Neuer Tarifvertrag schützt Schauspieler*innen vor digitalem Missbrauch

Digitale Doppelgänger, synthetische Stimmen, KI-generierte Szenen – der technologische Wandel verändert die Filmbranche rasant. Ein neuer Tarifvertrag von ver.di, BFFS und Produzentenallianz regelt erstmals, wie generative KI in Film- und Fernsehproduktionen eingesetzt werden darf. Er schützt Schauspieler*innen vor der unkontrollierten Nutzung ihres digitalen Abbilds – und könnte europaweit Vorbild sein.

Schauspielerinnen und Schauspieler liefern ihre aufwendig einstudierte Darbietung am Set ab – doch was passiert danach? Künstliche Intelligenz kann Gesten verändern, Dialoge neu zusammensetzen oder digitale Doppelgänger erzeugen. Für viele Filmschaffende bedeutet das: Der eigene Auftritt könnte ohne Wissen umgestaltet, das eigene Abbild sogar ohne Zustimmung verwendet werden.

Mit dem neuen Tarifvertrag zur Nutzung von generativer KI in Film- und Fernsehproduktionen gibt es nun eine Antwort: ver.di und der Bundesverband Schauspiel (BFFS) haben mit der Produzentenallianz erstmals tarifvertraglich geregelt, unter welchen Bedingungen generative KI in der Filmproduktion eingesetzt werden darf. Damit wurde nicht nur ein tarifpolitisches Novum geschaffen, sondern auch ein Schutzmechanismus gegen den unkontrollierten Einsatz von Technologie entwickelt, der Vorbildcharakter haben könnte.

Laut ver.di-Medienbereichsleiter Matthias von Fintel setzt der Tarifvertrag erstmals klare Standards für den verantwortungsvollen und rechtlich abgesicherten Einsatz von generativer KI. Filmschaffende behalten dabei ihre Rechte, ihre Kontrolle – und ihre Würde. Die Tarifparteien einigten sich nach intensiven Gesprächen auf eine Regelung, die der technologischen Dynamik ebenso Rechnung trägt wie der kreativen und persönlichen Leistung von Schauspielenden.

“Auch wenn nicht alle Folgen des KI-Einsatzes gelöst werden konnten: Einen maßgeblichen Schutz, mehr Mitbestimmung, die Pflicht zur Transparenz und auch finanzielle Kompensationen haben wir als Tarifansprüche gegen negative Folgen der Transformation in Filmproduktionen erreicht. Zunächst fürs Schauspiel, als nächstes dann mit dieser Vereinbarung auch für alle weiteren Kreativen hinter der Kamera”, sagt Christoph Schmitz-Dethlefsen vom ver.di-Bundesvorstand.

“Ziel” sei es gewesen, so Schauspieler Heinrich Schafmeister vom BFFS, “den Umgang mit generativer KI so verantwortlich zu gestalten, dass einerseits die Arbeitgeber den technischen Fortschritt nicht verpassen und andererseits ein angemessener Schutz der Arbeit der Beschäftigten gewährleistet bleibe.”

Kontrolle über das eigene digitale Abbild

Der Tarifvertrag bezieht sich ausschließlich auf sogenannte generative KI – also Systeme, die aus großen Datenmengen eigenständig neue Inhalte erzeugen, etwa Gesichter, Stimmen oder ganze Szenen. Klassische Effekte wie CGI oder VFX, die auf gezielter Gestaltung durch Spezialist*innen basieren, sind davon nicht betroffen. Gerade weil generative KI reale Menschen täuschend echt digital nachbilden kann, war ein zentrales Anliegen der Verhandlungsparteien: der Schutz des eigenen digitalen Abbilds. Wer in einer Produktion mitgewirkt hat, soll nicht ohne Einwilligung vervielfältigt oder nachgebildet werden dürfen – unabhängig davon, ob das Material neu erstellt oder aus früheren Produktionen entnommen wurde.

Der Vertrag stellt klar: “Die Einwilligung ist unabhängig davon erforderlich, ob die digitale Nachbildung während des Engagements der Schauspielerin für eine konkrete audiovisuelle Produktion erstellt wird […] oder auf Grundlage von vorbestehenden Bild-/Tonaufnahmen.”

Auch für den Einsatz einer digitalen Nachbildung in anderen Produktionen, etwa in Prequels oder Serienfortsetzungen, ist eine neue, explizite Zustimmung erforderlich – inklusive zusätzlicher Vergütung. Vertragsklauseln, die solche Nutzungen “pauschal abgelten” wollen, sind ausgeschlossen.

Ein weiterer Fortschritt ist das Verbot sogenannter Umgehungsklauseln: Es ist laut dem Vertrag ausdrücklich untersagt, dass Produzent*innen versuchen, außerhalb des eigentlichen Arbeitsvertrags zusätzliche Vereinbarungen mit Schauspieler*innen zu schließen. Solche “Hintertür-Klauseln” sind jetzt tariflich ausgeschlossen.

