Der Newsletter des Demokratischen Salons für Mai 2025 ist Margot Friedländer sel. A. gewidmet. Sie wurde 103 Jahre alt. Ihr Vermächtnis: Die Margot-Friedländer-Stiftung. Ihr Auftrag: „Seid Menschen!“ Erst wenn wir „Menschen“ werden, kommen vielleicht Zeiten, in denen Menschen einander nicht mehr fürchten, Zeiten, in denen sie ihre Furcht, ihre Angst voreinander nicht mehr auf andere oder gar auf ein höheres Wesen, wie auch immer sie es verstehen, verschieben. Die persische Autorin Atefe Asadi lässt uns diese universelle Botschaft in ihrer kurzen Erzählung „Ein Klagelied aus Eis“ erahnen. Ein Mädchen braucht Eis für die Leiche des toten Bruders und verstößt gegen allerlei mutmaßliche Vorschriften von Staat und Religion. Wie kann es sein, dass dieses Mädchen sagt: „Aber lieber Gott, ich habe große Angst vor dir.“ Die Geschichte ließe sich weitererzählen. Sie endet – so hoffen wir – nicht wie die Antigone-Erzählung. Man kann es nicht oft genug wiederholen: „Seid Menschen!“

Das Editorial befasst sich ausgehend von dem Buch „Survival of the Richest“ von Douglas Rushkoff mit dem Politikverständnis der Milliardäre im Umfeld des US-Präsidenten: „Rette sich wer kann – Die Manifest Destiny der Milliardäre – Next Level“. Darüber hinaus lesen Sie die folgenden neuen Texte im Demokratischen Salon:

  • Sara Soussan stellt die von ihr kuratierte Ausstellung „Im Angesicht des Todes“ im Jüdischen Museum Frankfurt am Main vor: „Auf Simches: Der Tod und das Leben“. Sie beschreibt jüdische Gebräuche und halachische Debatten um Todeszeitpunkt, Sterbeprozess, Organspende, assistierten Suizid und die kommende Welt sowie den Tod in Literatur und Bildender Kunst. Statements der Besucher:innen und Filme ergänzen Ausstellung und Katalog, eindrucksvoll das Konzert von DJ Skazi auf dem Nova-Gelände. (Rubriken: Jüdischsein, Shoah)
  • Serhiy Kudelia, Politikwissenschaftler in den USA, stellt im Gespräch mit Iaroslav Kovalchuk sein Buch „Seize the City, Undo the State“ vor, das Thema: „Die Ukraine und der Donbas – eine höchst komplexe Geschichte“. Grundlage sind Feldforschungen und Interviews in der Region. Er beschreibt die Vorgeschichte seit 2004 und die Vorgänge im Jahr 2014. Die ukrainische Regierung irritierte durch fehlende Kohärenz, sodass sich die Separatisten im Donbas mit russischer Hilfe etablieren konnten. (Rubrik: Osteuropa)
  • Felix Sandalov, Direktor der StraightForward Foundation, arbeitet inzwischen in Deutschland. Sein Thema: „Russische Exilkultur in Deutschland“. Die Stiftung ermöglicht russischen Autor:innen, Sachbücher in Übersetzungen verschiedener Sprachen zu veröffentlichen. Hintergrund sind die auf ein kaum noch wahrnehmbares Minimum geschrumpften Möglichkeiten russischer Autor:innen in Russland selbst. Verhaftungen von Journalist:innen, Autor:innen, Verleger:innen sind jederzeit möglich. (Rubriken: Osteuropa, Kultur)
  • Fritz Heidorn gibt in „Der chinesische Spiegel“ Einblicke in die chinesische Science Fiction, die durchaus Themen der nordamerikanischen und europäischen Science Fiction spiegelt und umgekehrt. Verweise auf Alexander von Humboldt und Kim Stanley Robinson erschließen das Verhältnis von Utopie und Dystopie bei Cixin Liu oder Ken Liu ebenso wie bei einer jungen Autorin wie Chi Hui. Der MaroVerlag hat mit dem Magazin „Kapsel“ ein deutschsprachiges Forum für chinesische Science Fiction geschaffen. (Rubrik: Science Fiction)
  • Meltem Kulaçatan erörtert eines der strittigsten Themen unserer Zeit: „Diversity, Equality, Inclusion“ (DEI), nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland. Soziale Arbeit ist als „Menschenrechtsprofession“ der Vielfalt verpflichtet, nicht zuletzt über intersektionelle Zugänge, im Guten wie im Schlechten. Vielfalt und Fremdheit sind Themen von Aus- und Fortbildung. Ein weiteres Thema ist der Umgang mit rechtsextremen und islamistischen Radikalisierungen. (Rubrik: Kinderrechte) 
  • Gudula Böckenholt und Martin Hellriegel stellen in „Gelebte Demokratie in unseren Innenstädten“ die CIMA-Innenstadtstudie vor. Sie beschreiben beispielhafte Projekte aus Chemnitz, Frankfurt am Main, Karlsruhe, Leipzig, München und Nürnberg sowie aus dem Ruhrgebiet. Es geht um die Belebung nach COVID, innovative Wohnprojekte, Ökologie und Naherholung, Einkaufen und Lieferdienste sowie vieles mehr, alles mit unmittelbarer Beteiligung der Bürger:innen. (Rubrik: Liberale Demokratie)
  • Ines Geipel gibt der Debatte um Ost und West mit „Fabelland“ (nominiert für den Deutschen Sachbuchpreis 2025) eine fast schon surreale Richtung. In dem Essay „Lost Country?“ rund um dieses Buch benennt Norbert Reichel die Kontexte. 1989 lag etwas Messianisches in der Luft, aber Ost und West begegneten sich wie die sprichwörtlichen Königskinder. Der „Aufstand der Sinne“; den Ines Geipel diagnostiziert, wird zum „Aufstand der Sprache“. Eine Aussicht auf etwas Neues? (Rubriken: DDR, Kultur) 
  • Wolfgang Both dokumentiert in seiner Reportage „Wie George Orwells ‚1984‘ fast in der DDR erschienen wäre“ eine aufschlussreiche Marginalie der Literaturgeschichte im Kalten Krieg, mit den Verboten in Sowjetunion und DDR, den Strafen für Leserinnen und Leser, der Verbreitung des Buches in Tarnschriften. Im Westen wurden „1984“ und „Animal Farm“ für die eigene Propaganda instrumentalisiert, obwohl George Orwell sich als linker Autor verstand. (Rubrik: DDR)

