Im mexikanischen Bundesstaat Guerrero wehrt sich der indigene, kleinbäuerliche Widerstand gegen Paramilitärs

Im Jahr 1525 erreichte der Bauernkrieg in hiesigen Breitengraden seinen Höhepunkt. Die Landbevölkerung wehrte sich gegen die „Einhegung“, gegen die Umzäunung und Privatisierung von zuvor gemeinschaftlich genutztem Land. Fast zur gleichen Zeit, als die rebellischen Bäuer*innen im Februar vor 500 Jahren ihre Ablehnung in den „Memminger Artikeln“ formulierten, ließ der spanische Eroberer Hernán Cortés auf der anderen Seite des Atlantiks den letzten Aztekenherrscher hinrichten. Die „Conquista“ war damit noch lange nicht abgeschlossen und die Landfrage blieb weiterhin zentral. An der Schwelle zum 20. Jahrhundert wehrten sich die rebellischen Maya der Yucatán-Halbinsel gegen den Militärzug des mexikanischen Diktators Díaz. Bis 1904 verteidigten sie im sogenannten Kastenkrieg ihr Territorium und ihre Autonomie, die auf der gemeinschaftlichen Anbauweise der „Milpa“ basierte. Ein weiteres Jahrhundert später, 2025, werden sie von einem neuen Tourismus- und Güterzug der mexikanischen Armee bedroht: Der „Tren Maya“ sowie der Interozeanische Korridor samt Monokulturen, Immobilienprojekten und Industrieparks sind eine weitere Einhegung gigantischen Ausmaßes. Auch die Angriffe auf die kleinbäuerliche Lebensweise im mexikanischen Bundesstaat Guerrero dauern weiter an.

Der Bundesstaat Guerrero ist einer der südlichsten und größten Mexikos. Durch seine Lage zwischen Küsten-, Berg- und Wüstenregionen verfügt er über eine hohe Biodiversität. Hier leben viele indigene Bevölkerungsgruppen, sie machen in Guerrero mit seinen 3,5 Millionen Menschen mindestens 17 Prozent aus. Gerade in den Bergregionen leiden sie unter Armut und fehlender Versorgung mit Strom oder Wasser. Der Reichtum ihres Territoriums ist gleichermaßen ihr Verhängnis. Wälder werden weitflächig abgeholzt, in den Bergen graben Bergbauunternehmen nach Rohstoffen, Monokulturen und Massentierhaltung breiten sich auf dem Land aus, während die industrielle Fischerei die Küste einnimmt. Und Acapulco avancierte spätestens seit den 1970er-Jahren zum ersten Zentrum des Massentourismus in Mexiko. Diese Geschäftsbereiche werden vom organisierten Verbrechen kontrolliert, das neben dem Drogen- und Menschenhandel in allen genannten Bereichen von Forst- bis Landwirtschaft aktiv ist. Seit dem Eindringen dieser extraktiven Gewalt organisieren sich die indigenen Kleinbäuer*innen, um ihr Land, das Wasser, die Luft und ihre Lebensweise zu verteidigen.

Forderung nach Land und Autonomie

Im Jahr 1992 gründeten die Völker der Na Savi, Me’phaa, Náhua und Ñamnkué den Rat „500 Jahre Widerstand von Guerrero“, der sich für das Recht der Indigenen auf Autonomie und Selbstbestimmung einsetzt. Sein Einfluss wuchs durch das Auftreten der zapatistischen Befreiungsarmee (EZLN) 1994 und mit der Gründung des Nationalen Indigenenkongresses (CNI). Ähnlich wie in anderen Teilen des Landes reagierten paramilitärische Gruppen des organisierten Verbrechens mit Angriffen auf diese Organisierung. So entstanden in Guerrero bereits früh lokale Gemeindepolizeieinheiten, die die selbstverwalteten Gemeinden gegen die Angriffe der Paramilitärs verteidigen. Nach zahlreichen auch von außen durch Bestechung und Gewalt herbeigeführten Spaltungen gründete sich schließlich der „Indigene und Populäre Rat von Guerrero Emiliano Zapata“ (CIPOG-EZ) als starker Ausdruck des indigenen Widerstands. Bis heute ist er mit der EZLN und dem CNI verbunden.

Ihrem würdigen Kampf für das Leben wird seit jeher mit Gewalt begegnet. Im Jahr 2025 ist die Situation katastrophal. Seit 2015 vermeldet der CIPOG-EZ mindestens 63 Morde an seinen Mitgliedern, 22 gelten als verschwunden und mindestens ein Mitglied sitzt unschuldig im Gefängnis. Paramilitärs brachten ganze Familien um, darunter viele Jugendliche. Zuletzt wurde am 1. August 2024 Alberto Zoyateco Pérez ermordet, während andere Mitglieder des CIPOG-EZ permanent Morddrohungen erhalten.