Der Abschluss ist dabei kein Endpunkt – sondern ein Anfang. “Für Schauspieler*innen haben wir den ersten Schritt machen können. Aber im KI-Tarifvertrag ist der zweite Schritt für alle anderen Filmschaffenden schon angelegt. Konkrete Tarifregelungen für diese Kolleg*innen werden wir nach einer Evaluationsphase des jetzt abgeschlossenen Tarifvertrages angehen. Auch dafür streben wir Schutzregeln auf dem internationalen Niveau an”, erklärt Matthias von Fintel.

Rückblick: KI-Streik in Hollywood

Auch in den USA war die Sorge um den Einfluss von KI und die Verwendung digitaler Doppelgänger der Auslöser für einen historischen Arbeitskampf. Im Sommer 2023 trat die Schauspielgewerkschaft SAG-AFTRA in einen monatelangen Streik – nicht nur wegen der Streaming-Gagen, sondern vor allem, weil viele Filmschaffende fürchteten, dass ihre Gesichter, Stimmen und ihre Präsenz künftig durch KI ersetzt werden könnten.

Am Ende dieses Streiks stand ein neuer Tarifvertrag mit dem Verband der Filmstudios, der nicht nur höhere Mindestgagen und soziale Verbesserungen brachte. Erstmals wurden auch verbindliche Regelungen zum Einsatz von KI getroffen. Dazu zählen das Recht auf Einwilligung, wenn Gesichter oder Körper digital reproduziert werden sollen, sowie Ansprüche auf Vergütung – selbst dann, wenn die digitale Darstellung auf einer früheren realen Leistung basiert. Besonders für Statist*innen und Kleindarsteller*innen war das ein zentraler Fortschritt.

Viele dieser Mechanismen fanden auch Eingang in den neuen deutschen Tarifvertrag. Zwar unterscheiden sich die rechtlichen Rahmenbedingungen in den USA und Deutschland, doch ist es gelungen, vergleichbare Schutzstandards tarifvertraglich zu verankern – ein Schritt, der Deutschland im europäischen Kontext zur Vorreiterin macht.

Aus Sicht von Matthias von Fintel handelt es sich um eine echte Pioniertat. Der Vertrag setze verbindliche Standards für Transparenz, Mitbestimmung und Vergütung beim Einsatz generativer KI. Dabei gehe es nicht darum, neue Technologien zu verhindern – vielmehr solle kreative Arbeit durch KI sinnvoll ergänzt werden können. Der Mensch bleibe die zentrale schöpferische Instanz.

Ausblick: Flexibler Schutz im Wandel

Der deutsche Tarifvertrag ist am 1. März 2025 in Kraft getreten und gilt zunächst bis 30. Juni 2026. Er soll halbjährlich evaluiert werden, um auf neue technische Entwicklungen reagieren zu können. Diese fortlaufende Anpassungsfähigkeit macht ihn zu einem “lernenden Vertrag”, der im Dialog zwischen den Parteien weiterentwickelt wird. Ein Vertrag, der dazulernt – ganz wie die Technologie, die er regelt.

FAQ: Häufig gestellte Fragen zum Tarifvertrag zu KI in der Filmproduktion
Was regelt der neue Tarifvertrag zur Nutzung von KI in Film- und Fernsehproduktionen?

Der Tarifvertrag legt fest, dass generative KI nur mit expliziter Zustimmung der Schauspieler*innen eingesetzt werden darf – z. B. für digitale Nachbildungen von Gesichtern oder Stimmen. Diese Zustimmung muss für jede Nutzung neu eingeholt werden.

Was ist generative KI – und was unterscheidet sie von klassischen Effekten?

Generative KI erstellt aus vorhandenen Daten neue Inhalte – etwa digitale Avatare oder synthetische Stimmen. Im Gegensatz dazu basieren klassische Effekte wie CGI oder VFX auf manueller Bearbeitung durch Spezialist*innen.

Warum war der Tarifvertrag notwendig?

Weil KI-Technologie reale Menschen täuschend echt nachbilden kann. Ohne klare Regeln könnten Produzent*innen das Aussehen und die Stimme von Schauspielenden beliebig weiterverwenden – auch in anderen Kontexten oder Produktionen. Der Tarifvertrag sichert Persönlichkeitsrechte, Einwilligung und faire Vergütung.

Was bedeutet der Vertrag für andere Kreative am Set?

Zunächst gilt der Vertrag für Schauspieler*innen. Doch eine Ausweitung auf weitere Berufsgruppen – wie Kamera, Schnitt oder Drehbuch – ist bereits angelegt und soll nach einer Evaluationsphase folgen.

Zwischen Fortschritt und Fairness

Was passiert, wenn Künstliche Intelligenz in Bewerbungsverfahren mitredet, digitale Doppelgänger erzeugt oder Gewaltrisiken berechnet? Unser Spezial wirft einen kritischen Blick auf die Technologie, die längst Realität ist – und die (Arbeits)Welt verändern.

Wo digitale Systeme Einzug halten, braucht es Leitplanken. Betriebsräte setzen Grenzen. Tarifverträge schaffen Schutz. Die neue KI-Verordnung der EU setzt Standards. Mit Gewerkschaften am Hebel bleibt Technik ein Werkzeug – nicht ein Richter. Denn Gerechtigkeit darf nicht dem Algorithmus überlassen werden. Rita Schuhmacher

Dieser Beitrag ist eine Übernahme von ver.di-publik, mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

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