Demokratische Parteien befeuern mit ihrem Überbietungswettbewerb bei Migration und Sicherheit die rechte Diskurshegemonie. Auch die Grünen machen mit. Doch die Brandmauer verläuft nicht nur zwischen AfD und den anderen, sondern zwischen einer Politik der Menschenrechte und einer der Entrechtung.
Es gab einmal eine Zeit, da waren die Grünen bekannt dafür, dass sie die kruden Law-and-Order-Fantasien der anderen Parteien kritisch hinterfragten. Es gab einmal eine Zeit, in der die Grünen eine einwanderungsfreundliche und weltoffene Partei waren. Es gab eine Zeit, da die Grünen einmal evidenzbasierte Sicherheitspolitik forderten. Es gab eine Zeit, in der die Grünen Bürgerrechtspartei genannt wurden.
Das ist vorbei.
Heute machen die Habeck-Grünen auf Law-and-Order. Im Überbietungswettbewerb um die härteste Migrations- und Sicherheitspolitik mischen die Grünen mit ihrem 10-Punkte-Plan kräftig mit und biedern sich so der SPD und Union an, spielen aber letztlich vor allem der AfD in die Hände.
Sie fordern nun Big-Data-Analyse à la Palantir und biometrische Gesichtserkennung im Netz und verweisen auf das bereits geschnürte Sicherheitspaket. Sie wollen mehr Abschieben, mehr Polizei und mehr Befugnisse für diese, engmaschige Überwachung sogenannter „Top-Gefährder“, mehr Kooperation von Polizeien und Geheimdiensten und so weiter.
Jetzt ohne Bauchschmerzen
Und das tun sie nicht mehr mit den bekannten grünen Bauchschmerzen oder vermeintlich gefangen in den Zwängen einer Koalition, wo man zur Rechtfertigung darauf hinweist, man habe ja etwas Kontrolle und Mäßigung in Gesetze hineinverhandelt. Sie tun es aus freien Stücken. Das ist eine neue Qualität. Horst Seehofer dürfte mit den Ohren schlackern, wie die Grünen ihn da rechts überholen.
Die Grünen sind in diesem Prozess getrieben vom – vollkommen ungerechten und haltlosen – Narrativ, dass sie an aller Misere in diesem Land Schuld seien. Das sind sie nicht. Doch ihre Antwort auf die Anschuldigungen ist keine Sicherheits- und Migrationspolitik der grünen Werte oder eine Politik der sozialen Sicherheit und des gesellschaftlichen Friedens, sondern ein Einstimmen in den Chor: Wir schieben mehr ab, wir sind härter, wir machen mehr, wir haben die strengeren Gesetze, wir sind die härtesten Hunde. Sie tappen in die von rechts gestellte Falle und werden nicht aus ihr herauskommen.
Die grundrechtliche Brandmauer verläuft nicht nur zur AfD
Es ist traurig, was aus der Bürgerrechtspartei geworden ist. Die grundrechtliche Brandmauer verläuft nicht nur in Abgrenzung zur AfD, sondern auch in Abgrenzung zu einer grundrechtsfeindlichen Politik. Denn was nützt eigentlich die Brandmauer, wenn die Parteien hinter dieser quasi die Forderungen der AfD von vor drei Jahren umsetzen?
Eines ist vollkommen klar und wissenschaftlich bewiesen – und das zeigen in der Praxis Italien, Frankreich, England und alle anderen Länder, in denen am Ende die Rechtsradikalen stark geworden sind: Demokratische Parteien können im Wettbewerb, wer der rechteste und härteste Hund ist, nur verlieren.
Bei der Diskursverschiebung durch diesen Wettbewerb gewinnen immer die Rechtsradikalen, weil die Leute das Original wählen. In diesem Wettbewerb verlieren aber immer: Demokratie und Grundrechte.
Pflock einschlagen, aber anders
Wir brauchen in Zeiten rechter Diskurshegemonie Parteien, die einen Pflock einschlagen, die sich endlich trauen mutig zu sagen: Wir brauchen Migration, wenn wir nicht wegen Überalterung Probleme bekommen wollen und dieses Land nicht de-industrialisieren wollen.
