Ja, ich werde Mormone. Lange schon ist der Entschluss in mir gereift. Jetzt steht er fest. Warum? Vor zwei Wochen hat Rom einen neuen Papst gewählt. Jetzt kann ich es nicht mehr lesen, nicht mehr sehen, nicht mehr hören. Jetzt halte ich es einfach nicht mehr aus: nicht den neuen Papst selbst, sondern, völlig gleich in allen Medien der Welt, die allgemeine Einschätzung seiner Wahl. Einer sagt es lauter, unterstreicht es dicker als der andere und jeder ohne Ende: Papst Leo XIV gebietet über 1,4 Milliarden Katholikinnen und Katholiken. Als wäre er selber ihnen als Person viel zu unscheinbar, viel zu bescheiden, so viel bescheidener als sein Vorgänger jedenfalls, blähen sie alle den kleinen, schmächtigen Pater aus den Vorstädten von Chicago gigantisch auf, indem sie nicht müde werden zu betonen, dass er über 1,4 Milliarden Katholikinnen und Katholiken thront. Ohne Unterlass diese 1,4 Milliarden!
Dagegen die Mormonen? Auf der ganzen weiten Welt, bis hinein in die missionsreifen Urwälder Brasiliens, gibt es kaum 16 Millionen Mormonen. Dass – was viele nicht zu wissen scheinen – der heilige Stifter dieser Glaubensgemeinschaft ein fröhlicher kölscher Jung namens Jupp Schmitz war; dass, wie ich zuletzt wieder aus amerikanischen Fernseh-Serien erfahren durfte, „mormonische Hausfrauen“ von besonders aufregenden erotischen Erfahrungen zu erzählen wissen, das alles ist mir nicht unwichtig. Der dramatische Grund aber für meine Konversion ist der Überdruss über den global so endlos und so wichtigtuerisch breitgetretenen Fetischismus von den 1,4 Milliarden Katholikinnen und Katholiken.
Was aber wird jetzt, wenn ich nach Salt Lake City ziehe, aus Leo XIV in Rom? Aus meinem Leo? Aus diesem Papst, der mir persönlich so viel besser gefällt als alle die acht Päpste, die ich zuvor erlebt habe? Leo, mit seiner ansteckend unbekümmerten Bescheidenheit? Leo, der mit seinem kindlich fröhlichen Entenschnäbelchen, kaum war er gewählt – und fast fehlerfrei – gleich Salve Regina sang? Endlich wieder einmal ein Papst, der anders als sein Vorgänger überhaupt singt: „jesuita non cantat“. Mit ihm, der sich sofort in mein Herz gesungen hat, was mache ich mit meinem Papst Leo XIV bei den Mormonen?
Ganz einfach: Diesen Leo, den nehme ich mit nach Salt Lake City. Ihm als US-Amerikaner wird es ohnehin leichter fallen als mir, sich in Utahs herber Wüstenluft zu akklimatisieren. Allzu gerne wird er mitkommen, sobald er einmal bis in die innersten Knochen zu spüren bekommen hat, was für ein unchristlicher Stress das ist, Papst in Rom zu sein über 1,4 Milliarden Katholikinnen und Katholiken. Schlimmer noch, schlimmer wäre nur ein Papst in Mekka hoch über den 1,9 Milliarden Musliminnen und Muslimen.
Dort aber, hoch in den stillen, wunderbar einsamen Bergen Utahs, wird in Leo die Erkenntnis reifen, die Jesus Christus, wenn ich mich recht erinnere, auf den Satz gebracht hat: „Nicht wo unablässig Milliarden den Mund voll haben von Milliarden, sondern dort, wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“
Matthäus 28. Kapitel, 20. Vers.
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