Beueler-Extradienst

Meldungen und Meinungen aus Beuel und der Welt

Realo-Förderprogramm für “Die Linke”

Grössere Teile meines politischen Lebens war ich in politikpraktischen Auseinandersetzungen mit dem Welt-, Menschen- und Politikbild des rechten Grünen-Parteiflügels, der beschönigend allgemein als “Realos” bezeichnet wurde und wird. Respekt vor dieser Art gelungenen Politik-Marketings will ich nicht verhehlen. Dass es nie gestimmt hat, ist für die Mehrheit der sich damit Beschäftigenden so uninteressant, wie die Frage, wenn Donald Trump etwas sagt, ob das wahr oder unwahr ist. Tatsache bleibt, dass er was gesagt hat (“Floating the zone with shit”). Diesen Mechanismus hat sich Zeit seines politischen Lebens auch ein Joseph Fischer zunutze gemacht. Und wird heute mit seinen Auswirkungen reich. Aber was macht Habeck?

Filosofie grüner Realos war, sich nie zu weit weg von den Andern zu bewegen. Anschlussfähigkeit. Lange nur zur SPD, aber schon in den 90ern wurde das auch mit der CDU ausprobiert. Mülheim/Ruhr und Gladbeck waren in NRW erste Labore – Heimstätten der “Kanalarbeiter”-SPD. In Bonn haben wir das nach OB Bärbel Dieckmanns WCCB-Skandal auch ausprobiert. Und tatsächlich erwies sich die CDU als seriöserer Partner: ihre Zusagen wurden auch eingehalten, inhaltlich und personell. Und die Grünen-Wähler*innen bestraften es nicht, im Gegenteil: von 2009 auf 2014 blieb der Stimmenanteil mit 18,6% gleich, bei einem Plus der absoluten Zahlen um 1.500.

Realismus ist also nichts Falsches. Aber Realo-Politik? Robert Habeck liess sich schon im Bundestagswahlkampf 2021 mit Panzerwesten in der Ukraine ablichten. Nicht nur Antje Vollmer war damals verzweifelt über seine falschen Ratgeber*innen. Für enttäuschende Wahlergebnisse gibt es immer ein Bündel von Ursachen. Eine elementare war und ist, dass Habeck und Baerbock das immer konfliktgeladene Verhältnis zwischen den Grünen als Friedenspartei und den Restelementen deutscher Friedensbewegung abrupt abgebrochen haben. Eine strategische Entscheidung, die angesichts der organisationspolitischen Kümmerlichkeit risikoarm erschien. War es aber nicht. Denn dahinter verbergen sich in der Wähler*innen*schaft die geburtenstarken Jahrgänge.

Und wie realitätstüchtig die europäische Ukrainepolitik unter deutscher Führung war (und ist), wird nun schmerzhafter, als gut sein kann, erwiesen. Dem deutschen MIK (militärisch-industrieller Komplex) ist das egal – wenn Europa jetzt mehr statt weniger aufrüstet, winkt das Profitparadies im militaristischen Börsenboom.

Klimaschutz? Können sich Andere drum kümmern. Mit der Klimabewegung werden die gleichen grünen Fehler wiederholt. Es mag sein, dass die Grüne Jugend im parteiinternen Machtgefüge zu vernachlässigen ist. Würde sie nicht vernachlässigt, würden grüne Chefstrateg*inn*en mglw. ihren potenziellen Nutzen erkennen: die Verbindung zu den demonstrierenden Jugendlichen nicht abreissen, sondern am Leben zu lassen. Luisa Neubauer als freiberufliche Medienunternehmerin ist dafür nicht hinreichend. Obwohl sie eine Hilfe sein könnte, wenn das im grünen Parteiapparat noch jemand kapieren täte. Erschwerend kommt hinzu, dass Gut-und-Böse-Schemata beim global erforderlichen Klimaschutz keinen Millimeter weiterführen. Eine Regierungspartei – Realismus! – sollte dazu nach Antworten suchen, statt sie zu verweigern.

Und nun werden rechtzeitig zur nächsten Wahl weitere grüne Alleinstellungsmerkmale gekillt. Die Bürger*innen*rechte und die Solidarität mit Migrant*inn*en und Flüchtlingen werden, dem Agendasetting von AfD und Merz folgend, durch Solidarität mit Polizei und Geheimdiensten ersetzt. Sischer, kann mann so machen. Aber gibts das nicht schon origineller und originaler bei Anderen?

Die schon totgewesene “Die Linke” kann ihr Glück gar nicht fassen (“Fiebertraum”). Sie weiss so wenig, wie ihr geschieht, wie Frau Baerbock in den Wochen, als sie noch wirklich glaubte, Bundeskanzlerin werden zu können.

Hinreichende Grundlagen für einen wirkungsvollen Widerstand gegen Rechts sind das nicht. Dafür wären nicht nur Programme, sondern öffentliche Diskurse erforderlich, in denen fortschrittliche Kräfte die Agenda bestimmen, statt fremden Agenden hinterherzuhecheln.

