Anti-Smartphone-Bewegungen sollten sich davor hüten
Mit viel Sympathie sah ich mir diese kleine Arte-Doku an: “Re: Smartphone-Verbot für Spaniens Kinder – Die Revolte kommt aus Spanien: Die Bewegung ‘Teenager ohne Handy’ wurde im Stadtteil Poblenou, in Barcelona ins Leben gerufen. Mittlerweile breitet sie sich in ganz Spanien, von Barcelona und Madrid, über das Baskenland bis nach Andalusien aus. Innerhalb der Bewegung prangern Eltern die Gefahren von Smartphones für ihre Teenager an.” Verfügbar ein Jahr. Aber:
Ähnlich wie in Australien scheint die Sache, angefeuert durch die Mediendynamiken der Aufmerksamkeitsökonomie, in eine bipolare Sackgasse zu rasen. Doch zunächst zu mir.
Ich besitze ein Smartphone, weil ich mich dazu genötigt fühle. Verabredungen sind ohne quasi unmöglich. Bin ich aber nicht verabredet, bleibt es zuhause auf dem Sofa liegen. Beim kontemplativen Flanieren in Beueler Grünanlagen und bei Mittagsmahlen in Beueler Gastronomien wünsche ich vom Telefon nicht belästigt zu werden. Freilich: wenn ich Fussballgucken gehe, nehme ich es mit, um Ergebnisse von Parallelspielen zu studieren. Dä.
Wenn nun besorgte Eltern sich in ihrem Behütereflex für ihre mehr oder weniger herangewachsenen Kinder durch nichts bremsen lassen, dann ist das einerseits ein verständlicher – übrigens auch gesellschaftspolitisch berechenbarer! – Prozess. Es gibt genug demagogische politische Kräfte, die darauf mit Vergnügen surfen. Die entscheidende Frage ist aber: wie finden das die jugendlichen Kinder? Wenn die Eltern selbst ihre Sucht nicht in den Griff kriegen, werden ihre Kinder kaum zu überzeugen sein. Wenn ich als Säugling oder Kleinkind von süchtigen Eltern im Kinderwagen rumkutschiert werde, während die lieber dabei telefonieren – was werde ich wohl als grosses Kind machen, wenn die mir ein Smartphone verbieten wollen? Dito die Lehrer*innen und Schulleiter*innen.
Erstens nehme ich die nicht mehr ernst. Zweitens weiche ich auf den Schwarzmarkt aus. So habe ich selbst als 13-jähriger das Biertrinken gelernt. In Freistunden (Lehrermangel, Religion, wovon ich mich abgemeldet hatte, Schwimmen, wovon ich befreit war wg. Mittelohrentzündungen) habe ich in der gegenüber meiner Schule gelegenen – und selbstverständlich schon am frühen Vormittag geöffneten – Kneipe ausserdem das Flippern und Kickern zur Perfektion entwickelt. “Haus Mey” hiess der Schuppen und machte eine superscharfe Currywurst. Was glauben Sie also, was Ihre Kinder machen werden, wenn Sie ihnen das Smartphone verbieten?
Es hilft nichts: entweder es gelingt Ihnen, sie mit vorbildlichem eigenem Handeln zu überzeugen. Oder Sie werden scheitern. Eltern, Lehrer*innen, Schulen, Missionar*inn*e*n gleichermassen.
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