Kommunikation gegen den Terror

Das neueste Widerstandsprojekt des CIPOG-EZ ist der Aufbau eines Gemeinderadios. Ein Sprecher erklärt, warum ein Radio so wichtig ist: „Unsere Mitglieder sprechen vier verschiedene Sprachen. Mit dem neuen Radio wollen wir die Menschen in ihrer Sprache darüber informieren, was die kapitalistische Erschließung unserer Territorien bedeutet. Wir wollen unsere Analyse weiter schärfen, um klar zu machen, dass wir nur organisiert gegen die schlechte Regierung vorgehen können, gegen die politischen Parteien, die unsere Gemeinschaften spalten und zerstören. Und um über die Angriffe der Paramilitärs aufzuklären und uns zu schützen. Das ist unser Widerstand, unser Kampf.“ Wenige Monate nach diesen Worten hat sich die Lage verschärft: „Wir sind einer Terrorkampagne ausgesetzt, die unsere Gemeinden überschwemmt, weil wir in unserem Widerstand standhaft geblieben sind. Der Staat trägt eine Mitschuld, denn während wir bedroht, gekidnappt, vertrieben und ermordet werden, unternimmt er nichts gegen die paramilitärischen Gruppen. Dabei weiß er längst, wer sie sind und wo sie agieren.“ In den Gemeinden, die inzwischen durch die Paramilitärs oft voneinander abgeschnitten sind, ist ein Austausch überlebenswichtig. Das Radio wird zum Instrument gegen den Terror: „Wir brauchen es, mit tausend Watt, mit allem Drum und Dran.“ Die Botschaften, die uns dieser Tage aus den umkämpften Bergen von Guerrero erreichen, appellieren an die nationale und internationale Solidarität: „Die Morde gegen uns gehen weiter, aber unser Widerstand auch. Wir geben nicht auf, wir verkaufen uns nicht. Wir geben nicht nach.“

Die internationale „Recherche AG“ beschäftigt sich mit der territorialen Neuordnung Südmexikos und Mesoamerikas durch Megaprojekte. Ihr erster Report deckte die Beteiligung europäischer und deutscher Konzerne am „Tren Maya“ auf (https://deinebahn.com/), im März veröffentlicht die Recherche AG einen neuen Report.

500 Jahre Bauernkrieg – für das Leben, für das Land

„Wir senden euch Grüße im Namen der Gemeinden der Regionen bajo y alta montaña, der costa grande y costa chica. Wir sind eine bäuerliche Bewegung im Widerstand gegen paramilitärische Gruppen, die uns ermorden, uns verschwinden lassen und uns aus unserer Region vertreiben. Wir sind indigene Gemeinschaften der Náhua, Na Savi, Me‘phaa und Ñomndaa und Afromestiz*innen. Unser Kampf dauert nun schon 500 Jahre an. Seit langem haben wir uns organisiert, um unsere Autonomie aufzubauen, unser Regierungs- und Sicherheitssystem, Gesundheitssystem, Gemeinderadio, agrarökologisches System, um das Land zu bewirtschaften und organischen Dünger herzustellen, um nicht den chemischen Dünger der Unternehmen zu benutzen. Der gentechnisch veränderte Mais von internationalen Unternehmen aus den USA überschwemmt unser Land, obwohl wir wissen, dass es sich um Chemikalien handelt, die schlecht sind für unsere Ernährung, vor allem die der Kinder. Wir befinden uns in einem Kampfprozess, unser Ziel ist, Multiplikator*innen auszubilden, die den Widerstand weitertragen. Unsere Berge sind reich an Wasser, Wald, Gold und Silber. Deswegen werden wir von internationalen Bergbauunternehmen bedroht, die mit der mexikanischen und der Bezirksregierung Verträge unterzeichnen, um uns mit Sozialprogrammen zu verwirren, während sie die natürlichen Ressourcen unseres Territoriums ausbeuten.

Unser höchstes Entscheidungsgremium ist seit jeher die Vollversammlung. Wir bauen sie auf, das ist unsere Art zu denken. Das hat uns viel gekostet, denn es ist nicht leicht für die Regierung, gegen uns vorzugehen. Sie weiß, dass es internationale Abkommen zum Schutz der indigenen Bevölkerung gibt, doch in der Praxis erkennt sie unsere Rechte nicht an. Deswegen bauen wir unser eigenes kommunales System auf.

Die mexikanische Regierung hat uns keinen Fortschritt gebracht, unser Leben ist ihr egal. Der Regierung ist es wichtig, für die (ausländischen) Unternehmen zu arbeiten, die große Projekte umsetzen, aber nicht im Sinne der indigenen Bevölkerung. Wir sind schließlich nicht diejenigen, die von internationalen Projekten wie dem Tren Maya und anderen Megaprojekten profitieren.“
Auszüge aus der Kampagne des CIPOG-EZ; https://500jahre.org/; Spendenkampagne für den Aufbau des Gemeinderadios: Transgalaxia e.V., IBAN: DE 40 4306 0967 1152 49 2600, BIC: GENODEM1GLS, Betreff: Radio Guerrero

Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus ila 482 Feb. 2025, hrsg. und mit freundlicher Genehmigung der Informationsstelle Lateinamerika in Bonn. Einige Links wurden nachträglich eingefügt.

Über Victor, Recherche AG, Informationsstelle Lateinamerika:

Die Informationsstelle Lateinamerika e. V. (ila) ist ein gemeinnütziger Verein mit Sitz im Oscar-Romero-Haus in Bonn. Das Ziel des Vereins ist die Veröffentlichung kritischer und unabhängiger Informationen aus Lateinamerika. Der Schwerpunkt liegt auf Nachrichten und Hintergrundinformationen aus basisdemokratischer Perspektive. Die Informationsstelle Lateinamerika begreift sich als Teil der politischen Linken und engagiert sich in übergreifenden politischen Bündnissen wie der Friedens- und Antikriegsbewegung oder Attac. Der Verein besteht seit 1975 und gibt die gleichnamige Zeitschrift ila heraus. Alle Beiträge im Extradienst sind Übernahmen mit freundlicher Genehmigung.