Nur eine zarte Andeutung dafür ist die “politische Stimmung” im ZDF-Politbarometer. Sie ist eingestandenermassen weit entfernt von wahlpolitischen Fakten, aber ein Hinweis auf Atmosphärisches und Mögliches. Dort erreichen SPD+Grüne+Linke+BSW 50%! Es gab viele Jahre in dieser Republik, in denen diese Parteien (ohne BSW) sogar bei echten Wahlen mehr als das hatten. Sie waren nur dummerweise diskurs- und mobilisierungsunfähig. Und das sind sie immer noch.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. Dr. Norbert Reichel

    Realo oder Fundi? Rechts oder Links? Das sind medial attraktive Begriffe, aber wenig hilfreich. Wenn man aber eine soziale Politik, eine wirksame Armutsbekämpfung, gleiche Chancen für alle, ein auskömmliches Leben für alle, das nicht auf Sozialalmosen (Stichwort: Aufstocker) angewiesen ist, als Kriterium linker Politik nimmt, dann ist heute die Linke die einzige Partei ist, die glaubwürdig eine soziale Politik betreibt, die sich auch nicht scheut, Finanzierungsvorschläge zu machen, die Millionären und Milliardären nicht gefallen mögen (obwohl es einige gibt, die sehr wohl dafür eintreten, mehr Steuern zahlen zu dürfen).

    Echte Linke bei den Grünen suche ich vergeblich. Ich nenne eine prominente Ausnahme, Ricarda Lang (es gibt auch sicherlich anders), die auch dafür steht, wie eine linke und zugleich liberale Politik aussehen könnte, aber das ist ein anderes Kapitel. Meines Erachtens sind diejenigen, die sich bei den Grünen lautstark als Linke inszenieren, maßgeblich die große Mehrheit der sogenannten “Grünen Jugend” oder von der m.E. merkwürdigen Gruppierung “Bunt-Grün” nicht mehr und nicht weniger als Identitätspolitiker:innen. Ihnen sind die Gendersternchen, die Identitäten vieler einzelner Gruppen in Abgrenzung zu anderen, nicht nur zur sogenannten “Dominanzgesellschaft” bzw. “Dominanzkultur” (Birgit Rommelspacher), auch untereinander, offenbar wichtiger als eine nachhaltige soziale Politik. Noch schlimmer wird es, wenn jemand, der Islamismus anprangert, in diesen Kreisen als Rassist markiert wird, obwohl Islamisten genau das betreiben, was die Menschen auseinandertreibt: Identitätspolitik.

    Wer Identitätspolitik derart in den Vordergrund schiebt und – auch das muss man sagen – so stark verkürzt, betreibt das Spiel der Rechten. Das führt wiederum dazu, dass (pseudo-)linke, islamistische und rechte Identitätspolitiken sich wunderbar ergänzen (wie beim Antisemitismus, bei dem sie sich oft auch einig sind, siehe Jeffrey Herf: Drei Gesichter des Antisemitismus). Im Zweifel sind die rechten Identitätspolitiker mit ihrem Leitkultur-Gefasel und ihrer Okkupierung des Heimat-Begriffes medial professioneller und daher auch erfolgreicher.

    Eine Linke, die Identitäten aus Herkunft, Kultur und Religion ableitet, spaltet. Bündnisse werden immer schwieriger, weil das richtige Wording eben wichtiger ist als der politische Inhalt. Das entscheidende ist jedoch das Soziale. Identitätspolitik von links ist eine ganz besonders subtile Form von Klassismus, denn die Menschen, die im Monat mit ihrem Geld nicht über die Runden kommen, die die teuren Mieten oder die Kinderbetreuung nicht zahlen können, die sich auch kein Lastenfahrrad leisten können, etc., werden kaum Verständnis dafür haben, wenn man sich über Gendersternchen streitet.

    Das haben wir bei der Partei “Die Linke” inzwischen nicht mehr (früher gab es das durchaus, mir sagte einmal ein prominenter Linker, da waren Leute, die den Namen jedes palästinensischen “Kämpfers” kannten, aber nicht wussten wie es ihren Nachbarn ging). Die heutige, die neue Linke konzentriert sich gekonnt auf das Soziale. Sie profitiert m.E. natürlich auch massiv davon, dass das saarländische Ehepaar sich als Rechtspopulisten erweist und – so hoffe ich – demnächst keine Vertretung mehr im Bundestag haben wird. Gut ist es hingegen, dass es im Bundestag demnächst wieder eine gute linke Opposition geben wird. Wie sich die Grünen als wahrscheinlich ebenfalls zukünftige Oppositionspartei dann neu formieren, wird eine spannende Frage. Grüne Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik, linke Sozialpolitik, das wäre doch mal eine gute Kombination, für die es auch in den anderen demokratischen Parteien Partner geben dürfte, um gesellschaftliche Mehrheiten zu schaffen.

    Darf ich auch noch meine Verwunderung erwähnen, dass du, lieber Martin, das BSW in eine Liste linker Parteien zählst? Das BSW vertritt puren Rechtspopulismus mit Affinitäten zum Rechtsextremismus, wie ihn nicht zuletzt Putin, Orbán und andere praktiziert.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

© 2025 Beueler-Extradienst | Impressum | Datenschutz

Theme von Anders NorénHoch ↑