. Das Chaos dieses Films erlebte ich dort zum Glück nicht. Es war weit ruhiger – es ging schlicht nicht weiter, und das über Stunden. Die Leute konnten halt nicht mehr, als arbeiten. So kennen wir unser Land. Ich fürchte allerdings, dass mit der Krankenhauspolitik der gegenwärtigen und zukünftigen Bundesregierungen eine schnelle Annäherung an die in dem Film präsentierten französischen Zustände “gelingen” wird.
Deutsche Omertà
Leider total gefesselt, so dass ich sogar auf die Übertragung eines Bundesligaspiels mutwillig verzichtete, hat mich die sechsteilige ARD/WDR-Dokumentation von Béncè Maté und Anna Herbst (Verwandtschaft mit Böhmermann-Chefredakteurin Hanna Herbst?): “Warum verbrannte Oury Jalloh? – Oury Jalloh hat nur noch wenige Stunden zu leben, als er in Dessau in Polizeigewahrsam kommt. Warum wurde er mit aufs Revier genommen? Was passierte in der Nacht und am Vormittag des 7. Januar 2005?” Verfügbarkeit nicht angegeben.
Ich danke der Macherin und dem Macher tausendfach, dass sie auf die dominant verbreitete “Presenter”-Pest komplett verzichtet haben. Sie quatschen keine Silbe selbst, sondern lassen komplett ihre Zeug*inn*en sprechen. Und ihre sehr, sehr starken Bilder.
Dabei ist es kein Agitationsfilm geworden. Bzw. es war offenbar nicht die Absicht, dass es einer wird. Mit Hanno Schulz, “Leiter des Revierkriminaldienstes Dessau” wagte sich ein Bulle als Verteidiger seiner Kolleg*inn*en ausführlich vor die Kamera. Sein Mut, das zu tun, nötigt Respekt ab. Ein sympathischer Auftritt gelang ihm jedoch nicht. Wer immer von seinen Chefs ihn dafür gecastet hat – er sollte es lieber sein lassen. Das Gleiche gilt für einen Anwalt eines angeklagten Polizisten, der juristisch äusserst glimpflich davonkam, als Person aber wohl an dem ganzen öffentlichen Stress zerbrach.
Am Ende wird klar, dass die Ermordung Oury Jallohs bis heute, darin der NSU-Mordserie oder den Weihnachtsmarktattentaten in Berlin (2016) und Magdeburg (!, 2024) ähnlich, eine politischer Polizei- und Justizskandal ist. Es wird deutlich, das der Polizei- und Justizapparat des deutschen Zwergstaates Sachsen-Anhalt, an Bevölkerung dem kaum weniger korrupten Hamburg ähnelnd, mit der Aufgabe, einen Rechtsstaat zu praktizieren, oder auch nur öffentlich zu simulieren, heillos überfordert ist. Und das ist nicht mit “Ossis” abbuchbar, weil in diesen Apparat besonders dumme Besserwessis entsandt und infiltriert wurden, die so scheisse waren, dass es für sie im Westen keine realistische Karriereoption mehr gab.
Als eine solche Figur entpuppte sich auch der Dessauer Staatsanwalt Folker Bittmann. Er startete in das Untersuchungsverfahren genau so, wie ich es hier klischiert habe. Die Dokumentation zeigt anschaulich, dass er aber, je länger der Fall heisskochte, Lernfähigkeit und fachliche Autonomie entwickelte. Und exakt in dem – allzu späten – Moment, stellte ihn das Landesjustizministerium kalt. So entstand ein Misthaufen, der noch weitere Jahrzehnte die Luft dieses grossflächigen leeren Landes verpesten wird.
Eine schwarze Freundin von mir ist in diesem Dessau als Kind einer alleinerziehenden weissen Mutter aufgewachsen. Nach der Wende nix wie weg. Sie will auch nie wieder hin, muss es aber gelegentlich wg. ihrer alten Mutti (ich durfte sie kennenlernen). Die Bildsprache von Maté und Herbst macht das nachfühlbar. Diese kleine Stadt und dieses Bundesland ist für Nichtweisse nicht sicher. Die Institutionen, die dafür zuständig sind, können es nicht.
Ich bin noch so geladen, zornig und entsetzt – dieser Film ist Kandidat für einen Grimmepreis. Der geradezu sensationelle Verzicht auf das debile “Presenter”-Unwesen hätte fast allein schon gereicht. Aber dass er so wütend macht, ist ein Verdienst an den Überresten unserer Demokratie.
Der Film heißt im fanz. Original “Fracture” und das übersetzt sich mit Bruch. Das das dann verharmlosend ins komödiantische übersetzt wird spricht Bände auch für die bei Arte mittlerweile gängige “betreutes Denken” Praxis.
Ich habe mir Mal das Original reingezogen was allerdings auf Grund der Schnelligkeit der Sprache und der verwendeten Ausdrücke/Slang nicht mit Schulfranzösisch zu meistern ist.
Dabei wird aber klar das hier Brüche/fracture in doppeltem Sinn zu verstehen ist, ein Mal auf das politische und zweitens auf das gesundheitliche System. Sehr gut dargestellt in dem Angriff der Polizei/CRS mit Tränengas auf die Intensivstation/Notaufnahme die es in der Realität auch so gegeben hat .
Neben bei bemerkt, die Gelbwesten gibt es immer noch (erkennbar an der auf dem Armaturenbrett liegenden Warnweste) und sie wurden Seinerzeit auch nur am Anfang bedingt von Rechten besetzt. Das hat sich schnell gewandelt und ist heute in Anarch/Linker Hand