Vielleicht wird diese UN-Vereinbarung einmal zum Startschuss für internationale Steuergerechtigkeit – wenn denn alle Pläne und Absichten, die dort gefasst wurden, Wirklichkeit werden. Am 16. August 2024 hat ein dazu von den Vereinten Nationen eingesetzter Fachausschuss nach mehr dreiwöchiger intensiver Vorbereitung die Rahmenbedingungen für eine internationale Steuerkooperation vorgelegt. Er beschreibt eine Vielzahl von Handlungsfeldern und spricht sich u.a. für einheitliche Abgaben der Unternehmen und für höhere Steuern für Superreiche aus.
Mit dieser Resolution wurde einer langjährigen Forderung der Dritten Welt und vieler zivilgesellschaftlicher Organisationen Rechnung getragen. Alle Staaten sollen an der Gestaltung des internationalen Steuersystems und an der Verteilung der Steuereinnahmen gleichberechtigt teilhaben. Umso bedauerlicher ist es, dass die bisherigen Entscheidungen zur Schaffung einer UN-Steuerkonvention nur in Kampfabstimmungen zustande kamen – und zwar in einem klaren Süd-gegen-Nord-Votum.
Ein Jahr zuvor, am 22.11.2023, hatte die UN-Generalversammlung mit 125 zu 48 Stimmen eine vorbereitende Resolution zur „Förderung einer umfassenden und effektiven internationalen Steuerkooperation“ und zur Schaffung einer UN-Steuerkonvention verabschiedet. Die Gegenstimmen stammten vor allem von den EU-Mitgliedern und anderen Industriestaaten, z.B. den USA, Großbritannien und Japan. Vorarbeit für den UN-Beschluss hatten private Organisationen schon 2022 geleistet. Sie hatten einen fiktiven, aber bis ins Detail ausgearbeiteten Entwurf einer UN-Steuerkonvention veröffentlicht.
Dem UN-Beschluss vom November folgend wurde Ende 2023 ein Ausschuss berufen, um die gewünschte globale Steuerkonvention vorzubereiten. Diese soll illegales Handeln bekämpfen und erhebliche zusätzliche Einnahmen bewirken. UN-Schätzungen zufolge könnten bis zu 600 Mrd. $/a erzielt werden, von denen etwa 200 Mrd. auf Länder der Dritten Welt entfallen würden. Eine ebenfalls vorgesehene Vermögenssteuer für Milliardär/innen könnte 200 bis 250 Mrd./a erbringen. Dafür wird immer wieder ein Steuersatz von 2% gefordert. Weitere Anliegen sind die Forderung nach Übergewinnsteuern und danach, dass multilaterale Konzerne einen mindestens genau so hohen Steuersatz zahlen wie ihre kleineren nationalen Mitbewerber.
Das aktuelle internationale Steuersystem ist über hundert Jahre alt. Es knüpft die Besteuerungsrechte an den Muttersitz des Unternehmens und nicht an den Ort der Wertschöpfung. Fast ebenso lange wird daher über Steuern und Steuergerechtigkeit diskutiert. Nun wurden gleich drei wichtige Instrumente vereinbart: Erstens haben sich die Regierungen zur Zusammenarbeit verpflichtet. Zweitens haben sie sich auf die Schaffung eines Steuersystems für nachhaltige Entwicklung geeinigt. Das bedeutet, dass das Steuersystem zur Finanzierung sozialer Ziele und von Maßnahmen gegen den Klimawandel dienen soll. Drittens sind konkrete Handlungsfelder abgesteckt worden: illegale Finanzströme, Steuerhinterziehung, Steuervermeidung und schädlicher internationaler Steuerwettbwerb.
Neun Handlungsfelder (im Abkommen ‘Protokolle’ genannt) sollen bearbeitet werden:
- Die Besteuerung der Digitalwirtschaft
- Maßnahmen gegen illegale Finanzströme
- Vermeidung und Beilegung von Steuerstreitigkeiten
- Bekämpfung der Steuerhinterziehung und -umgehung durch vermögende Privatpersonen, Gewährleistung ihrer effektiven Besteuerung
- Steuerliche Zusammenarbeit bei ökologischen Herausforderungen
- Austausch von Informationen für steuerliche Zwecke
- Gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen
- Unterbindung schädlicher Steuerpraktiken
- Besteuerung von Einkünften aus der Erbingung gernzüberschreitender Dienstleistungen in einer zunehmend digitalisierten und globalisierten Wirtschaft.
Punkt 9 soll vorrangig bearbeitet werden. Anfang 2025 soll aus den ersten vier Protokollen ein weiteres zur bevorzugten Befassung ausgewählt werden. Die Behandlung der übrigen Themen wird einem Global Tax Governance Gremium übertragen, das im Rahmen der Konvention eingerichtet wird. Die Leitung obliegt einem ständigen globales Steuerungsgremium. Vorgesehen sind drei Verhandlungsrunden in den kommenden drei Jahren. Somit könnte die Steuerkonvention Ende 2027 zur Beschlussfassung und Ratifizierung vorgelegt werden.