Wir brauchen Parteien, die den Mut haben zu sagen: Migration ist gut und eine riesige Erfolgsgeschichte in diesem Land. Wir brauchen Parteien, die selbstverständlich und klar sind: Migration gehört dazu und wir müssen schauen, wie wir die Neuankömmlinge besser und menschlicher in unsere Gesellschaft aufnehmen. Und wir brauchen Parteien, die bewusst den Tunnelblick auf diese unselige Migrationsdebatte ablegen – und andere Themen nach vorne bringen.
Ähnliches gilt für die Diskussion um Sicherheit: Hier braucht es Parteien, die dieses Thema erstens von Migration trennen und zweitens auf den Weg des Grundgesetzes zurückkehren. Parteien, die nicht immer an das Maximum gehen, das in Karlsruhe irgendwie noch gerade so durchgeht. Vor allem braucht es aber Parteien, die eine evidenzbasierte Sicherheitspolitik machen und keine schnellen, schillernden Scheinlösungen und Aktionismus verkaufen.
Faschismus lebt von Angst und Lügen
Wir leben in einer der sichersten Gesellschaften der Welt, das muss endlich betont werden. Fast nirgendwo auf der Welt ist die Chance geringer, Opfer von Gewaltverbrechen zu werden. Wer etwas anderes erzählt, ist ein Lügner. Sicherheit entsteht nicht nur durch Gesetze und Polizei, sondern durch soziale Sicherheit, durch Bildung, Aufstiegschancen, gute Lebensumstände und eine Aussicht auf eine gute Zukunft.
Wer die ganze Zeit aber Angst und Unsicherheit schürt, der leitet Wasser auf die Mühlen der Rechtsradikalen. Denn die haben doch nichts in der Hand als die Lüge eines nicht-funktionierenden Staates, in dem wir alle permanent in Gefahr vor angeblich bösartigen Minderheiten leben. Faschismus lebt von Angst, Verschwörungsideologien und Lügen. Faschismus bekommt man klein, in dem man gerechte und soziale Politik für alle Menschen macht, indem man Ängste und Zukunftssorgen nimmt, statt sie zu dauernd erneut zu bedienen.
Markus Reuter recherchiert und schreibt zu Digitalpolitik, Desinformation, Zensur und Moderation sowie Überwachungstechnologien. Darüber hinaus beschäftigt er sich mit der Polizei, Grund- und Bürgerrechten sowie Protesten und sozialen Bewegungen. Für eine Recherchereihe zur Polizei auf Twitter erhielt er 2018 den Preis des Bayerischen Journalistenverbandes, für eine TikTok-Recherche 2020 den Journalismuspreis Informatik. Bei netzpolitik.org seit März 2016 als Redakteur dabei. Er ist erreichbar unter markus.reuter | ett | netzpolitik.org, sowie auf Mastodon und Bluesky. Die von netzpolitik verfassten Inhalte stehen, soweit nicht anders vermerkt, unter der Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0.
Offensichtlich hat der Autor das Programm der GRÜNEN nur oberflächlich studiert und die sehr wohl vorhandene Differenziertheit der angestrebten Asyl und Migrationspolitik nicht erkannt. Ich sehe die Bürgerrechtspolitik bei den GRÜNEN immer noch als einen ganz wesentliches Standbein GRÜNER Politik. Der Autor verkennt die Veränderungen der Qualität der Angriffe auf unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung, die auch eine neue Qualität des Schutzes dieser Ordnung erfordert.
“neue Qualität des Schutzes dieser Ordnung” – das wäre dann mal interessant näher auszuführen … Oder auszuweisen?
Hier ergänzend ein Vergleich der Parteiprogramme aus der gleichen Redaktion:
https://netzpolitik.org/2025/bundestagswahl-das-steht-ueber-daten-und-digitales-in-den-wahlprogrammen/
Dazu kann ich persönlich vermerken: im Wahl-O-Mat, der das auch tut, erreichen die Grünen bei mir doppelt so viele Prozente (über 80), wie beim Real-O-Mat, der das tatsächliche Abstimmungsverhalten der Vergangenheit auswertet – wobei die Grünen da bei mir politik- und koalitionsgemäss gleichauf mit ihren Koalitionspartnern SPD und FDP liegen – die FDP übrigens doppelt so hoch, wie beim Wahl-O-Mat 😉
Am besten selbst entscheiden, was frau und mann wählt.