Empfohlene Veranstaltungen und Ausstellungen: Die vorerst letzte Aufführung von „Wir werden wieder tanzen“ (Köln), zwei Ausstellungen der Topographie des Terrors über Reinhard Heydrich sowie zum Umgang mit der NS-Vergangenheit nach 1945 (Berlin), die Physiognomie der AfD (Berlin), die Veranstaltungsreihe „Gedenkanstoß“ der Stiftung EVZ (Bielefeld, Bremen, Chemnitz), eine Ausstellung über den „Engel der Geschichte“ von Walter Benjamin und die Engel Berlins (Berlin), die Ausstellung „Kunst der Erinnerung“ mit Werken von Marian Ruzanski (Solingen), die Antrittsvorlesung von Daniel Falb zur diesjährigen Thomas-Kling-Poetik-Dozentur (Bonn), die Ausstellung „Heldinnen / Sheroes“ (Bonn), eine Werkausstellung von Sandra del Pilar (Soest), eine Ausstellung zum 150. Geburtstag von Thomas Mann (Lübeck), die Ausstellung „Civilization“ (München), ein Festival mit Kunst in der Natur (Lahnstein bei Koblenz), eine Ausstellung über einen neuen Blick auf den Tod (Frankfurt am Main), das Kunstfest Weimar, die Ausstellung „How To Catch A Nazi“ (Potsdam) und das Dritte Orientalische Filmfestival mit Filmen aus und zum Iran (Koblenz).

Leseempfehlungen und Hintergrundinformationen: Der neue Organisationserlass der Bundesregierung, Stève Hiobi über afrikanische Geschichte, Minna Salami über afrikanischen Feminismus, Konservatismus in der Kultur und die Personalie Wolfram Weimer (drei Texte), eine Dokumentation der Anne-Frank Bildungsstätte über Geschichtsfälschungen online, junge Rechtsextremisten (zwei Texte), das AfD-Gutachten des Verfassungsschutzes, Stefan Dietl über den Antisemitismus in der AfD, die Wähler:innen der AfD, Maxim Biller zu einem Verbot der AfD, die Ermordung der ukrainischen Journalistin Victoriia Roshchyna, das Urteil gegen die 19jährige Darja Kosyrewa, Demonstrationen in Gaza gegen die Hamas, Frauenmorde im Iran, die Geschichte der NS-Deportationen nach Gurs, Green Hushing in den USA, Sozialarbeit in Gelsenkirchen, den Unsinn von Hausaufgaben, eine Broschüre mit verschiedenen Texten zum russländischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sowie zwei weitere Übersetzungen von Beiträgen aus dem Demokratischen Salon ins Ukrainische.

Über Norbert Reichel / Demokratischer Salon:

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