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Netzer hat geweint

Geständnis vorweg: als Fussballer war er ab 1965 mein grosses Vorbild. Nicht zuviel rennen, keine Hektik verbreiten, stattdessen überlegene Ruhe und Übersicht, zentimetergenaue Steilpässe auf sprintfähige Mitspieler, dazu direkt verwandelte Freistösse und Eckbälle, die mutmasslich später auch Lionel Messi studiert haben dürfte. Es folgte eine nicht minder beeindruckende Managerkarriere beim Hamburger SV, den er, mit tatkräftiger Hilfe des genialen Ernst Happel, zum deutschen Fussballmeister und zum Europapokalsieger machte.

Doch warum wurde er danach zum Angestellten des rechten Medienoligarchen und Kohl-Spenders Leo Kirch? Er war nicht mehr jung. Und brauchte das Geld? Mussten so viele Ex-Frauen und -Freundinnen anständig versorgt werden? Jedenfalls geriet Netzer durch diese Tätigkeit – wie sein Buddy und öffentlich noch mehr strahlender Franz Beckenbauer – in das Räderwerk des deutschen “Sommermärchens” 2006. Wie Andere auch, hatte das rot-grün regierte Deutschland unter der Regentschaft der Herren Schröder, Fischer und Schily bei der Mafiaorganisation Fifa eine Fussball-WM gekauft, und knapp gegen Mitbewerber Südafrika erworben. Angela Merkel hat es dann genossen.

Und was war der Dank an die emsigen Dienstleister der Oligarchen, die Herren Beckenbauer und Netzer? Prozess am Hals! Beckenbauer brachte das ins Grab, und Netzer zum weinen. Jahrelang traute er sich nicht mehr aus der Schweiz heraus, aus Angst verhaftet zu werden und aussagen zu müssen.

Dem Hauptangeklagten Theo Zwanziger (DFB-Präsident von 2006-12, und nicht der Schlechteste, auch wenn er ein Despot war), im Hauptberuf und qua Berufsausbildung ehemaliger Oberverwaltungsrichter, gelang es mittlerweile, den untersuchenden Gerichtsprozess weitgehend einzuschläfern. Dafür wird sich Netzer gewiss mit einer Kiste besten Schweizer Weines erkenntlich zeigen.

So konnte er sich als freier Mann nach Dortmund trauen und ehren lassen. Jan Christian Müller/FR erinnert immerhin nicht nur an die Licht-, sondern auch die Schattenseiten.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. Roland Appel

    Ach, gottchen – er hat geweint! Über den Ferrari, den er nicht mehr hat und der heute Millionen wert wäre? Oder den Jaguar E, den er Wolfgang Overath verkauft hat und der ihn dann Lila umspritzen ließ? Oder war es umgekehrt? Keine Frage, der Typ war ein Genie auf dem Platz – aber damals spielte man anders – er musste (fast) nicht trainieren und er, Overath und Beckenbauer waren technisch so souverän, dass sie provokativ in der 50. Minute die Schienbeinschoner ‘runterlassen konnten – es kam ihnen sowieso kein Gegenspieler zu nahe! Ob die drei heute ein Zweitligaspiel länger als 45 Minuten durchhalten würden, darf bezweifelt werden. Deshalb sind die meisten Spiele heute so hässlich, brutal und z.T. langweilig. Alle drei waren Teil der 70er Jahre: Aufbruch, Leichtigkeit, Ideen, Emanzipation von den 50ern und den alten Säcken wie Adenauer und Sepp Herberger, irgendwo ein Hauch 68er und ein bisschen Auflehnung – besonders, wenn sie mit Paul Breitner ein Zimmer teilten – aber sie erlagen auch den Verlockungen des Kapitalismus. Seine Co-Kommentare im Fernsehen bleiben unübertroffen. Overath war der bessere Regisseur, Beckenbauer war der bessere Techniker, aber Netzer war einfach der unkonventionellere und Intelligentere. Von allen. Danke dafür.

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