„Sicherheitsdialog Deutschland“ und Liz Mohn Stiftung: Rüstung, Rüstung über alles

I.

Am 23. Juni 2025 soll in Berlin ein „Salon“ zur Sicherheitspolitik stattfinden als Auftaktveranstaltung für einen „Sicherheitsdialog Deutschland. Dialogplattform für eine kulturelle Verteidigungsfähigkeit“.

Aus vorbereitenden Papieren, die nicht öffentlich sind, aber seit einiger Zeit an Interessierte verschickt werden, geht hervor, worum es den Beteiligten geht:  Deutschland soll „verteidigungsfähig“ werden: „kulturell, kommunikativ, organisatorisch.

Gemeint ist, dass die Gesellschaft „kriegstüchtig“ werden soll.

Als „Initiatoren der Idee“ werden zwei Männer vorgestellt, die früher bei der Bundeswehr waren und jetzt ihr Geld mit Transformations- bzw. Kommunikationsberatung verdienen, mit Coaching und Campaigning.

Darum geht es: Die öffentliche Meinung in Deutschland soll durch Kampagnen, durch Marketing, durch scheinbar neutrale Information und Kommunikation gezielt auf Kurs gebracht werden mit dem Ziel fast grenzenloser Aufrüstung. Es ist sicher kein Zufall, dass der als Moderator des „Salon“ am 23. Juni vorgesehene Journalist Thomas Wiegold seinen Blog „Augen geradeaus“ nennt.

Hier sind Menschen am Werk, die sich Sorgen machen, dass zu wenige Menschen in Deutschland sich Sorgen machen über die von Geheimdiensten und Militärexperten angekündigte Bedrohung von Mitgliedsstaaten der NATO durch Russland Ende der 2020er und Anfang der 2030er Jahre.

In der Tat hatte das „Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr“ die Einstellungen der Menschen in Deutschland zu den „Mitteln der deutschen Aussen- und Sicherheitspolitik“ im November 2024 so zusammengefasst:

„Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung befürwortet den Einsatz von zivilen und militärischen Mitteln in der Aussen- und Sicherheitspolitik, wobei eine relative Präferenz für den Einsatz ziviler Mittel besteht.“

Mit weitem Abstand auf den Plätzen eins und zwei liegen „Diplomatische Verhandlungen“ mit 84 Prozent Zustimmung und „Rüstungskontrolle“ mit 75 Prozent Zustimmung. Auf den Plätzen drei und vier folgen „Wirtschaftssanktionen“ mit 64 Prozent und „Entwicklungszusammenarbeit“ mit 62 Prozent Zustimmung. Erst dann taucht die Bundeswehr auf.

II.

Die „relative Präferenz für den Einsatz ziviler Mittel“ scheint den Machern und Unterstützerinnen des „Sicherheitsdialog Deutschland“ ein Dorn im Auge zu sein. Sie wollen das ändern und das militärische Denken endlich wieder in sein altes Recht setzen. Sie wollen Schluss machen mit der verweichlichten Sehnsucht nach ziviler und diplomatischer Lösung von Konflikten, nach Verständigung und Rüstungskontrolle.

Kein vernünftiger Mensch bestreitet, dass Deutschland und die europäischen Mitgliedsstaaten der NATO  verteidigungsfähig sein müssen und schon heute nach allen Zahlen Russland konventionell deutlich überlegen sind. Das wird aber mit keinem Wort erwähnt, weil es nicht ins Bild passt.

Einige der in den Vorbereitungspapieren genannten „Expert:innen“ und „top Sparringspartner“ haben sich schon einen Namen gemacht: Von Frau Strack-Zimmermann, jetzt im Europäischen Parlament, konnten und mussten sich alle Interessierten in den vergangenen Jahren ein Bild machen. Angekündigt sind auch Vertreter der Bundeswehr. Der breiten Öffentlichkeit ganz unbekannt, aber noch wichtiger sind drei andere Unterstützer des Projekts: Karen Florschütz, Executive Vice President Connected Intelligence, Airbus Defence and Space, Thomas Müller, Leiter der Unternehmenskommunikation bei Heckler & Koch und Gerd Weber, Chef von Airbus Military.

