Die wundersame Bahn CCXVII und ihre Baustellen

RE5 Richtung Ruhrgebiet kommt pünktlich in Gleis 1 Bonn Hbf. Kein Wunder. Südlich wird ein “digitales Stellwerk Bad Godesberg” errichtet. Nach den Erfahrungen mit dem “digitalen Stellwerk Köln” würde ich vermuten: tschö Rheinland-Pfalz! War ‘ne schöne Zeit … Der RE5 beginnt und endet in Bonn Hbf., zum Leidwesen hunderter Berufspendler*innen, die den unwirtlichen Haltepunkt UN-Campus, in dem kein Güterzug sein Tempo drosselt, schon liebgewonnen hatten.

Mit 10 Min. Umsteigezeit wollte ich in Duisburg eine Bahn nach Essen-Altenessen erreichen. Das misslang. Der RE5 wurde bis Duisburg fünfmal überholt und fuhr so selbst eine entsprechende Verspätung ein. Ausserdem schloss immer dieselbe Tür nicht und verzögerte Abfahrten. An den Displayanzeigen im Zug las ich, dass mein Umsteigeziel, das in Duisburg Hbf. eingesetzt wird, wartete, weil es bis Oberhausen auf den gleichen Gleisen wie der RE5 verkehren muss. Als ich ihn in Duisburg verliess, sah ich meine Chancenlosigkeit. Der Bahnsteigabgang bestand aus einer Rolltreppe, an der sich unendliche Menschenmassen stauten. Ich sprang hastig zurück in den Zug – es war die Tür, die sich ständig nicht schloss, im 1.-Klasse-Bereich, dort wo auch der Zugbegleiter sich aufhielt – und verbrachte die wenigen Minuten stehend im Türbereich. Tatsächlich kontrollierte er auch mein Ex-49€-heute-58€-Ticket und ich erklärte ihm meinen Aufenthaltsort. Kein Problem. Es entsponn sich eine angeregte Gesprächssituation mit einem halben Dutzend weiterer Passagier*inn*en, die es ähnlich wie ich gemacht hatten. Der Bahnkollege, womöglich prekär beschäftigt vom britischen “Privat”anbieter National Express, war sekundenschnell in einer echt defensiven Situation.

Mein Anschluss in Oberhausen gelang problemlos. Verspätungssaldo in Altenessen komfortable 5 Minuten.

Das dicke Ende: die Rückfahrt

Gleiche Linienführung. Zubringerfahrt von Altenessen nach Duisburg. Dort den RE5 aus Oberhausen erwartend. Er ist auch am nördlichen Ende verkürzt, kommt aus Friedrichsfeld statt Emmerich. In Duisburg Hbf. keine Verspätungsanzeige oder -ansage, dafür aber für jede Menge anderer Züge. Nur: er kam nicht. Nach einer Viertelstunde vergeblichen und informationslosen Wartens verlasse ich den Bahnsteig in die Unterführung, wo Displays mit aktuellen Anzeigen stehen, Der RE5, angeblich “nach Koblenz”, ist angezeigt, ohne Verspätung, aber nicht abgefahren. In dem Moment höre ich oben einen Zug einfahren, schnell die Treppe rauf, ohne schweres Gepäck – da ist er ja! Na also.

Im Zug hektisches Treiben der zahlreichen durch die Navigator-App desorientierten Fahrgäste. Ein Mann mit Fahrrad will bis Bonn, um von dort nach Königswinter zu gelangen. Das wird er selbst fahren müssen (ver.di-Streik in Bonn). Eine Frau will nach Koblenz (wie es in Duisburg am Bahnsteig angezeigt war). Ich erklärte ihr, dass dieser Zug in Bonn endet (wie es das Display im Zug auch anzeigte). Vielleicht könne sie in Deutz einen Zug nach Koblenz über die andere Rheinseite (Beuel!) erreichen. Sie solle sicherheitshalber den Zugbegleiter um Auskunft bitten, der eben meine Fahrkarte kontrolliert hatte. Freundlich auf die falschen Anzeigen und die Freiheit von jeglicher Information im Duisburger Hbf. angesprochen, glaubte er wohl, ich wolle ihm was, und sagte nur, da könne er nichts für. Der Arme.

