Selbst jede Menge vernünftiger Menschen, auch hier im Blog, vertritt immer wieder die – legitime – Meinung, Medien seien eine “vierte Gewalt”. Die Stelle im Grundgesetz, die das in der hiesigen Staatsverfassung vorsieht, habe ich immer noch nicht gefunden. Und keine*r zeigt sie mir. Und selbst wenn es so wäre: der Verfassungswirklichkeit hat es nie entsprochen, und entfernt sich immer weiter davon.
Die privaten Konzernmedienbesitzer haben jahrzehntelang “dieses Internet” verschlafen, und wissen nun nicht mehr, wie sie sich weiter bereichern sollen. Also schmeissen sie Leute raus und schliessen ganze Redaktionen. Die öffentlich-rechtlichen Medien müssen es ihnen weitgehend gleichtun, weil die Interessenvertreter*innen der Konzernmedien in den Landesregierungen, dort wo über ihre Einnahmen bestimmt wird, sie dazu zwingen. Noch schlimmere Feind*inn*en der öffentlich-rechtlichen Medien sitzen in ihrem Innern, und dort vorzugsweise weit oben. Endergebnis: alle werden schlechter.
Ihren Platz an den Hebeln publizistischer Macht haben die asozialen Konzernmedien übernommen. Deren Unternehmensführung sitzt überall auf der Welt – nur nicht dort, wo ihnen ein Minimum an Kontrolle und Steuernzahlen droht. Einen recht guten Überblick über die aktuellen Machtverhältnisse in diesem Sektor gab die heutige Ausgabe von @mediasres/DLF mit Beiträgen u.a. von Johannes Kuhn, sowie zu einem sehr interessanten lokalen Netzwerk in Bremen.
Dä. Vierte Gewalt wäre was Anderes.
Früher, in der Bundeshauptstadt Bonn, ich war ja dabei, sassen Politiker*innen und Journalist*inn*en in den gleichen Kneipen an den gleichen Tischen. Was mögen sie dort wohl besprochen haben? Nicht wenige haben sich damals schon gepaart. Nichts daran hat sich in Berlin geändert. Es ist nur von allem mehr, beschleunigter und schlimmer geworden.
Das Dumme ist nur: was dem Publikum in früheren Jahrzehnten diskret verborgen blieb (nur wir Bonner*innen wussten natürlich davon), das können nun alle, und nicht nur die, die es wollen, sondern zusätzlich alle, die es gar nicht wissen wollen, sehen und hören. Das Gelärme ist so schwer erträglich, dass Mediendiät eine Modetherapie geworden ist.
Das Durcheinander ist so gross geworden, dass die erste Gewalt (Legislative = Parlament = Politiker*innen) und die angebliche “vierte” Gewalt ihre Rollen penetrant verwechseln, und das auch noch täglich dem desinteressierten Publikum in sogenannten TV-Talkshows vorführen, wo ihre Feldbetten nebeneinander stehen.
Nehmen wir als Beispiel den jetzigen Bundestagswahlkampf. Ich hätte dauzu folgende Fragen:
1. Welche Partei setzt sich gemäss Art. 14 Grundgesetz für Solidarität mit Flüchtlingen ein?
2. Welche Partei ist vorne beim Kampf gegen den menschengemachten Klimawandel und verfolgt eine Strategie für entsprechende globale Zusammenarbeit?
3. Welche Partei hat ein Konzept für Steuergerechtigkeit und die Sicherung der Sozialsysteme (inkl. Wohnungen)?
4. Welche Partei verfolgt ein Konzept für eine gesamteuropäische Friedensordnung?
Die Aufgaben wären geteilt. Medien müssten diese Fragen stellen und recherchieren. Politiker*innen und Parteien müssten antworten. Ein ZDF-Klassiker in den 70ern hiess so: “Journalisten fragen – Politiker antworten“. Gegendert wurde noch nicht (Frauen waren auch nur sehr selten dabei), und Talkshows gab es auch nicht.
Stattdessen? Ein Jourmalist, René Martens/MDR-Altpapier muss selbst, quasi aus Notwehr, die Klimafrage aufwerfen. Um dann doch, weil es eine tagesaktuelle “Medienkolumne” ist, bei dem unvermeidlichen Musk-Hitlergruss zu verenden.
Ein realistisches Abbild des hiesigen Diskurses. Wer braucht das?
Lieber Martin,
dieser Beitrag beglaubigt ein Mal mehr die Notwendigkeit Deines Extra-Dienstes.
Wo sonst würde der alarmierende Riss zwischen Anspruch und Wirklichkeit markiert und analysiert werden.
Wer es mit der Demokratie ernst meint, braucht Dein Abbild wie Deine Forderungen.
Als dankbarer Leser,
rudolf schwinn.
Lieber Rudolf, Dein Lob ehrt mich – zumal bei diesem Thema – besonders.
Darum wird hier jetzt hemmungslos, und z.K unserer Leser*innen, zurückgelobt: Rudolf Schwinn war der erste Journalist, der mir 1976 als 19-jähriger Zivi in meinem Büro in der Beueler Hermannstr. 61 begegnete. Und es war, wie mir meine damalige Chefin Ingeborg Wick versicherte und sich mir in der Folgezeit bestätigte, gleich der Beste.