Diese drei vertreten die Interessen ihrer Unternehmen, die Geld mit Waffen und Rüstungsgütern verdienen. Das ist ihr gutes Recht. Das ist aber sicher keine besonders gute Voraussetzung für unabhängige Information und Kommunikation darüber, welche Mittel am besten geeignet sind, Sicherheit und Frieden für Deutschland und Europa zu schaffen und zu sichern. Mittel, die nicht zur eigenen Produktpalette gehören, überschreiten ihren unternehmerischen Horizont. Vom politischen Urteilsvermögen nicht zu reden.

Da fühlt man sich an den Psychologen Abraham Maslow erinnert, berühmt für seine Bedürfnis-Pyramide, die sich mit der Wirkung, dem Inhalt und der Art menschlicher Motive beschäftigt. Er hat 1966 gesagt: „Ich glaube, es ist verlockend, wenn das einzige Werkzeug, das man hat, ein Hammer ist, alles zu behandeln, als ob es ein Nagel wäre.“

Eine weniger akademische Version der gleichen Einsicht lautet: „Geben Sie einem Jungen einen Hammer, und auf alles, was ihm unterkommt, muss geschlagen werden.“

Leute, die andere Vorstellungen von Sicherheit haben und zum Beispiel daran erinnern, dass schon zu Zeiten des Kalten Kriegs militärische Verteidigungsfähigkeit erfolgreich mit Verhandlungen über Rüstungskontrolle verbunden worden sind, sucht man bei den „Expert:innen“ und „top Sparringspartnern“ vergeblich.

Hier präsentiert sich ein deutscher militärisch-industrieller Komplex, verkleidet als Aufklärer über Fragen von Frieden und Sicherheit. Die politisch Verantwortlichen in Bundesregierung und Bundestag und alle Bürgerinnen und Bürger sollten bei Debatten über Sicherheit und Verteidigung daran denken, wovor der Präsident der USA und frühere General Dwight. D. Eisenhower in seiner Abschiedsrede am 17. Januar 1961 eindringlich gewarnt hat:

„Wir in den Institutionen müssen uns vor unbefugtem Einfluss – beabsichtigt oder unbeabsichtigt – durch den militärisch-industriellen Komplex schützen. Das Potential für die katastrophale Zunahme fehlgeleiteter Kräfte ist vorhanden und wird weiter bestehen. Wir dürfen es nie zulassen, dass die Macht dieser Kombination unsere Freiheiten oder unsere demokratischen Prozesse gefährdet. Wir sollten nichts als gegeben hinnehmen. Nur wachsame und informierte Bürger können das angemessene Vernetzen der gigantischen industriellen und militärischen Verteidigungsmaschinerie mit unseren friedlichen Methoden und Zielen erzwingen, so dass Sicherheit und Freiheit zusammen wachsen und gedeihen können.“

Nun kann man die deutschen Verhältnisse nicht mit denen in den USA gleichsetzen. Weder damals noch heute. Umso mehr gilt: Wehret den Anfängen.

III.

Unter dem Deckmantel „Sicherheitsdialog Deutschland“ wollen die Verantwortlichen Kampagnen organisieren, die die öffentliche Debatte über Sicherheit und Frieden  in Richtung Militarisierung des Denkens und Handelns lenken sollen. Deshalb nehmen sie gegen allen Augenschein für sich in Anspruch, unabhängig, also niemandem verpflichtet zu sein:

„Als unabhängige Initiative können wir Themen anders besprechen und positionieren als Politik, Organisationen und Unternehmen: Progressiver, offensiver, Kampagnen-getrieben.“

Und sie sagen noch deutlicher, worum es ihnen geht: „Klare, populäre Ansprache, neutrale Wahrnehmung mit politischer Schlagkraft.“

„Der Sicherheitsdialog… schafft eine Sprache, der die breite Öffentlichkeit erreicht.“

Eine besonders grosse Sorge der Macher des „Sicherheitsdialogs“ scheint zu sein, dass der Krieg in der Ukraine mehr als drei Jahre nach dem russischen Überfall endlich aufhört:

„Die Tür für eine proaktive Sicherheits-Kommunikation hat sich in der Gesellschaft geöffnet. Das Thema wird aber nach Friedensschliessung in der Ukraine auch wieder sukzessive von der Agenda rutschen. Wir haben jetzt die Chance, dass sich das Thema verfestigt.“

Ist das noch der übliche kalte Sprech von Beratungs- und Kommunikations-Profis, denen jedes Thema gleich wichtig scheint, wenn damit Umsatz und Rendite zu machen sind, oder purer Zynismus?