In Düsseldorf ein zusätzlicher Schwung Fahrgäste, ebenfalls von nichts ‘ne Ahnung. Der Lokführer sprach, akustisch nur bei Mucksmäuschenstille vernehmbar. Dieser Zug werde umgeleitet über “Opladen-Mitte”, halte also nicht in Benrath und Leverkusen – sein Display im Zug zeigte derweil eine Umleitung über Neuss direkt nach Köln-Süd an (die gab es mal, wg. dem “digitalen Stellwerk Köln” – diese Umleitung dagegen ist begründet in den Bauarbeiten für eigene RRX-Gleise, also exakt den Zug, in dem wir alle sassen). Ich erklärte den Fahrgästen, dass das, was der Mann sagte, ausschlaggebend sei, denn er sei ja der Fahrer. Alles Andere, Apps, Displays etc., da habe nur jemand die falschen Tasten gedrückt. Das haben alle sofort verstanden.

Ein Fahrgast wollte sogar nach Opladen und sah sich beglückt, nicht in Leverkusen umsteigen zu müssen. Opladen hat tatsächlich, genauso wie Beuel und Altenessen s.o., einen langen Bahnsteig, an dem einst, die Älteren werden wissen, was das war, richtige D-Züge hielten. Heute ist das angeblich für Fernzüge “nicht möglich”. Aber für den RE5. Es dauerte. Denn die Umleitungsstrecke ist natürlich nicht für die Zugfrequenzen zwischen Düsseldorf und Köln ausgelegt.

Aus Gründen, die ich nicht erkennen konnte, hielt der RE5 anschliessend an seinen fahrplanmässigen Halten in Mülheim und Deutz gar nicht erst an. Sondern erst wieder im Kölner Hbf. Die Verspätung in Bonn Hbf. betrug dann 45 Minuten. Saldo Altenessen-Bonn 2 1/2 Stunden. Das ging früher mal eine Stunde schneller – als NRW noch ein entwickeltes Industrieland war.

Immerhin das Wlan funktionierte. Darüber hinaus blieb Zeit für ausgedehntes Denken. Sehnsucht nach den erfolgreichen Bahnbauern China (“kommunistisch”) oder Japan (turbokapitalistisch)? Einerseits ja. Andererseits: in diesen hierarchiebasierten Gesllschaften würde ich es nicht aushalten. Wenigstens die Schweiz? Hans Conrad Zander ist soeben dorthin abgehauen. Ich hoffe für ihn, das Umsteigen in Basel gelingt. Die Schweizer*innen lassen die Deutsche Bahn gar nicht mehr rein, weil die nur das Verspätungsvirus in ihr Netz einschleppt. 2016 haben sie nach 17 Jahren Bauzeit den 57km langen Gotthard-Basistunnel fertiggestellt. Nur die weit einfachere deutsche Zubringerstrecke, die braucht noch ein paar Jahrzehnte.

Nun ist Samstag, ich habe ausgeschlafen, alles wieder gut. Nächster Versuch: Ostern. Mehr vom Bahnfahrer Franz Kafka hier.

Noch eine Nachbemerkung: “digitale Stellwerke”

Der Sinn dieser Sache soll sein, auf der gleichen Menge Gleise mehr Züge – sicher – fahren lassen zu können. Hmm.

Da gibt es ein Problem. Der kapitalistische Sinn der IT-Industrie ist, ihre Erfindungen und Produkte, nicht erst kostenaufwändig zu testen, und dann in Verkehr zu bringen (Vorbeugeprinzip), sondern “am Kunden” zu testen, und erst zu zahlen, wenn Unfälle passieren (so die Schadenersatzprozesse in den USA, der Bayermonsantokonzern weiss, was ich meine).

Dummerweise ist die Eisenbahn eine Technologie, wo das, sagen wir mal so ähnlich – oder noch grösser – wie bei AKWs, zu Grosskatastrophen führen würde, für die eine klare Mehrheit einer Menschengesellschaft nicht bereit wäre, Verständnis aufzubringen. Gut so.

Darum dauert der Bau digitaler Stellwerke so lange. Wir Beueler*innen sind das schon gewöhnt von unserer S13: rechnerisch fünf Jahre Bauzeit pro Haltepunkt, optimistisch gerechnet.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net