Eine besondere Herausforderung für die Erarbeitung der Konvention ist die Tatsache, dass acht Länder das Arbeitsprogramm abgelehnt haben, darunter die USA, Großbritannien, Japan und Südkorea, also einige jener Länder, in denen multinationale Konzerne vorwiegend ihren Sitz haben. 43 Länder enthielten sich der Stimme, daunter die 27 Mitgliedstaaten der EU, aber auch eine Reihe von G77-Mitgliedern. Diese Gruppe ist der Zusammenschluss von 134 Staaten des Globalen Südens, er arbeitet vor allem innerhalb der UN und besteht seit 1964.
Die Industriestaaten haben im Rahmen ihrer Organisation OECD – der nur sogenannte reiche Länder angehören – seit längerer Zeit über internationale Steuerregelungen verhandelt. So hatte die OECD schon 2015 fünfzehn konkrete und (nach Ansicht der OECD) umsetzbare Empfehlungen zur Eindämmung von Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung und gegen den schädlichen Steuerwettbewerb der Staaten vorgelegt (BEPS, Base Erosion and Profit Shifting). Unter anderem sollen Missbrauchsmöglichkeiten reduziert und eine globale Mindeststeuer eingeführt werden.
Wegen der zunehmenden Digitalisierung und einer wachsenden Zahl von virtuellen Unternehmen ergaben sich neue Problemfelder, so dass 2016 ein weiterer OECD-Prozess begann. Dabei wurden erstmals Entwicklungsländer in die Arbeit einbezogen und die Steuerungsgruppe paritätisch mit Mitgliedern aus OECD-Staaten und aus Nicht-OECD-Staaten besetzt. Entscheidungen wurden im Konsens getroffen. Allerdings: Die neu hinzugekommenen Länder mussten alle bisher ohne sie vereinbarten Standards anerkennen und umsetzen. Dies galt z.B. für die umstrittenen Schiedsverfahren zwischen Unternehmen und Regierungen.
Verhandelt wurde über zwei sogenannte ‘Säulen’. In der ersten ging es um die globale Verteilung von Besteuerungsrechten und damit um die Frage, wer welchen Anteil an den Steuereinnahmen bekommt. Diese Verhandlungen waren wenig erfolgreich, wahrscheinlich spielten Egoismen eine zu große Rolle. Die zweite Säule brachte jedoch einen Durchbruch bei der Eindämmung des Niedrigsteuerwettbewerbs. 2021 einigte man sich auf eine globale Mindeststeuer von 15%.
Diese Mindeststeuer ist zweifellos eine wichtige Errungenschaft und verdient die Unterstützung der UN-Gremien. Allerdimgs ist der Steuersatz von 15% aus Sicht der Staaten des Südens deutlich zu niedrig. Sie befürchten sogar, dass Länder mit höheren Steuersätzen darin einen Anreiz sehen, ihre Tarife nach unten zu korrigieren. Kritisiert wird auch, dass im Konzept der OECD strukturelle Ungerechtigkeiten wie die Erteilung der Besteuerungsrechte nur unzureichend gelöst sind. Deren Koppelung an den Sitz des Unternehmens benachteiligt jene Länder, in denen die tatsächliche Wertschöpfung stattfindet oder aus denen die Rohstoffe stammen. Von den Vereinten Nationen wird ein effektiverer Interesseausgleich erwartet.
Unter Hinweis auf die Arbeiten der OECD waren deren Mitglieder von Anfang an gegen eine internationale Steuerkonvention auf UN-Ebene und warnten vor dem Risiko doppelter Bemühungen. Dies könne zu Kontroversen und zu Verzögerungen führen. So haben 2023 alle OECD-Staaten (bis auf Norwegen) gegen den Auftrag gestimmt, eine Steuerkonvention vorzubereiten. Ein Antrag von Großbritannien, den Prozess rechtlich unverbindlich zu machen, wurde mit 107 zu 55 Stimmen abgelehnt. Die Nein-Sager haben jedoch die weitere Arbeit nicht blockiert, sondern sich an den Verhandlungen beteiligt. Dabei bleibt vorerst offen, ob sie das aus Verantworungsbewusstsein und in konstruktiver Absicht getan haben oder nur aus Misstrauen und um das Abkommen zu verwässern und zu verzögern.
Die Staaten des Globalen Südens, vor allem aus Afrika, setzten sich also erfolgreich dafür ein, dass die globale Steuerpolitik durch die Vereinten Nationen und nicht in einer Interessenvertretung der Industriestaaten festgelegt wird. Ihrer Ansicht nach besteht immer noch ein hoher Reformbedarf des internationalen Finanz- und Steuersystems. Sie erwarten, dass endlich den Finanzproblemen der Entwicklungsländer Rechnung getragen, die mit unzureichenden Steuereinnahmen kämpfen, und hoffen, dass durch die Ansiedlung der Thematik bei den UN mehr Transparenz erreichbar wird. Internationale Steuerpolitik ist letztendlich globale Verteilungspolitik.
