Noch verläuft der Bundestags-Wahlkampf in den von den traditionellen Parteien geplanten Bahnen. Noch! Rezessionsbekämpfung, Migration, Arbeitsplätze, Energiepreise, Krieg in Europa. Das „Orchester“ übt gewissermaßen noch: Die Bläser lassen die Finger spielen, die Streicher schieben die Bögen über die Saiten. Und so weiter. Von draußen dringt freilich der Lärm der Presslufthämmer in den Orchestergraben. Und Gejohle irgendwelcher Leute.

Was damit gemeint ist? In Sachsen wurde der Schatzmeister der AfD, ein Landtagsabgeordneter, mit den Stimmen seiner Partei, denen der CDU und des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) in jene Kommission gewählt, die den Verfassungsschutz kontrollieren soll. Man macht also – sarkastisch beschrieben-, “Graf Dracula” zum Aufsichtsratsmitglied der dortigen Blutbank. Ferner arbeitet man sich an Frau Alice Weidel ab. Die will die Windräder ausweislich einer Parteitagsrede abschaffen und verschwinden lassen – meinte aber anschließend, sie sei missverstanden worden.

„Lille“, so wird sie in ihrer Bekanntschaft genannt, wurde wohl öfter missverstanden. Mit „Lille“ war eine Mail aus dem Jahr 2013 unterschrieben, in welcher mit Blick auf die damaligen Regierenden zu lesen war: „Diese Schweine sind nichts anderes als Marionetten der Siegermaechte des 2. WK und haben die Aufgabe, das dt Volk klein zu halten indem molekulare Buergerkriege in den Ballungszentren durch Ueberfremdung induziert werden sollen.“ Die Welt hatte diesen Text veröffentlicht.

Der Spiegel schrieb vorsichtig von einer „angeblichen Mail“. Denn Frau Weidel bestreitet, diese Mail verfasst zu haben, als „Lille“ bezeichnet zu werden, bestreitet sie grundsätzlich nicht. Gleichwohl gab das Magazin einen Bericht der Zeit wieder, wonach die „scharfe Flüchtlingskritikerin Weidel eine syrische Asylbewerberin schwarz bei sich habe putzen lassen“.

Der frühere Bundesgesundheitsminister Jens Spahn treibt die Migrations-Diskussion auf eine meiner Ansicht nach widerliche Art voran: Familienzusammenführung für subsidiär in Deutschland befindliche Menschen soll es grundsätzlich nicht mehr geben. Eine merkwürdige Auffassung von Christentum steckt darin. Der Mann war mal Messdiener. Viel genutzt hat es offensichtlich nicht.

Und um den Bundeskanzler entspann sich eine Diskussion darüber, ob der Ukraine nicht rasch mit mehr Mitteln geholfen werden müsse als bisher bereitgestellt wurden. Es geht um drei Milliarden. Die einen, Grüne berichten, das sei durchaus machbar; der Kanzler sagt „No“. So etwas dürfe nicht auf Kosten des Straßenbaus in Deutschland gehen. Der Verteidigungsminister beruhigt die Gemüter: Das wird noch klappen.

Ich reg mich nicht mehr auf, bin nur noch deprimiert.

Noch fünf Tage, dann ist das alles sowieso „Schnee von gestern“. Dann kippt der Wahlkampf. Also die Konkurrenz um die Plätze im Deutschen Bundestag. Denn kommende Woche wird der gewählte US-Präsident Donald Tump ins Amt eingeführt werden.

Es ist kaum damit zu rechnen, dass der während der Amtseinführung zu erkennen gibt: Ich folge der Politik meines Vorgängers Biden. Er hatte ja bereits allerlei verkündet und angekündigt. Setzt er auch nur zur Hälfte dessen um, was er angekündigt hat, wird das die eigentliche „Zeitenwende“ werden.

Ich schätze, dass sich Visagisten scharf überlegen, wie man am besten tiefe Sorgenfalten in Gesichter zaubert. Influencer und -innen suchen hastig nach Worten, nach „frischen“ Begriffen, die man aufploppen lassen kann. Wie kriegt man Trump II auf Comic-Kürze? Man könnte sich an Blochs Verkürzung des schillerschen Wilhelm Tell orientieren: Mann schießt auf Obst. Da kommt allerlei auf uns und den Extradienst zu.

Also haltet die Ohren steif. Und geht vorsichtig mit dem Satz um: Es ös noch emmer joht jejange.

Über Klaus Vater / Gastautor:

Klaus Vater, geboren 1946 in Mechernich, Abitur in Euskirchen, Studium der Politikwissenschaft, arbeitete zunächst als Nachrichtenredakteur und war von 1990 bis 1999 Referent der SPD-Bundestagsfraktion. Später wurde er stellvertretender Sprecher der deutschen Bundesregierung. Vater war zuvor Pressesprecher des Bundesministeriums für Gesundheit unter Ulla Schmidt, Sprecher von Arbeitsminister Walter Riester, Agentur-, Tageszeitungs- und Vorwärts-Redakteur. Mehr über den Autor auf seiner Webseite.