Dass es in der Bevölkerung und unter Fachleuten ganz unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, wie Sicherheit und Frieden für Deutschland und Europa am besten geschaffen und gesichert werden können, interessiert die Macher des „Sicherheitsdialogs“ offenbar nicht. Sie behaupten zu wissen, was nottut: Rüstung, Rüstung, Rüstung.

Dafür braucht es, so nachzulesen in den vorbereitenden Papieren, den „Schulterschluss von Staat, Organisationen, Stiftungen, Zivilgesellschaft und Industrie.“

Per „Schulterschluss“ die Menschen auf Linie bringen: Das klingt vermessen und auch nicht besonders demokratisch. Warum sollen alle ins gleiche Horn stossen? Glauben die Macher des „Sicherheitsdialogs“ wirklich, die vielen unterschiedlichen Formen zivilgesellschaftlichen Engagements liessen sich unter einen Helm bringen? Glauben sie wirklich, alle Stiftungen liessen sich dafür einspannen, ganz einseitige Antworten auf die Frage nach den besten Wegen zu Frieden und Sicherheit zu geben? Glauben sie wirklich, dass alle Verantwortlichen in Regierungen und Parlamenten Schulterschluss üben statt ihre Entscheidungen in eigener Verantwortung zu treffen?

Eine Stiftung haben sie für ihre Sache aber tatsächlich schon gewonnen. Finanziell „unterstützt“ werden soll das Ganze von der „Liz Mohn Stiftung“ und von „BASED“, einem 2024 in München gegründeten Beratungsunternehmen. Über Summen ist nichts bekannt, aber kleinlich wird frau sich da in Gütersloh nicht zeigen. Wer in den „Salon“ einlädt, muss allen mehr bieten als bei einer normalen Konferenz oder einem Werkstattgespräch.

Gross angelegte Kampagnen kosten viel Geld.

IV.

Statt einseitiger Meinungsmache, statt selektiver Wahrnehmung und Marketingstrategien für mehr Rüstung, die von Propaganda nicht zu unterscheiden sind, brauchen wir endlich wieder eine ernsthafte gesellschaftliche und politische Debatte über die besten Wege zu Sicherheit und Frieden.

Das fängt damit an, dass die politisch Verantwortlichen der Bevölkerung ein Bild von den militärischen Kräfteverhältnissen zwischen NATO und Russland vermitteln, das den Tatsachen entspricht und nicht dem Zweck dient, Stimmung für immer höhere Rüstungsausgaben zu machen.

Wir müssen endlich wieder darüber sprechen, in welchem Verhältnis militärische Fähigkeiten und die Bereitschaft zu Verhandlungen und Verständigung stehen müssen, damit wechselseitige militärische Bedrohung und Abschreckung nicht zu einer eigenständigen, kaum zu kontrollierenden Gefahr für alle werden.

Die Debatte über Sicherheit und Frieden muss, nicht nur bei uns in Deutschland, endlich wieder auf der Grundlage überprüfbarer Zahlen, Daten und Fakten geführt werden, mit rationalen Argumenten und mit der verantwortungsbewussten Ernsthaftigkeit, die dem Thema angemessen ist.

Der „Sicherheitsdialog Deutschland“ mit seinem für den 23. Juni in Berlin geplanten „Salon“ leistet dazu keinen Beitrag. Er tut das Gegenteil und scheint das auch zu wollen.

Dieser Beitrag erschien zuerst im “Blog der Republik”, hier mit freundlicher Genehmigung des Autors. Christoph Habermann hat nach Abschluss des Studiums der Sozialwissenschaften an der Universität Konstanz mehr als dreissig Jahre in der Ministerialverwaltung gearbeitet. Von 1999 bis 2004 war er stellvertretender Chef des Bundespräsidialamts bei Bundespräsident Johannes Rau. Von 2004 bis 2011 Staatssekretär in Sachsen und in Rheinland-Pfalz.

Über Christoph Habermann: