Hat der Sudan Jemen als “grösste humanitäre Katastrophe” abgelost? Diese Frage stellt sich mehr an deutsche Medienaufmerksamkeit, als aufgrund hierzulande sowieso nicht näher interessierender Fakten. Wer will das ehrlich wissen? Aber in London passiert gerade was. Die britische Regierung hat zu einer Konferenz über den Sudan eingeladen. Das ist selbstverständlich ein hinreichender Grund, darauf einen wenige Tage kurzen Medienblick zu werfen. Wohlgemerkt: die im Folgenden zu nennenden Autor*inn*en sind zu loben – kritisierenswert ist das faktenunabhängige Agendasetting ihrer auftraggebenden Redaktionen.

Heute morgen wurde ich von der Stimme meines alten Freundes Volker Perthes geweckt. Zu nachtschlafener Zeit widmete der Deutschlandfunk dem Sudan 13 seiner wertvollen Sendeminuten in einem Bericht von Anna Osius und einem Interview mit Volker Perthes: Krieg im Sudan: Konferenz in London sucht nach Lösungen für den Konflikt – Auf eine Wende im Krieg im Sudan hofft Experte Volker Perthes anlässlich einer internationalen Konferenz in London. Eine Waffenruhe zu erreichen, sei ein Ziel. Außerdem müssten die Waffenlieferungen anderer Staaten an die Kriegsparteien aufhören.” (nur Audio, keine Mitschrift)

Volker Perthes kenne ich nun 50 Jahre. Er hat sich im weit besseren Sinne des Wortes zu einem politischen Realo entwickelt, als die meisten Grünen dieses Namens, bei denen der Begriff nichts mit Realismus aber viel mit Branding zu tun hatte. Letzteres hat bei den herrschenden deutschen Medien dann ja auch fabelhaft funktioniert.

Bei der Welthungerhilfe haben sich Wibke Hansen und er auch schiiftlich ausführlich geäussert: Hunger im Sudan: eine menschengemachte Katastrophe – Plünderungen, Brandschatzungen, Blockaden – die Kriegsparteien setzten Hunger als Waffe ein und ließen das Nahrungsmittelsystem kollabieren. In zwei Jahren entwickelte sich die derzeit weltweit größte humanitäre Krise.”

Lesen Sie ergänzend oder zum Vergleich, ganz wie Sie wollen, auch:

Saskia Jaschek/Blätter: “Krieg im Sudan: Gold, Land, Geopolitik”

und

Constantin Grund/IPG-Journal: Machtkampf der Generäle – Der sudanesischen Armee gelingt die Rückeroberung Khartums – doch ein Ende des Konflikts mit den Milizen der Rapid Support Forces ist nicht in Sicht.”

Mein persönliches Fazit: die sudanesische Zivilgesellschaft, von deren Existenz diese Autor*inn*en immerhin wissen, die hiesige Medienöffentlichkeit dagegen nichts, benötigt ein Fenster der Gelegenheit, in dem die vielfältigen ökonomischen und politischen Machtinteressen, die in London zusammensitzen, abgelenkt sind, durch die vielfältigen anderen geopolitischen und regionalen Konflikte. So ein Fenster wird sich öffnen, eines Tages. Für die Millionen Toten und Flüchtlinge der Jetztzeit ist das kein Trost – und keine Option. Sie wollen sich jetzt retten, wohin egal.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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