Bisher gehören die Entwicklungsländer zu den größten Verlierern von illegalen Finanzströmen und Steuervermeidungstricks. Ohne eine gerechte Steuerverteilung wird jedoch eine erfolgreiche Umsetzung der 2015 von den Vereinten Nationen verabschiedeten siebzehn Ziele der „Agenda 2030 für eine sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhhaltige Entwicklung“ nicht gelingen. Die Halbzeitbilanz des UN-Generalsekretärs von Mitte 2023 zeichnet ein beunruhigendes Bild: nach derzeitigem Stand können nur 18% der Ziele bis 2030 errreicht werden. Schätzungen zufolge verlieren die Staaten Afrikas allein durch Kapitalflucht fast 90 Mrd. /a. Das ist fast die Hälfte der Mittel, die zum Erreichen der Ziele der Agenda 2030 nötig wären.
Ein entscheidender Streitpunkt ist die Frage, wo multinationale Unternehmen Steuern zahlen sollen. Bei der OECD werden Länder bevorzugt, in denen sich die Hauptsitze multinationaler Firmen befinden. Andere Staaten erwarten, dass die Steuereinnahmen gleichmäßiger verteilt werden und auch Ländern zugute kommt, in denen die Produktion oder Rohstoffgewinnung stattfindet. Sobald ein Unternehmen über die Staatsgrenzen hinaus tätig ist, wird es kompliziert. Oft gibt es eine Diskrepanz zwischen dem Ort, an dem die Gewinne anfallen, und dem Ort, wo die wirtschaftliche Tätigkeit stattfindet. Reformziel ist es, Steuern auf der Grundlage der Gewinnerwirtschaftung statt des Hauptsitzes zu erheben.
Es bleibt abzuwarten, welche Ergebnisse die künftigen Verhandlungen bringen. Dabei darf man nicht von einer einheitlichen Haltung der Industriestaaten und einer Blockade ausgehen. Die Lage ist differenzierter. Das wird vor allem bei der EU deutlich. Dort gibt es nämlich Steuerparadiese und Länder mit hohen Steuern. In Westeuropa gibt es viele Firmenzentralen, in Osteuropa kaum. Hier treffen unterschiedliche Eigeninteressen der Industrieländer aufeinander. Manche werden ihre nationalen Vorteile sichern wollen. Andere werden den internationalen Konsens suchen bzw. unterstützen und entsprechenden Einfluss nehmen.
Die EU-Staaten müssten eigentlich für eine internationale Steuerkonvention votieren. Die EU verliert jährlich über 130 Mrd. $ an Steueroasen. Daher führt sie schon länger eine ‘schwarze’ und eine ‘graue’ Liste von Ländern, die die (jetzigen) internationalen Vorschriften über den Austausch von Bankinformationen, Geldwäsche und Steuern nicht anwenden. Luxemburg und Malta sind 2024 von der EU-Kommission ausdrücklich aufgefordert worden, Maßnahmen zur Bekämpfung von Steuerflucht zu ergreifen.
Auch Deutschland sollte Interesse an der Konvention haben. Es ist nämlich ein attraktives Land für Schwarzgeld aus der ganzen Welt und liegt auf Platz 7 im globalen Schattenfinanzierungsindex. Geldwäsche schwächt die deutsche Wirtschaft, illegale Finanzströme beeinträchtigen die Leistungsfähigkeit der Öffentlichen Hand. Deutschland würde daher wohl ebenso wie die Länder des Globalen Südens von einem internationalen Steuerabkommen profitieren, das illegale Finanzströme bekämpft und eine gerechtere Besteuerung großer Konzerne und Vermögen ermöglicht.
Die als Problem bezeichnete Konkurrenz OECD – UN muss nicht unbedingt nachteilig sein. Im Gegenteil kann die UN-Steuerkonvention sogar dazu dienen, bereits erzielten Verhandlungserfolgen der OECD eine universelle Legitimation zu geben und breite internationale Wirkung zu erzielen.
Zum jetzigen Zeitpunkt müssen die Arbeiten an einer globalen Steuerkonvention jedoch mit Skepsis betrachtet werden, nicht nur wegen der Abstimmungsergebnisse 2023 und 2024. Trotz konkreter inhaltlicher, organisatorischer und zeitlicher Vorgaben und Planungen ist nicht absehbar, was zum vorgesehene Zeitpunkt Ende 2027 vorgelegt wird und vor allem, wie die anschließenden Abstimmungen verlaufen und ob alle Staaten mitmachen.
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